„Kreislaufwirtschaft? Da gibt esnoch Spielraum nach oben!“

Was genau ist Reconstructing? Warum klaffen hier die unterschiedlichen Definitionen so weit auseinander? Und welche Schritte müssen unternommen werden, damit die Kreislaufwirtschaft endlich in der Politik und Wohnbaubranche ankommt? Ein Gespräch mit Angela Köppl, Ökonomin und Umwelt- und Energieforscherin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung.
WOJCIECH CZAJA

Bauträger und Developer sprechen gerne von Reconstructing. Ist das nur ein Euphemismus für Abbruch und Neubau? Oder steckt da per Definition doch mehr dahinter?

Spannend, dass Sie das sagen, denn mit Reconstructing würde ich tendenziell etwas anderes verbinden. In einem Projekt unter dem Titel „ReConstruct“ bieten wir gemeinsam mit dem CEPSThinktank ein Forum an, wo über innovative Bauprojekte reflektiert wird und der Fokus auf gesamte Wertschöpfungsketten innerhalb des Bauens gelegt wird. Vor allem aber geht es um den Erhalt und möglichst sorgsamen Umgang mit materiellen Ressourcen im gesamten Lebenszyklus. Das Modell „Abbruch und Neubau“ steht dabei nicht im Zentrum.

Angela Köppl
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Wie kommt das, dass sich ein Begriff so verselbstständigt?

Ich würde das als Labelling und Rewording bezeichnen.

Angela Köppl

Können Sie ein Beispiel für Reconstructing in Ihrem Sinne nennen?

Es geht um die Einsparung von Ressourcen und um die Reduktion von Abfällen und Treibhausgasen. In der Waldmühle Rodaun beispielsweise wurde der Beton des abgebrochenen Zementwerks direkt vor Ort zerkleinert und den Straßen und Gehwegen als Zuschlagstoff beigemischt.

Die Sozialbau hat bei einem bestehenden Gebäude in der Großen Neugasse eine thermische Bauteilaktivierung in die Fassade integriert. Und die WBV-GPA plant in Zusammenarbeit mit pos architekten ein Haus, bei dem aus dem lokal anfallenden Aushubmaterial Betonlehmsteine für den Hochbau hergestellt werden. Ganz generell würde ich überall dort von nachhaltigem Bauen sprechen, wo es gelingt, Ressourcen, Energie und Emissionen sowie Abfälle und Baurestmassen zu reduzieren und sie so lange wie möglich im Kreislauf zu halten.

Angela Köppl

Bleiben wir gleich beim Thema: Welche Rolle spielt Recycling von Baustoffen und Bauprodukten in der österreichischen Bauwirtschaft?

In der Theorie oder in der Praxis?

Angela Köppl
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Beides!

In der Theorie ein sehr wichtiges. Es gibt bereits viel Forschung auf diesem Gebiet, die Kennzahlen und technischen Möglichkeiten liegen am Tisch. In der Praxis sieht es leider etwas anders aus, denn diese hinkt dem theoretischen Wissensstand hinterher. Es gibt zwar vereinzelt schöne Beispiele, wo alte Fliesen, Kacheln, Handläufe demontiert und im Neubau wieder eingebaut werden, aber das sind nicht mehr als symbolische Handlungen. Es bräuchte weit mehr – zum Beispiel Recycling auf einer breiten Ebene im Sinne von Urban Mining, so wie das zum Teil schon in den Niederlanden praktiziert wird. Wir sollten auf positive Vorreiter schauen!

Angela Köppl

Wo liegen diese Vorreiter?

Man glaubt es kaum, aber laut Daten von Eurostat liegt die Wiederverwertungsrate von Bauabfall und Bauschutt in den Niederlanden, in Griechenland und in Malta bei 100 Prozent. Österreich liegt mit 91 Prozent Wiederverwertung im europäischen Mittelfeld. Laut diesen Daten haben wir also noch Spielraum nach oben.

Angela Köppl

100 Prozent? Wie ist das möglich?

Indem man nichts auf die Deponie führt.

Angela Köppl

Initiativen wie etwa das BauKarussell oder die Materialnomaden beklagen immer wieder, dass es seitens der Bauträger Interesse an Produkten gebe, dass eine Wiederverwendung und Weiterverwertung aber meistens an Normen, Haftung und Gewährleistung scheitert.

Das stimmt leider. Wenn wir den Gedanken der Kreislaufwirtschaft ernst nehmen wollen, dann wird kein Weg daran vorbeiführen, Normen und Vorschriften anzupassen. Kreislaufwirtschaft ist bislang noch nicht im Fokus der legistischen Rahmenbedingungen. Da gibt es noch Nachholbedarf.

Angela Köppl

Wie wahrscheinlich ist das, wenn man bedenkt, dass die Normungsausschüsse zu einem überwiegenden Teil mit Vertretern der Industrielobby besetzt sind?

Das wird nicht einfach! Bis sich entsprechende Standards und Richtlinien zu Recycling und Kreislaufwirtschaft auch in der Norm wiederfinden, wird wohl noch Zeit vergehen. Das hängt auch davon ab, wie sich die Vorgaben der EU hier entwickeln. Die EU ist auf dem Gebiet der Kreislaufwirtschaft ein wichtiger Treiber.

Angela Köppl

Mit der Dekarbonisierung bis 2040 kommt auf die gemeinnützige Wohnungswirtschaft eine Mammutaufgabe zu. Viele Bauträger klagen, dass die teuren, aufwendigen Maßnahmen im Rahmen der bisherigen Wohnbauförderung kaum zu realisieren seien und dass für die Dekarbonisierung zusätzliche Fördertöpfe mobilisiert werden müssten.

Der gemeinnützige Sektor hat hier eine wichtige Vorbildfunktion. Damit sich die Bemühungen und Aufwendungen eines Tages nicht in höheren Mieten niederschlagen, denn dann bekommen wir zum ökologischen noch ein soziales Problem dazu, wird es wahrscheinlich weitere Finanzierungsmodelle brauchen. Das ist ein möglicher Weg von vielen.

Angela Köppl
Angela Köppl ist Wirtschaftsforscherin und arbeitet seit 1992 für das Wifo und ist in der Forschungsgruppe „Klima-, Umwelt- und Ressourcenökonomie“ tätig. Bis Sommer 2023 war sie Vizepräsidentin des Austrian Chapter of the Club of Rome. www.wifo.ac.at

Haben wir überhaupt noch genug Zeit?

Ich gebe zu: Auch mir geht das viel zu langsam. Aber ich nehme wahr, dass sich schon viel tut, dass es wertvolle Impulse und Initiativen gibt. Hinzu kommt, dass es ab Mitte des Jahrzehnts eine Ausweitung des EU-Emissionshandels für den Gebäude- und Verkehrssektor geben wird. Durch die EU-weite CO₂-Bepreisung kann eine weitere Motivation für emissionsmindernde Maßnahmen entstehen.

Angela Köppl

Die Tonne CO₂ kostet die energieintensive Industrie aktuell etwa 80 Euro. Ist das nicht viel zu wenig? Müsste der Preis nicht irgendwo bei 500 Euro pro Tonne liegen, wenn wir wirklich etwas verändern wollen?

Die CO₂-Bepreisung wurde 2005 eingeführt und lag damals bei 30 Euro pro Tonne. Sie hat sich seitdem fast verdreifacht. Wir sind am richtigen Weg. Es gibt unterschiedliche Expertenschätzungen, die davon ausgehen, dass eine effektive, zielführende Bepreisung bei 200 bis 300 Euro pro Tonne CO₂ liegen müsste. Und ja, im Sinne von Reconstructing im Sinne einer Kreislaufwirtschaft – nämlich das möglichst lange Halten der materiellen Ressourcen im Wirtschaftskreislauf – wäre ein wirksamer CO₂-Preis ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Angela Köppl

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