Klimapositive Baumaterialien aus dem Moor

Schilf auf dem Dach, Rohrkolben in der Wand – wie es beim Bauen und Wohnen „rumooren“ könnte

Bauen und Wohnen im Moor war bisher nicht gut verträglich. Beide Seiten leiden darunter, sowohl die durch Menschen errichteten Gebäude aufgrund der Moorsackung und die entwässerte Landschaft durch hohe Emissionen aus den trockenen Böden. Aber Moor in Haus und Wohnung packen, das geht und ist mit einem dicken Plus fürs Klima verbunden. Warum wir also dringend nicht nur Dächer mit Schilf decken, sondern Wände mit Rohrkolben dämmen oder Möbel aus Nasswiesengräsern bauen sollten, warum wir es noch nicht tun und was das für das Klima bedeutet…

Von Franziska Tanneberger und Nina Körner

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„Moore sind nicht unheimlich, sondern unheimlich wichtig, für das Klima, für uns und für immer!“, Hans Joosten, emeritierter Professor für Moorkunde an der Universität Greifswald, wird nicht müde dies immer wieder zu betonen. Und als niederländischer Muttersprachler in einer verkürzten Übersetzung ins Deutsche: „Moor muss nass!“

„Moor muss nass“

Warum? Komprimiert lautet die Antwort: Weil sich die Klimakrise ohne intakte Moore nicht eindämmen lassen wird. Weltweit bedecken Moore lediglich 3% der Landfläche, enthalten aber etwa doppelt so viel Kohlenstoff wie die Biomasse aller Wälder der Erde zusammen − aber nur, wenn sie intakt sind, also nass. Durch die Wassersättigung des Bodens und damit unter Luftabschluss zersetzen sich Moose und Wurzeln nicht, sondern bilden Torf. Unheimlich langsam, lediglich einen Millimeter pro Jahr, haben die Torfe vieler Moore, die eigentlich nichts anderes sind als Kohlenstoff, meterdicke Schichten akkumuliert. Angesichts des Klimawandels ist der Torf schwarzes Gold. Die Menschheit hat es allerdings folgenschwer verprasst.

Seit hunderten von Jahren haben Menschen Moorböden für Land- oder Forstwirtschaft sowie den Abbau von Torf trockengelegt und damit stark zerstört. Gelangt Sauerstoff an das organische Material, wird es von Mikroben zersetzt und als klimaschädliches Kohlendioxid in die Atmosphäre freigesetzt. Trockengelegt wandelt sich das Moor vom Klimaschützer zur Kohlendioxidschleuder. Je tiefer der Boden entwässert wird, desto mehr Treibhausgase werden freigesetzt.

In Deutschland sind heute 95% der Moorböden für diese Nutzungen entwässert. Auf ihnen wächst zum Beispiel Mais für Bioenergie oder weiden Kühe für die Erzeugung von „Moormilch“. Beide Produkte haben eine verheerende Klimabilanz. Berechnet man ihren Klimaschaden, dann schneidet Biogas-Mais auf Moor schlechter ab als Braunkohle und mit einem Liter Moormilch konsumieren wir umgerechnet ein Äquivalent von fünf Litern fossilen Erdöls. So gehen in Deutschland sieben Prozent der gesamten inländischen Treibhausgasemissionen auf das Konto entwässerter Moore.

Eine Emissionsquelle, die bisher wenig bekannt und oft übersehen ist. In entwässerten Mooren sackt zudem der Boden. Um eine übliche Nutzung weiterzuführen, muss tiefer entwässert werden. Der Boden sinkt weiter, seine Qualität nimmt immer weiter ab. Was steigt, sind die Kosten weiterer Entwässerung. Nicht selten sind solche Flächen irgendwann für jegliche weitere übliche Nutzung verloren.

Was tun?

Was also tun? Eine weitere komprimierte Antwort: Moorböden wiedervernässen und diese nassen Flächen nachhaltig nutzen. Das Wiedervernässen von Moor stellt nicht automatisch einen ursprünglichen Zustand her. Aber hebt man den Wasserstand, am besten auf Bodenniveau, dann sinken die klimaschädlichen CO2-Emissionen in kurzer Zeit auf Null. Um das Pariser Klimaschutzabkommen mit dem daraus abgeleiteten Ziel von Netto-Null CO₂-Emissionen bis spätestens 2050 einzuhalten, müssten in Deutschland nach den Berechnungen des Greifswald Moor Centrum jährlich etwa 50.000 ha Moorboden wiedervernässt werden. Rückwirkend ab dem Jahr 2020 wäre dies eine Fläche so groß wie der Bodensee – pro Jahr. Die Realität ist vom Anspruch weit entfernt – derzeit gibt es in Deutschland lediglich rund 2.000 Hektar wiedervernässte Fläche jährlich.

Den berechneten Flächenbedarf für eine Nutzung zu verlieren kann sich die Menschheit nicht leisten, gerade jetzt, da erdölbasierte Erzeugnisse durch Produkte aus erneuerbaren, nachwachsenden Rohstoffen ersetzt werden müssen. Und es geht hier um etwa 1 Million Hektar derzeit entwässerte landwirtschaftliche Nutzfläche. Insgesamt haben die notwendigen Veränderungen auf der ganzen Moorfläche Deutschlands – 1.8 Millionen Hektar – die Dimension des Kohleausstiegs. Die gute Nachricht: Wiedervernässte Moore lassen sich in einer klimafreundlichen Art der Landwirtschaft nutzen und liefern Rohstoffe für Bau-, Dämm- und Werkstoffe, Pappe und Verpackungen, Plattformchemikalien und Biokunststoffe. Als Energieträger können sie beitragen zur regionalen Wärmewende.

Biomasse aus nassen Mooren lässt sich als Futter verwenden und kann Torf in gärtnerischen Erden beim Erwerbsgartenbau ersetzen. Das Wort dafür setzt sich zusammen aus dem lateinischen palus für Moor oder Sumpf und cultura, also Landwirtschaft – Paludikultur. Der mehrfache Gewinn dabei: Die oberirdisch geerntete Biomasse z.B. von Moorpflanzen wie Schilf, Rohrkolben oder Torfmoosen ersetzt in Produkten fossile Ressourcen. Sind sie langlebig wie Möbel aus Erlenholz, wird in ihnen Kohlenstoff eingelagert oder zwischengelagert. Durch die Wiedervernässung der Fläche und damit den vermiedenen zukünftigen Emissionen haben diese Rohstoffe einen höheren Klimagewinn als vergleichbare andere ökologische und kreislauftaugliche Produkte.
Da die unterirdische Biomasse bei Paludikultur nicht angetastet wird, kann sich neuer Torf bilden und Kohlendioxid zusätzlich festlegen.

Was hat das mit Wohnen zu tun?

Rohrkolbenernte Foto: Tobias Dahms

Aber was hat das alles mit Wohnen zu tun? Viel! Denn die ökonomisch sinnvollste Verwertung der Biomasse aus Moorpflanzen ist ihre Verwertung in Baumaterialien in Gebäuden oder auch in Möbeln. Schilf (Phragmites australis) ist das bekannteste Beispiel dafür, traditionell findet es sich als Reet auf Dächern wieder mit einer Haltbarkeit zwischen 45 und 100 Jahren. Schilf gibt es aber auch als Putzträger, in Leichtbau-, Akustik- oder Dämmplatten.

Rohrkolben (Typha) in der Wand – das klingt schon ungewöhnlicher. Um nicht abzuknicken hat die Pflanze, die mehrere Meter hoch wachsen kann, in Blättern und Halmen eine Struktur aus vielen Luftkammern. Sie ist ein Superisolierer, für Dämmstoffe also ideal. Da Rohrkolben im Nassen wächst, besitzt er auch ein hohe natürliche Resistenz gegen Pilzbefall. Er lässt sich gehäckselt in Wände einblasen oder auch zu Platten gepresst in diesen verbauen. Er taugt auch für Bauplatten zur Konstruktion. Das Unternehmen typhaboard produziert diese, allerdings halbmanuell und in Kleinserie. Als Grundlage für Gartenerden könnte Typha verwendet werden und seine feine, weiche Samenwolle als Material für Kissen und möglicherweise Kleidung.

Hart aber hochwertig ist das Holz der Schwarzerle, die auf moorigen Böden in Paludikultur gut wachsen kann und für Innenausbau und Möbel sehr gut nutzbar ist. Möbel aus Gras – auch das ist möglich. Die Firma Gramitherm produziert Fasermatten aus Feuchtwiesengras zur Dämmung und das Start up Moor-and-more presst aus den Halmen Platten für Möbel, die sogar eingefärbt werden können, natürlich verträglich zum Beispiel mit Lebensmittelfarbe. Um die verschiedenen Baustoffe zu zeigen, hat das kleine Unternehmen ein mobiles Paludikultur-Tiny House gebaut. So können Schilf als Schalldämpfer, Rohrkolben in der Wand, Erle in der Küchenplatte und Feuchtwiesengras im Einbauschrank auf Baumessen, Umweltfestivals und anderen Anlässen gezeigt werden.

Wärme aus dem Moor

Wohnen und Heizen – auch ein aktuelles Thema und eines mit Bezug zu Moor. In der Kleinstadt Malchin in Mecklenburg-Vorpommern wird Wärme aus Moor gewonnen. Das dortige Heizwerk nutzt das Heu der umgebenden feuchten nassen Niedermoor-Wiesen als Brennstoff. Seit 2014 liefert es Wärme und Heißwasser für über 500 Haushalte, einen Kindergarten, zwei Schulen und Bürogebäude. Angesichts der steigenden Energiepreise durch den Krieg in der Ukraine wertete die Stadt diese dezentrale und regionale Energieversorgung in der Lokalpresse derzeit als großes Plus.

Heizpellets aus Niedermoorbiomasse. Foto: Tobias Dahms

Für die Klimaverträglichkeit der Orchidee auf dem Fensterbrett, aber auch für den Anbau etwa von Erdbeeren oder Tomaten im großen Stil spielen nasse Flächen ebenso eine Rolle. Zierpflanzen sowie Obst und Gemüse werden überwiegend auf Gartenerden angebaut, die überwiegend aus Torf bestehen. Also aus einer fossilen, endlichen Ressource, die trocken zur einem Kohlendioxidemittenten per excellence wird. Eine kleine Pflanze könnte dieses große Problem lösen und Torfersatz liefern: das Torfmoos. Es ist ein nachwachsender Rohstoff, kann viel Wasser speichern, lässt sich anbauen und zu Substrat verarbeiten.

Dr. Franziska Tanneberger leitet seit 2015 das Greifswald Moor Centrum (GMC). Im Januar 2023 schloss sie Ihre Habilitation „Biodiversity and ecosystem services of near-natural and rewetted fens in Central and Eastern Europe – between wilderness and paludiculture“ ab. Franziska Tanneberger ist Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE). 
Website: www.greifswaldmoor.de E-Mail: info@greifswaldmoor.de

Besser als „nur“ Klimaneutral

Putzträger, Bau-, Dämm- und Brandschutzplatte, Einblasdämmung, Biomasse zum Heizen oder Substrat, das alles ließe sich herstellen auf nassen Moorflächen – sogar mit einer positiven Klimabilanz. Die Produkte wären also besser als „nur“ klimaneutral, denn im Vergleich mit anderen ökologisch und nachhaltig produzierten Rohstoffen und Erzeugnissen sind sie durch die eingesparten Emissionen aus dem Boden noch klimafreundlicher. Und das bei weiteren Ökosystemdienstleistungen, die nass bewirtschaftete Flächen gleichzeitig „im Nebeneffekt“ erbringen, etwa Nährstoffrückhalt, Grundwasserspeicherung und Landschaftskühlung. Wissenschaftler:innen haben an Paludikultur geforscht, mutige Paludikultur-Pionierinnen und Tüftler:innen haben Prototypen produziert. Aber am Markt gibt es das noch kaum und – falls doch, dann nicht annähernd so klimafreundlich, wie es sein könnte.

Wir brauchen eine Moorlandwirtschaft Warum macht es dann nicht jeder? Warum ist das so zäh? Seit 2014 gehört die Rohrwerbung, also Anbau, Ernte und Produktion von Schilf für Reet, wie das gesamte Reetdachdecker-Handwerk zum bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO. Doch das in Deutschland auf Dächer gepackte Reet stammt lediglich zu ca. 15% aus einheimischen Beständen. Den Bedarf decken Importe von weither, etwa aus China oder der Türkei. Der Transport über tausende von Kilometern verhagelt die Klimabilanz dieses NaWaRo. Um den Bedarf von Dachreet in Deutschland mit regionaler Produktion zu decken, bräuchte es ca. 10.000 ha Schilffläche.

Doch im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern gilt Rohrwerbung gar nicht als Landwirtschaft, unterstützende Subventionen gibt es nicht. Grund ist hierzulande die fehlende Beihilfefähigkeit für Schilf, wobei Schilfmahd in Polen schon seit dem EU-Beitritt des Landes 2005 als Landwirtschaft anerkannt ist. Das ist im Falle von Landwirtschaft auf entwässerten Böden anders. Dabei spielt die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union eine Rolle. Diese subventioniert das Wirtschaften „auf dem Trockenen“ in Deutschland gerade mit geschätzten 410 Millionen Euro an Direktzahlungen jährlich. Verständlich, dass Landwirt:innen Flächen eher entwässert nutzen wie bisher, als Grünland oder Maisacker.

Nina Körner arbeitet am Greifswald Moor Centrum (GMC) und ist zuständig für Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation.
E-Mail: nina.koerner@greifswaldmoor.de 

Das Greifswald Moor Centrum hat den Schaden gegengerechnet: Aus den so bewirtschafteten Flächen treten pro Jahr ca. 42 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente aus – das sind vier Fünftel der insgesamt 53 Millionen Tonnen Emissionen aus Moorböden. Die Umweltfolgekosten belaufen sich mit den von Umweltbundesamt veranschlagten knapp 200 Euro pro Tonne auf jährlich über 8 Milliarden Euro. Diese Summe entspricht in etwa der Netto-Wertschöpfung der gesamten deutschen Landwirtschaft!

Rohrkolben baut noch niemand wirklich an. Wissenschaftler:innen der Universität Greifswald haben deshalb zusammen mit Landwirt:innen in einem Projekt gezeigt, dass dieser sich als Nutzpflanze kultivieren lässt und sich dies lohnt. Nahe dem Kummerower See haben sie eine acht Hektar große Fläche dafür eingerichtet und Rohrkolbensamen per Drohne ausgesät. Sie suchen den Superkolben auch per Genanalyse, untersuchen die aufwachsende Biomasse, die Wirtschaftlichkeit des ganzen Unternehmens.

Sie sind sich sicher: Rohrkolben liefert Landwirt:innen und Verwerter:innen eine tolle Möglichkeit, einen wertvollen Rohstoff von wiedervernässten Flächen zu gewinnen. Doch einfach so geht das nicht. Wasser muss durch Dämme in der Fläche gehalten, der Wasserstand immer kontrolliert werden, es braucht spezielle Erntemaschinen, insgesamt also hohe Investitionen. Kaum leistbar und ein hohes Risiko für den einzelnen Landwirt:in oder Flächeneigentümer:in.

Alles richtig zu machen auf dem Moor, kann nicht Sache des Einzelnen sein. Jahrhunderte der Entwässerung zu revidieren ist eine Aufgabe für die gesamte Gesellschaft. Um für den Klimaschutz in großem Stil trockengelegte Moorflächen wiederzuvernässen, in Paludikultur zu nutzen, damit „Carbon farming“ zu betreiben und klimafreundliche Produkte zu generieren, braucht es die passenden rechtlichen Rahmenbedingungen, Förderungen, Lieferketten und Absatzmärkte. Finanzieren ließe sich die Kosten etwa mit Kohlenstoffzertifikaten und anteilig aus Fördertöpfen, etwa dem aktuellen Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz der Bundesregierung.

Parallel braucht es die Nachfrage aus der Wirtschaft, damit den Landwirt:innen die Biomasse auch wirklich abgenommen wird. Dazu hat die Inititative toMOORow gerade eine Studie zu Nachfragepotentialen durchgeführt – schon bei kleinen Beimischungen von Moor-Biomasse besteht in Deutschland bei stofflicher Nutzung Bedarf für mehrere hunderttausend Hektar nasse Moore. Auch Photovoltaik wird derzeit diskutiert und kann auf stark degradierten Mooren eine sinnvolle Landnutzung sein. Vor allem aber braucht es breite öffentliche Akzeptanz für nasse Landschaften und den politischen Willen dazu, bevor es in vielen Wohnungen, Wohnhäusern und anderen Gebäuden „rumooren“ kann.

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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