Mieterstrom im Mehrfamilienhaus: Drei Wege durch den Dschungel aus Technik, Tarifen und Regulierung

Wie Pionierkraft, SmartRED sowie EINHUNDERT & Officium unterschiedliche Antworten auf dieselbe Frage geben: Wie kommt mehr Solar- und Grünstrom sinnvoll in den Bestand?

Mieterstrom gilt seit Jahren als Hoffnungsträger: Mehr Solarstrom auf die Dächer, günstigere Tarife für Mieter:innen, zusätzliche Erlöse für Eigentümer. Die Realität im Mehrfamilienhaus sieht oft anders aus: komplexe Projektstrukturen, regulatorische Stolpersteine und zurückhaltende Investoren.

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Im Mieterstrom-Panel der HEIKOM 2025 treten drei Anbieter an, die das Problem aus unterschiedlichen Richtungen angehen:

  • Pionierkraft will Mieterstrom radikal vereinfachen und setzt auf ein Gerät, das PV-Strom hinter den Wohnungszählern verteilt – ohne klassische Vollversorgerlogik.
  • SmartRED argumentiert, dass Mieterstrom allein „nicht einmal die halbe Miete“ sei – wirtschaftlich lohnend werde es erst in Kombination mit Ladeinfrastruktur und integrierter Abrechnung.
  • EINHUNDERT & Officium denken noch größer: Sie verbinden digitales Messwesen, Mieterstrom und Wärmewende in einer gemeinsamen Plattform für die Energietransformation im Bestand.

Dieser Überblicksartikel ordnet die drei Ansätze ein – die vertiefenden „Deep Dives“ zu den einzelnen Unternehmen sind weiter unten verlinkt.

Die Herausforderungen im Mieterstrom-Alltag

1. Zu wenig PV auf Mehrfamilienhäusern

Trotz politischer Programme sind nur wenige MFH-Dächer mit PV belegt. Gründe:

  • komplexere Eigentümerstrukturen als im Einfamilienhaus,
  • unklare Rollen bei Betrieb und Abrechnung,
  • Unsicherheit, wer langfristig Verantwortung und Risiken trägt.

2. Modelle sind rechtlich sauber – aber nicht skalierbar

  • Klassischer Mieterstrom mit Vollversorgerpflicht bindet Betreiber und Mieter eng aneinander und erhöht die Verantwortung auf Eigentümerseite.
  • Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung (GGV) setzt auf Smart-Meter-Gateways und komplexe Messkonzepte – in der Breite noch nicht etabliert.

Viele Projekte enden als Einzelfalllösung. Für große Portfolios ist das ein Problem.

3. Wirtschaftlichkeit im Spannungsfeld von Förderpolitik und Marktpreisen

  • Einspeisevergütungen liegen deutlich unter Endkundenpreisen.
  • Diskussionen um Direktvermarktungspflicht, steigende Netzentgelte und volatile Marktpreise erschweren langfristige Kalkulationen.

4. Drei parallele Transformationswellen

  • Digitalisierung des Messwesens (Submetering & Smart Metering),
  • Ausbau von PV & Speichern,
  • Umstieg auf Wärmepumpen.

Laufen diese Wellen unkoordiniert, entstehen Medienbrüche, doppelte Arbeiten und ineffiziente Prozesse.

5. Mangel an integrierten Prozessen

Daten laufen heute oft „durch mehrere Hände“, bevor sie in Abrechnung, ERP oder Reporting landen. Das bremst Skalierung und frustriert Verwalter, Eigentümer und Dienstleister gleichermaßen.

Drei Lösungsansätze im Vergleich

1. Pionierkraft: Mieterstrom „light“ – PV-Strom als Zusatzprodukt

Grundidee: Ein Gerät verteilt und misst ausschließlich den lokal erzeugten PV-Strom hinter den Wohnungszählern.

  • Bestehende Lieferverträge bleiben unberührt, Mieter:innen behalten ihren Stromanbieter.
  • PV-Strom wird als zusätzlicher, lokaler Grünstromtarif angeboten – ohne Vollversorgerpflicht.
  • Regulatorische Anforderungen klassischer Mieterstrom- und GGV-Modelle greifen nach Lesart des Anbieters weniger tief.

Rolle der Wohnungswirtschaft:

  • Verwalter stoßen Projekte an und organisieren den Betrieb,
  • Messdienstleister lesen den PV-Anteil am Gerät aus,
  • Pionierkraft liefert Hardware und Software, aber keine Vollversorgung.

Charakter:

Niedrigschwelliger Einstieg ins Thema PV im Mehrfamilienhaus. Besonders geeignet, um ungenutzte Dächer in einfachen Strukturen zu aktivieren.

2. SmartRED: Mieterstrom + E-Mobilität als Geschäftsmodell

These: „Mieterstrom ohne Ladepunkte ist nicht einmal die halbe Miete.“

SmartRED argumentiert, dass sich PV im Mehrfamilienhaus erst wirklich rechnet, wenn Ladeinfrastruktur mitgedacht wird:

  • Beispielhafte Erlösleiter:
    • Einspeisung ~7,86 ct/kWh,
    • Mieterstrom ~22 ct/kWh,
    • PV-Ladestrom an privaten Ladepunkten ~30 ct/kWh,
    • öffentlicher PV-Ladestrom bis ~40 ct/kWh.

Technische und organisatorische Bausteine:

  • Plattform für Mieterstrom, Wallboxen, öffentliche Ladepunkte und Dienstwagen-Abrechnung,
  • rund 300 Installationspartner bauen PV-Anlagen und Ladepunkte,
  • Abrechnungsdienstleister übernehmen Tarifierung, Rechnungsstellung und Mahnwesen.

Charakter:

Konsequent wirtschaftlich gedacht: PV, Mieterstrom und Ladeinfrastruktur als integrierte Erlösmaschine mit Kooperationsmodell statt Eigenbetrieb.

3. EINHUNDERT & Officium: Energietransformation als Plattform

Leitbild: Submetering, Strom und Wärme gehören auf eine gemeinsame Bühne.

Die Referenten Birger Ohl und Dr. Ernesto Garnier skizzieren drei Dimensionen:

  1. Submetering / Metering – digitale Messung von Wärme, Wasser und Strom.
  2. Strom – Gebäude werden mit PV, Speicher und Mieterstrom zum Prosumer.
  3. Wärme – Heizungssanierung und Wärmepumpen-Contracting werden Teil des Energiesystems.

Angebot der Gruppe:

  • Funk-Submetering, Smart Meter, PV-Anlagen, Speicher und Wärmepumpen,
  • Planung, Finanzierung, Installation und Betrieb im Full-Service-Modell,
  • eine gemeinsame, digitale Plattform für Abrechnung, Steuerung und Reporting,
  • Integration von Messdienstleistern und Verwaltern, um Daten nur einmal ins System zu bringen.

Charakter:

Großes Bild: Energietransformation als durchgängige Prozess- und IT-Landschaft für die gesamte Wohnungswirtschaft.

Was bedeutet das für Entscheider:innen?

1. Welcher Einstieg passt zu welchem Bestand?

  • Pragmatische Pionierprojekte:
    • einfache Eigentümerstruktur,
    • klarer Wunsch nach PV, aber wenig Lust auf Vollversorgerrolle.
      → Gerätebasierte Modelle à la Pionierkraft können ein sinnvoller „Testballon“ sein.
  • Standorte mit E-Mobilitätsdruck:
    • Tiefgaragen, Stellplätze, Flottennutzung,
    • Mieter:innen mit wachsendem Ladebedarf.
      → Integrierte PV- und Lade-Lösungen wie bei SmartRED bieten einen klaren Mehrwert.
  • Große Portfolios mit vielen Baustellen gleichzeitig:
    • Submetering-Nachrüstung, Smart-Meter-Rollout, Heizungssanierungen.
      → Plattformansätze wie EINHUNDERT & Officium adressieren genau diese Parallelität.

2. Welche Rolle will das Unternehmen selbst spielen?

  • Eher Enabler mit starkem Fokus auf Partnern (Messdienst, Energieversorger, Plattformanbieter)?
  • Oder aktiver Marktteilnehmer, der selbst Mieterstrommodelle und Ladeinfrastruktur verantwortet?

Je klarer diese Rolle definiert ist, desto einfacher wird die Partnerwahl.

3. Wie viel Komplexität ist intern abbildbar?

  • Wer über begrenzte eigene Energie-Expertise verfügt, wird eher zu Full-Service- oder Plattformlösungen tendieren.
  • Wer bereits mit wettbewerblichen Messstellenbetreibern und spezialisierten Abrechnungsdienstleistern arbeitet, kann gezielt Baustein-Lösungen kombinieren.

Was jetzt zu tun ist

  1. Portfolio segmentieren
    • Wo gibt es „Low-Hanging-Fruit“-Dächer für einfache PV-Lösungen?
    • Welche Standorte sind für Ladeinfrastruktur prädestiniert?
    • Wo stehen ohnehin Heizungssanierungen oder Zählerwechsel an?
  2. Strategie für Rolle & Tiefe festlegen
    • Welche Aktivitäten sollen intern gesteuert werden, was geht in Dienstleistung?
    • Welche Marktrollen (Messstellenbetrieb, Stromlieferung, Contracting) kommen infrage?
  3. Mess- und Datenkonzept als Backbone definieren
    • Wie kommen Verbrauchs- und Erzeugungsdaten in Abrechnung, ERP und ESG-Reporting – und zwar ohne doppelte Erfassung?
  4. Piloten bewusst unterschiedlich aufsetzen
    • Ein Projekt mit schlankem Zusatzstrom-Modell,
    • ein Standort mit Fokus Mieterstrom + Ladeinfrastruktur,
    • ein Objekt, bei dem Messwesen, PV und Wärme gebündelt neu gedacht werden.

→ So lassen sich reale Erfahrungen mit verschiedenen Modellen sammeln, bevor groß skaliert wird.

  1. Governance & Partnerlandschaft strukturieren
    • Klare Verantwortlichkeiten intern (Technik, Recht, Kommunikation, ESG).
    • Partner-Ökosystem definieren: Messdienstleister, Plattformanbieter, Installationsbetriebe, Abrechnungsdienstleister.

Fazit

Mieterstrom im Mehrfamilienhaus ist längst kein Nischenthema mehr – aber auch weit entfernt von einem „Plug & Play“-Produkt. Das HEIKOM-Panel macht deutlich:

  • Manche Anbieter – wie Pionierkraft – setzen auf maximale Vereinfachung, um überhaupt Bewegung aufs Dach zu bringen.
  • Andere – wie SmartRED – verknüpfen Mieterstrom konsequent mit E-Mobilität und sehen Ladeinfrastruktur als Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit.
  • Und wieder andere – wie EINHUNDERT & Officium – denken Submetering, Strom und Wärme als integriertes Gesamtsystem.

Für Entscheider:innen in der Wohnungswirtschaft heißt das: Es gibt nicht den einen richtigen Weg, sondern eine wachsende Auswahl an Geschäftsmodellen und Kooperationsformen. Wer seine Bestände gut kennt, eine klare Rolle definiert und Messwesen, Strom und Wärme nicht mehr getrennt plant, kann aus diesen Bausteinen tragfähige, skalierbare Lösungen für die eigene Energietransformation zusammensetzen.

Das Wichtigste auf einen Blick

  • Ausbau-Lücke: Auf Einfamilienhäusern boomen PV-Anlagen – auf Mehrfamilienhäusern bleibt ein Großteil der Dächer ungenutzt, obwohl Mieterstrommodelle und GGV seit Jahren existieren.
  • Komplexität bremst: Vollversorgerpflicht, Smart-Meter-Gateways, Netzanschlüsse, Abrechnung und Regulatorik machen viele Modelle schwer skalierbar.
  • Drei Lösungsrichtungen im Panel:
    • Pionierkraft: Mieterstrom radikal vereinfachen – PV-Strom als Zusatzprodukt „hinter dem Zähler“.
    • SmartRED: Mieterstrom immer mitdenken mit E-Mobilität & Ladeinfrastruktur – PV + Wallbox + Abrechnung als integriertes Geschäftsmodell.
    • EINHUNDERT & Officium: Energietransformation als Gesamtpaket aus Submetering, Smart Metering, Mieterstrom, Speicher und Wärmepumpe.
  • Gemeinsamer Nenner: Verwalter und Messdienstleister sind Schlüsselfiguren – ohne sie lassen sich weder einfache Geräte-Modelle noch komplexe Plattformansätze in die Fläche bringen.
  • Für Entscheider:innen: Es gibt keinen „One size fits all“-Ansatz. Je nach Bestand, Strategie und Risikobereitschaft können schlanke Modelle, E-Mobilitäts-Fokus oder integrierte Plattformen sinnvoll sein.

Glossar – zentrale Begriffe im Überblick

  • Mieterstrom
    Strom aus einer PV-Anlage auf oder an einem Gebäude, der direkt an die Bewohner geliefert wird – meist zu einem vergünstigten Tarif gegenüber dem Standardmarkt.
  • GGV (gemeinschaftliche Gebäudeversorgung)
    Modell, bei dem mehrere Parteien im Gebäude gemeinschaftlich versorgt werden; setzt u. a. auf Smart-Meter-Gateways und erweiterte Messkonzepte.
  • „Hinter dem Zähler“
    Technische Einbindung eines Systems auf Ebene der Wohnungszähler, ohne das Hauptmesskonzept zu verändern; bestehende Lieferverträge bleiben bestehen, Zusatzprodukte werden aufgeschaltet.
  • Submetering
    Wohnungsweise Messung und Abrechnung von Wärme-, Wasser- und Stromverbräuchen über untergeordnete Zähler – z. B. Heizkostenverteiler, Wärmemengenzähler.
  • Prosumer
    Kombination aus Producer und Consumer: Gebäude, die zugleich Strom erzeugen (z. B. mit PV) und verbrauchen.
  • PV-Ladestrom
    Strom für Elektrofahrzeuge, der ganz oder teilweise aus der lokalen PV-Anlage stammt – häufig mit spezifischen Tarifen für Bewohner oder öffentliche Nutzer.
  • Wärme-Contracting
    Modell, bei dem ein Dienstleister Heiztechnik (z. B. Wärmepumpe) plant, finanziert, installiert und betreibt und die Wärme als Dienstleistung abrechnet.

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Autor: Redaktion Wohnungswirtschaft Heute – HEIKOM-Sonderausgabe 2025

Foto: DEUMESS – Frank Schütze / Fotografie Kranert

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