Matthias Günther, Pestel Institut, und Dr. Ronald Rast, DGfM: Baufirmen, Mieter, Vermieter und Investoren – das bewirkt Corona

Corona bedroht nicht allein unsere Gesundheit. Mittlerweile hat sich das Virus auch auf die deutsche Wirtschaft übertragen. Vormals gesunde Unternehmen kämpfen heute ums Überleben. Während die Automobil- und Luftfahrtbranche bereits seit Wochen stillstehen, spürt der Wohnungsbau erst seit kurzem die Auswirkungen der Corona-Krise.

Im Interview mit dem Immobilien-Fachmagazin „Wohnungswirtschaft heute.“ erläutern Matthias Günther, Vorstand des Pestel Instituts Hannover, und Dr. Ronald Rast, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau, welche Auswirkungen die Pandemie auf den deutschen Wohnungsmarkt hat und längerfristig haben könnte. 

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Herr Dr. Rast, auf deutschen Baustellen wird nach wie vor gearbeitet. Ist die Baubranche resistent gegen das Corona-Virus?

Dr. Ronald Rast: Nein, auch am Bau machen sich die Auswirkungen langsam bemerkbar. Zwar profitiert der Bau noch von Auftragsüberhängen aus dem vergangenen Jahr. Die Schließung der innereuropäischen Grenzen verschärft jedoch den Fachkräftemangel, der ab dem zweiten Quartal 2020 zu einem spürbaren Rückgang der Bautätigkeit führen könnte, wenn hier politisch nicht kurzfristig gegengesteuert wird.

Hinzu kommen Lieferengpässe, die bisher vor allem Baumaterialien aus europäischen Nachbarländern betreffen. Wer alles nur just in time ohne Reserven oder Ausweichmöglichkeiten geplant hat, steht dann schnell vor großen Problemen.

Hier wird zukünftig sicher auch über die Lieferketten am Bau nachgedacht werden, obwohl zum Glück und aus Effizienzgründen noch viel mit regional verfügbaren Baumaterialen gemacht wird. Das ist mit Sicherheit ein Vorteil im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen.

Dr. Ronald Rast

Herr Günther, wird Corona auch die Wohnungsmärkte infizieren? 

Aus meiner Sicht wird die Krise im Wohnungsbau zeitverzögert kommen und zunächst das hochpreisige Segment betreffen. Wenn Konzerne wie die Lufthansa, die Autohersteller oder die TUI ins Schlingern kommen, sind auf einen Schlag mehrere 100.000 gutverdienende Mitarbeiter, die von einem dauerhaft gesicherten Job ausgegangen waren, auf Kurzarbeit.

Auch wenn die Arbeitgeber in vielen Fällen das Kurzarbeitergeld aufstocken, ist doch das Vertrauen in die Sicherheit des Arbeitsplatzes nicht mehr gegeben. Wenn der Arbeitgeber das Kurzarbeitergeld nicht aufstockt, wird die Lage schnell problematisch. Hatte die Wohnungsmiete zuvor einen Anteil von 25 % am Nettoeinkommen, so sind es beim Single mit Kurzarbeitergeld plötzlich über 40 %.

Noch schwieriger ist die Lage für Menschen, die sich eine Eigentumswohnung gekauft oder ein Haus gebaut haben. Wenn nur noch 60 oder 67 % des bisherigen Nettoeinkommens zur Verfügung stehen, steigen die Belastungen für Zins und Tilgung von vorher bei gutem Einkommen verkraftbaren 40 % auf nunmehr 60 %. Das kann dazu führen, dass die Zahl der Zwangsversteigerungen steigt.

Um dies zu vermeiden, gibt es in den Niederlanden einen Sicherungsfonds, in den Bauherren weniger als 1 % der Bausumme einzahlen. Können sie Kredite nicht mehr bedienen, springt der Fonds ein und arbeitet mit dem Schuldner eine Umschuldung aus. 

Matthias Günther
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Wie erleben Sie die Arbeitsfähigkeit in den Ämtern und Behörden in der aktuellen Situation?

Angesichts der Lage wurde der Publikumsverkehr in den Bauämtern von einem Tag auf den anderen eingestellt. Ein Teil der Mitarbeiter arbeitet im Homeoffice, kann aber offensichtlich nicht immer auf den Aktenbestand zugreifen oder hat zu Hause mit technischen Problemen zu kämpfen. Die Bearbeitung von Bauanträgen hat sich jedenfalls dadurch erheblich verlängert.

Verzögerungen entstehen dabei nicht nur in der Planungs- und Genehmigungsphase, weil Ämter und Kommunen Entscheidungen zu Bauvorhaben, B-Planverfahren sowie zur Schaffung von Planungsrecht nicht mehr unter Wahrung der üblichen Fristen treffen. Auch die notwendige Begleitung laufender öffentlicher Baumaßnahmen leidet darunter.

Dabei sollte die Arbeit in den Ämtern aus meiner Sicht genauso systemrelevant angesehen und aufrechterhalten werden wie die Tätigkeit vom Ärzten, Busfahrern oder Mitarbeitern von Supermarkt-Ketten. Auch die umfassende Nutzung einer funktionierenden digitalen Infrastruktur könnte in der jetzigen Lage von großem Nutzen sein. Insbesondere der Zeitverzug bei Planungs- und Genehmigungsarbeiten wird eine Langzeitwirkung auf die zukünftigen Bauprozesse haben. 

Dr. Ronald Rast

Mieter werden durch Mietstundungen und Wohngeld vor dem Verlust ihrer Wohnung geschützt. Wie sollen Vermieter die Mietausfälle kompensieren?

Es ist ja zunächst eine Mietstundung und kein Mietausfall. Große private, öffentliche und genossenschaftliche Vermieter können dies in ihrer Liquiditätsplanung sicher besser berücksichtigen als die vielen Privatpersonen, die ja 66 % aller Mietwohnungen bereitstellen. Wenn gerade bei jüngeren oder jüngst modernisierten Gebäuden die Mietzahlungen unmittelbar für Zins- und Tilgungsleistungen benötigt werden, ist der temporäre Ausfall nicht so leicht zu verschmerzen. Viele kleine Vermieter werden ihre Zahlungsverpflichtungen gegenüber Banken, Handwerkern und Energieversorgern nicht mehr erfüllen können, sollte die mögliche Mietstundung über einen längeren Zeitraum genutzt werden. Auch Seniorenhaushalte, deren Alterseinkommen vor allem auf Mieteinnahmen basiert, können schnell in finanzielle Probleme geraten. Um diese Kettenreaktion zu vermeiden, wäre es sinnvoll, einen Sicherungsfonds für Vermieter einzurichten, der die finanzielle Lücke, die durch Mietstundungen entsteht, zeitlich überbrückt. Dieser würde die ausbleibenden Mieten zinslos vorstrecken. Sobald die gestundeten Mietzahlungen auf dem Konto des Vermieters eingehen, würde dieser das Überbrückungsgeld an dem Sicherungsfonds zurück überweisen. Eine einfache Maßnahme, die erheblich zur Stabilisierung des Wohnungsmarkts beitragen würde.

Matthias Günther

Viele Menschen werden in den nächsten Monat auf Kurzarbeit sein, einige sogar ihren Job verlieren. Werden im Nachgang der Krise mehr Sozialwohnungen benötigt? 

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