Game-Changer im Anmarsch

Bis 2030 will Österreich CO₂-Neutralität erreichen. Die einen sagen, dass eine so schnelle Umstellung mathematisch und wohnrechtlich fast unmöglich ist, die anderen sehen in der bevorstehenden EU-Taxonomie eine Jahrhundertchance, die den Immobilienmarkt komplett umkrempeln könnte.
WOJCIECH CZAJA

Im 18. Jahrhundert gab es in Österreich eine Dachsteuer. Je größer die Dachfläche, desto mehr monetäre Abgabe hatte der Hauseigentümer zu leisten. Im 19. Jahrhundert wurde in vielen europäischen Ländern eine Fenstersteuer eingeführt. Das fiskalische Soll stieg mit der Anzahl der Maueröffnungen. Und kurz nachdem 1912 nach Plänen von Ernst Gotthilf und Alexander Neumann das Bankvereinshaus am Schottentor errichtet wurde, trat in Wien die sogenannte Stiegensteuer in Kraft, woraufhin eines der insgesamt fünf Stiegenhäuser wieder abgerissen und mit Eisenbeton-Deckenplatten etagenweise geschlossen wurde.

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„Die Steuergestaltung war immer schon aktuellen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen unterworfen“, sagt Michael Haugeneder, Geschäftsleiter von ATP Sustain, einer Forschungs- und Sonderplanungsgesellschaft innerhalb der ATPGruppe. „Daher halte ich die Einführung der CO²-Steuer, über die heute nachgedacht wird, für eine prinzipiell gute Sache. Und ich denke, gemeinsam mit der neuen EU-Taxonomie, die Unternehmen und Finanzinstitute ab 2022 anwenden werden müssen, wird das zu einem absoluten Game-Changer innerhalb der gesamten Bau- und Immobilienbranche werden.“

Zu einem Game-Changer? Ja, für Haugeneder könnte die Kombination aus österreichischen und europäischen Zielsetzungen die bisherige Immobilien- und Finanzierungsgesellschaft komplett auf den Kopf stellen. Er sieht in der Taxonomie- Einführung ein enormes Potenzial. „Bislang haben die Ökonomen die Entscheidung, ob ein Projekt finanziert wird oder nicht, ausschließlich aus finanziellen Überlegungen getroffen.

Ab nun werden auch andere Qualitäten wie etwa Einhaltung des Klimaschutzes, Klimawandelresilienz oder Umweltverschmutzung als ökonomische Kriterien verpflichtend berücksichtigt. Ab nun hat Nicht-Klimaschutz einen hohen Preis. Und ich gehe davon aus, dass seriöse Ökonomen in Zukunft nur noch taxonomiekonforme Immobilien finanzieren werden.“

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Speicherfähige Masse

Zum Beispiel wie die 2226-Häuser von Baumschlager Eberle, die komplett ohne Heizung, Kühlung und Lüftung auskommen. Nachdem 2013 in Lustenau der vielfach preisgekrönte Prototyp in Form eines Bürohauses fertiggestellt wurde, folgten nun ein Therapiezentrum in Lingenau, Vorarlberg, das Wohnhaus „2226 Emmenweid“ im schweizerischen Emmen sowie das „2226 Graf“ in Dornbirn, das dank seiner fast 80 Zentimeter (!) dicken Außenwände superträge ist und superviel speicherfähige Masse aufweist. Zu den wenigen Tech-Maßnahmen zählen eine Fotovoltaikanlage zur Warmwasseraufbereitung sowie Infrarot- Paneele als Back-up, falls es mal doch zu kalt ist. Weitere 2226-Projekte sind bereits in Planung.

Auch die Wohnbauselbsthilfe engagiert sich in puncto CO²-neutral. Für den Wohnbau in Wolfurt mit 33 Wohneinheiten erhielt der Bauträger klimaaktive Gold. Der klimaaktiv Gebäudestandard ist österreichweit das bekannteste Bewertungssystem für die Nachhaltigkeit von Gebäuden mit besonderem Fokus auf Energieeffizienz, Klimaschutz und Ressourceneffizienz. Gebäude in klimaaktiv Qualität garantieren die Einhaltung hochwertiger Standards in den Bereichen niedriger Energieverbrauch, mehr Behaglichkeit, Raumluftqualität und Gesundheit sowie Ausführung und Wirtschaftlichkeit.

Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet. Beim Monitoring werden Energiebedarf und Luftqualität laufend kontrolliert. Zudem werden auch CO²-, Feuchtehaushalt und Temperatursituation berücksichtigt. So können die Wohnungen hinsichtlich Behaglichkeit und Raumluftqualität weiter optimiert werden. „Bei dem Projekt haben wir das Studiendesign möglichst umfassend gestaltet, um den größtmöglichen Erkenntnisgewinn und damit Nutzen für die Bewohner zu erzielen“, erläutert Martin Ploss vom Energieinstitut Vorarlberg.

Unzählige Zertifizierungsfragen

„Ich rechne damit, dass sich durch die EU-Taxonomie die Bau- und Immobilienbranche komplett verändern wird und in zwei, spätestens drei Jahren die ersten Veränderungen spürbar sein werden“, sagt Doris Wirth, Taxonomie-Auditorin, Geschäftsführerin von Bluesave und Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft, kurz ÖGNI…

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