Fehlanreize durch „Bau-Turbo“ beim Wohnungsbau verhindern

In einem eindringlichen öffentlichen Appell kritisieren mehrere Verbände die konkreten Pläne des Bauministeriums zur Umsetzung des „Bau-Turbo“ zur Beschleunigung von Wohnungsbau. Demnach soll in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt für Projekte mit mehr als sechs Wohnungen bis Ende 2026 von den Vorschriften des BauGB weitreichend abgewichen werden können.

Die Bundesarchitektenkammer (BAK) befürchtet besonders Fehlentwicklungen bei der Siedlungsplanung zu Lasten von Klima- und Naturschutz. Eine nachhaltige Lösung für kostengünstigen Wohnraum erfordert vielmehr eine strategische und abgewogene Herangehensweise, die auch baukulturelle Ziele für unsere Städte sowie den Umweltschutz im Blick behält.

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Bundesarchitektenkammer gegen den geplanten § 246e BauGB

„Der § 246e BauGB ist aus unserer Sicht keine zielführende Antwort auf den Wohnraummangel in Deutschland. Im Gegenteil, er birgt die Gefahr von siedlungspolitischen Fehlentwicklungen und schafft gefährliche Fehlanreize.“, sagt Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. „Wir brauchen kompakte Siedlungen mit einer effektiven Infrastruktur, wir können doch nicht die Ränder unserer Siedlungen einem zerstörerischen Wildwuchs preisgeben – wider jeder Baukultur!

Die Verdichtung bestehender Strukturen bietet das meiste Potenzial für lebendige Quartiere – und für wirksamen Landschafts- und Naturschutz.“ Andrea Gebhard ergänzt: „Ein „Bau-Turbo“ darf unsere Planungskultur nicht unterwandern. Die Aufhebung bewährter Prinzipien des Städtebaurechts muss verhindert werden.

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Eine geordnete städtebauliche Entwicklung, gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Umweltverträglichkeit, Öffentlichkeitsbeteiligung und die Schaffung bezahlbaren Wohnraums – allesamt Grundsätze, die essenziell für die Entwicklung unserer Städte sind.“

Wohnbebauung an ungeeigneten Standorten

Die BAK weist auf die Gefahr hin, dass bei Einführung des § 246e vermehrt Wohnbebauung an ungeeigneten Standorten entstehen kann, wie z. B. Randlagen, Grün- oder Sportflächen. Das widerspricht nicht nur den Prinzipien einer nachhaltigen Stadtentwicklung, sondern schafft auch enorme Herausforderungen für soziale Infrastrukturen und den Umweltschutz.

Auch die mangelnde Reaktion auf vorhandene Baulandressourcen des Gesetzesentwurfs sieht die BAK kritisch, denn es gibt bereits genehmigte Projekte und unbebaute Baulücken mit vorhandenem Planungsrecht. Der vorgeschlagene § 246e BauGB ignoriert diese Ressourcen und versäumt es, wirksame Mobilisierungsinstrumente wie Innenentwicklungsmaßnahmen zu fördern.

Ein „Bau-Turbo“ darf unsere Planungskultur nicht unterwandern. Die Aufhebung bewährter Prinzipien des Städtebaurechts muss verhindert werden. Eine geordnete städtebauliche Entwicklung, gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse, Umweltverträglichkeit, Öffentlichkeitsbeteiligung und die Schaffung bezahlbaren Wohnraums – allesamt Grundsätze, die essenziell für die Entwicklung unserer Städte sind

Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer

Verdichtung und Aufstockung

Vielmehr muss die Verdichtung und Aufstockung bestehender Gebäude in den Vordergrund rücken, um den Wohnraummangel zu adressieren. Durch baurechtliche Anpassungen und gezielte Fördermaßnahmen könnten diese Potenziale effizient genutzt werden. Die Deutschlandstudie der Technischen Universität (TU) Darmstadt beziffert das Potenzial auf bundesweit 2,3 bis 2,7 Millionen neue Wohnungen auf Dächern. Bereits 2016 wurde festgestellt, dass es ein Umbau- und Aufstockungspotenzial bei Bestandswohngebäuden von etwa einer Million Einheiten gibt.

Die Studie von 2019 erweiterte dies auf Nichtwohngebäude wie Handels- oder Gewerbeimmobilien in Innenstädten und ergab weitere 1,3 bis 1,7 Millionen Wohnungen. Um dieses Umnutzungs- und Aufstockungspotenzial zu fördern, müssen jetzt geeignete unterstützende Maßnahmen ergriffen werden.

Cathrin Urbanek

Appell gegen die Einführung des „Bau-Turbo“ – § 246e Baugesetzbuch

Die Bewältigung der anhaltenden Wohnungskrise in Deutschland erfordert eine umfassende Strategie im Einklang mit sozialen Belangen sowie Klima- und Umweltschutz. Um dieser Krise zu begegnen, hat die Bundesregierung vor fast zwei Jahren das ehrgeizige Ziel formuliert, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu schaffen, davon 100.000 Sozialwohnungen. Fertiggestellt wurden 2023 nur rund 270.000 Wohnungen. Gleichzeitig werden wirkungsvolle Maßnahmen in anderen Bereichen, etwa in der Bodenpolitik, im Mietrecht sowie zur Ertüchtigung des Bestands nicht im nötigen Umfang und mit der gebotenen Dringlichkeit auf den Weg gebracht.

Um den Wohnungsbau zu beschleunigen, wurde auf dem Baugipfel im September 2023 der sogenannte „Bau-Turbo“ angekündigt. Eine konkrete Ausgestaltung liegt jetzt mit der Formulierungshilfe aus dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) in Form des § 246e Baugesetzbuch (BauGB) vor. Demnach soll in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt für Projekte mit mehr als sechs Wohnungen bis Ende 2026 von den Vorschriften des BauGB weitreichend abgewichen werden können.

Anstelle der etablierten Planungskultur, demokratischer Beteiligungsprozesse und des kommunalen Initiativrechts soll ein immenser Teil des Innen- wie Außenbereichs potenzielles Bauland für den Geschosswohnungsbau werden. Die geplante Regelung setzt klima- und flächenschutzpolitische Fehlanreize und hat potenziell gravierende Konsequenzen für die Siedlungspolitik, die Lebensqualität, die sozial-ökologische Transformation der Wohnungspolitik sowie für die Planungs- und Beteiligungskultur in Deutschland.

Als breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Akteure sprechen wir uns aus folgenden Gründen klar gegen die Einführung des neu eingebrachten § 246e BauGB aus:

1. Fehlende fachliche Rechtfertigung, Beschneidung demokratischer Beteiligungsprozesse und rechtliche Fragwürdigkeit

Mit fast 900.000 genehmigten, aber noch nicht gebauten Wohneinheiten (sog. Bauüberhang) steht großes Potenzial zur Schaffung von Wohnraum auf bereits ausgewiesenem Bauland zur Verfügung. Die vielfältigen Ursachen des reduzierten Neubauvolumens werden mit der Einführung des § 246e BauGB nicht adressiert. Somit fehlt die fachliche Rechtfertigung für die Einführung einer Notstandsregelung und eine derartig einschneidende „Generalbefreiung“ von den Regelungen des BauGB.

Das BauGB sieht im Rahmen der Bauleitplanung eine verbindliche Beteiligung der Öffentlichkeit und damit die Anhörung, Berücksichtigung und Abwägung von Belangen der Öffentlichkeit sowie von Fachbehörden vor. Die Einführung des § 246e BauGB als Abweichungsverfahren ohne geregelte Beteiligung bedeutet dagegen eine Entdemokratisierung der Planungskultur und beschneidet die kommunale Selbstverwaltung. Dies kann weder im Sinne einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft noch einer geordneten städtebaulichen Entwicklung sein.

Das Handeln der Verwaltung muss für Bürger:innen messbar und voraussehbar bleiben, eine Gerichtskontrolle muss möglich bleiben. So entschied es bereits das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Der Entwurf von § 246e BauGB lässt jedoch weitgehend offen, in welchem Umfang vom BauGB abgewichen werden kann.

Folglich stellt sich die Frage nach der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Der Entwurf erinnert an eine mögliche Ersatzregelung für den zuvor rechtswidrigen § 13b BauGB. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) im Juli 2023 bestätigte den Verstoß gegen EU-Recht. Obwohl die Regierungsfraktionen die Beendigung des § 13b BauGB befürworteten, scheint der vorgeschlagene § 246e BauGB eine Hintertür für ähnliche Regelungen zu bieten. Dies könnte Kommunen dazu verleiten, das reguläre Baurecht zu umgehen.

2. Kein Beitrag zur sozial gerechten Bewältigung der Wohnungskrise – Einführung eines „Bodenspekulations-Turbo“

§ 246e BauGB gewährleistet weder die Bezahlbarkeit der von ihm umfassten Wohneinheiten noch deren tatsächliche Realisierung. Es fehlen klare Anforderungen zur Schaffung von sozial gefördertem Wohnraum oder zur Einhaltung von Mietobergrenzen. Darüber hinaus wird die angemessene Planung und Bereitstellung der

erforderlichen sozialen und klassischen Infrastruktur sowie die Berücksichtigung von gewerblichen Belangen nicht ausreichend sichergestellt. Zudem wird die Möglichkeit eröffnet, Regelungen zur Dämpfung von Mietpreisen in Gebieten mit Erhaltungssatzungen zu umgehen. Umbauten, Ergänzungen und Erweiterungen, die

zu einer Mietpreiserhöhung führen und Verdrängungsprozesse beschleunigen, können leichter und ohne das übliche Genehmigungsverfahren umgesetzt werden. Infolgedessen trägt § 246e BauGB nicht effektiv zur Bewältigung der Wohnungskrise bei. Vielmehr besteht die Gefahr, dass soziale Probleme verschärft oder neu geschaffen werden.

§ 246e BauGB eröffnet Optionen auf Baugenehmigungen in allen Arealen, die derzeit über die Bauleitplanung, die kommunalen Abwägungsvorgänge und weitere Satzungen geschützt sind. Dadurch werden Vorgängen der Bodenspekulation in großem Stil Tür und Tor geöffnet. Es entstehen Verdrängungsprozesse zuungunsten nicht-kommerzieller und weniger renditestarker Nutzungen (Handwerk, Gewerbe, kleinteiliger Einzelhandel, Gemeinbedarf, Kultur etc.). Eine nachhaltige und sozial gerechte Stadt- und Siedlungsentwicklung wird damit gefährdet.

3. Förderung siedlungsstruktureller Fehlentwicklungen sowie klima- und flächenschutzpolitischer Fehlanreize

Deutschland hat sich bis 2030 zur Verringerung des Flächenverbrauchs auf höchstens 30 ha/Tag verpflichtet und strebt bis 2050 sogar das Flächenverbrauchsziel Netto-Null an. Bis dato fehlen dem BauGB jegliche Instrumente, dies mit der erforderlichen Konsequenz auf den Weg zu bringen. § 246e BauGB verschlimmert die Zersiedelungsproblematik und konterkariert die Erreichung der Flächenverbrauchsziele, indem die Voraussetzungen für Vorhaben an den Siedlungsrändern und auf der sogenannten “grünen Wiese” verwässert werden.

Dies geht auch zu Lasten von Naturschutzbelangen und der benachbarten Landwirtschaft, indem die Konkurrenz um Agrarland verstärkt und Preisanstiege durch Spekulationsvorgänge gefördert werden. § 246e BauGB würde in Ballungsgebieten der Umwandlung von Grün- in Bauland Vorschub leisten und diese wertvollen Ökosysteme zerstören.

Gerade angesichts des demografischen Wandels fördert die Regelung eine Belastung der kommunalen Haushalte durch unkontrolliertes Flächenwachstum und dadurch begründete, steigende Infrastrukturkosten.

§ 246e BauGB unterläuft die notwendige Fokussierung auf den Innenbereich und privilegiert Abriss und Ersatzneubau

Gleichzeitig wird – angesichts der enormen Treibhausgasemissionen im Bausektor – die Nutzung des Bestands unabdingbar. § 246e BauGB unterläuft die notwendige Fokussierung auf den Innenbereich und privilegiert Abriss und Ersatzneubau ohne entsprechende Abwägungsoptionen zum Schutz der im Bestand gespeicherten grauen Energie sowie vor sozialer Verdrängung. § 246e BauGB konterkariert somit die sozialverträgliche Erreichung der Klimaziele.

Cathrin Urbanek

Bundesarchitektenkammer (BAK)

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