Wohngemeinnützigkeit

Das österreichische System der Wohnbauförderung in Zeiten der Finanzkrise

Nach Ansicht der OECD und des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitutes WIFO zählt das österreichische System der Wohnbauförderung zu den „Best-Practice“ Modellen in Europa. So verfügt Österreich über einen Wohnungsbestand von ca. 700.000 Wohneinheiten an sozial gebundenen Wohnungen und liegt mit einem Anteil am Gesamtwohnungsbestand von ca. 24 Prozent aller Wohnungen nach den Niederlanden an zweiter Stelle in Europa.

Von Michael Gehbauer

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Das System wird mittels eines Wohnbauförderungsbeitrages, der über die Lohnnebenkosten in der Höhe von 0,5 Prozent von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen – also insgesamt 1 Prozent der Lohnsumme – aller Beschäftigten finanziert. Außerdem erfolgen jährlich Rückflüsse aus gewährten Wohnbauförderungsdarlehen, sodass insgesamt rund 2,5 Milliarden Euro pro Jahr an Wohnbauförderungsmittel zur Verfügung stünden.

So weit, so gut. Trotzdem steht das System vor einer harten Bewährungsprobe. Waren schon bisher leistbare Grundstücke am freien Markt nicht mehr verfügbar, so stiegen nunmehr auch die Baukosten auf ein Rekordniveau. Das größte Problem ist allerdings die aktuelle Situation auf den Kapital- und Finanzmärkten, da die gestiegenen Zinsen nicht mehr von den Wohnbauförderungssystemen der Länder kompensiert werden können.

Mangels Zweckbindung werden aktuell auch nur 1,9 Milliarden Euro oder 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zur Förderung von Wohnbau ausgegeben, also deutlich weniger als hierfür eingenommen wird. Das bedeutet, dass einzelne Länder diese Mittel für andere Zwecke ausgeben. Dies ist gerade in Zeiten steigender Mieten und eines bestehenden Mangels an leistbaren Wohnungen nicht zu akzeptieren.

Der Gemeinnützige Sektor besteht in Österreich aus 182 Unternehmen, die in unterschiedlichen Rechtsformen organisiert sind. Rund die Hälfte der Unternehmen sind Genossenschaften, die andere Hälfte sind gemeinnützige GmbHs und AGs. Sie sind durch das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz reguliert und dem Kostendeckungsprinzip, der Vermögensbindung und dem Generationenvertrag verpflichtet.

Dies bedeutet, dass mit den BewohnerInnen ein angemessenes Entgelt zu vereinbaren ist. Dieses darf „nicht höher, aber auch nicht niedriger angesetzt werden“ als sich aus den Kosten der Herstellung bzw. der Bewirtschaftung der Wohnhäuser ergibt. Auch Wohnungen, deren Finanzierungsdarlehen bereits getilgt sind, unterliegen dauerhaft einer Mietzinsbeschränkung, der sogenannten Grundmiete.

Die Verpflichtung zur Vermögensbindung bringt zum Ausdruck, dass beschränkte Gewinne lediglich in der Höhe einer gesetzlich geregelten Verzinsung auf das Grund- bzw. Stammkapital an die EigentümerInnen ausgeschüttet werden dürfen, die verbleibenden Erträge den Rücklagen zugeführt werden müssen und damit langfristig zur Verwendung im wohnwirtschaftlichen Kreislauf zur Verfügung stehen. Diese Beschränkung der Gewinnentnahme führt dazu, dass die Unternehmen Eigenkapital bilden können, das zur Finanzierung ihrer Aufgaben aufgewendet werden kann. Diese dem System innewohnende Selbstfinanzierungskraft ist ein weiteres Qualitätsmerkmal des Systems.

Wie wird sich die Leistungsfähigkeit des Gemeinnützigen Sektors in Österreich weiterentwickeln?

Im Jahr 2022 konnten rund 16.700 Wohneinheiten übergeben werden. Die Gemeinnützigen haben damit 4 Perozent mehr an Wohnungen fertiggestellt, als dem 10-Jahresdurchschnitt von 16.100 Einheiten entspricht. Das gesamte Investitionsvolumen betrug 5 Milliarden Euro für Neubau und Sanierung. Damit sind die GBV’s (Gemeinnützige Bauvereinigungen) auch in Krisenzeiten ein wichtiger Konjunkturmotor und ein verlässlicher Partner für Wohnungssuchende, die Bauwirtschaft, die Banken und die Politik.
Doch der Trend weist nach unten. Die in Bau befindlichen Anlagen liegen schon um 8 Prozent unter dem 10-jährigen Durchschnitt und die Baubewilligungen liegen um mehr als 24 Prozent unter dem 10-Jahresschnitt.

Was tun?

Der Verein für Wohnbauförderung, der für eine möglichst flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit leistbarem von Gemeinnützigen Bauvereinigungen errichteten Wohnraum in Österreich eintritt, fordert daher schon seit langem neben einer Zweckbindung der bestehenden Mittel eine massive Anhebung der Wohnbauförderungsmittel auf 1 Prozent des BIP.
Darüber hinaus benötigt die Gemeinnützige Wohnungswirtschaft günstige Darlehen, die mit 1 Prozent Zinsen beschränkt sein sollten und für den leistbaren Mietwohnungsbau zur Verfügung gestellt werden müssten.

Mit mehr Geld ist zwar einiges zu bewirken. Es geht allerdings auch um eine sinnvolle Adaptierung und Neuausrichtung der Landeswohnbauförderungssysteme. Konnten einige Länder in den letzten Jahren auf Grund der niedrigen Zinsen die Budgets schonen, so sind nun massive Eingriffe erforderlich.

Die Mittel müssen primär in Förderungsdarlehen mit niedriger Verzinsung, beziehungsweise in direkte Zuschüsse oder Annuitätenzuschüsse fließen. Der Anteil der Kapitalmarktfinanzierung an der Gesamtfinanzierung muss deutlich reduziert werden. Nur so können leistbare Mieten angeboten werden. Für Länder mit niedrigen Wohnbauförderungsbudgets sollte es die schon oben beschriebenen 1 Prozent Darlehen von Seiten des Bundes geben.

Es ist aber auch eine Änderung bei der Raumordnung von Nöten. Nach dem Vorbild Wien sollten in den Bundesländern Bodenbereitstellungsfonds gegründet werden, um preiswerte Grundstücke für den geförderten Wohnbau zur Verfügung zu stellen. Weiters ist die Widmungskategorie „Geförderter Wohnbau“ in allen Bauordnungen zu etablieren, um sicherzustellen, dass ausreichende Flächen für die Errichtung von leistbarem Wohnbau vorhanden sind.

Bei den Baupreisen zeichnet sich bereits ein leichter Preisrückgang ab, der vor allem auf den zu erwartenden Nachfragerückgang im frei finanzierten Segment des Hochbaus zurückzuführen ist.

Neben diesen Änderungen bei der Objektfinanzierung muss auch eine massive Ausweitung der Subjektförderung passieren. In Österreich dominiert im Vergleich zu Deutschland die Mittelverwendung für die Objektfinanzierung, der Anteil an den für Wohnbau aufgewendeten Mittel beträgt hiefür 75 Pozent. In Deutschland ist es umgekehrt, da werden mehr als 80 Prozent der Mittel für die Subjektförderung ausgegeben.

Kommerzialrat Mag. Michael Gehbauer, geboren 1962 in Wien. Studium der Geschichte, Handelswissenschaften und Volkswirtschaft. 1993 Magister der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Seit 1993 Tätigkeit in der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA), ab 1999 Gesamtprokurist und seit 2004 Geschäftsführer. Weitere Geschäftsführerfunktionen im WBV-GPA-Konzern sowie in der Privatstiftung zur Bildung und Unterstützung von Arbeitnehmer*innen. Seit 2019 Obmann des Vereins für Wohnbauförderung (VWBF) und seit Januar 2022 Obmann der Landesgruppe Wien der gemeinnützigen Bauträger (GBV).

Dies soll allerdings zu keinem Paradigmenwechsel führen. Denn die positiven Auswirkungen der Objektförderung führen dazu, dass in Österreich die Miete im gemeinnützigen Sektor pro Quadratmeter um ca. 25 Prozent unter jener bei gewerblichen VermieterInnen liegt. Dies trägt zu enormen Wohlfahrtsgewinnen bei, die die MieterInnen in die Lage versetzen, mehr Geld für den privaten Konsum aufwenden zu können. Eine weitere Wirkung dieser Politik ist auch, dass der gemeinnützige Sektor eine preisdämpfende Wirkung auch auf den privaten Wohnungsmarkt hat und damit die Preise aufgrund dieser Marktintervention im gesamten Sektor niedriger sind als bei unregulierten Märkten.

Auf Grund der aktuellen Preissituation vor allem im Bereich der Energie sollte in Österreich jedoch darüber nachgedacht werden, die vielen Einzelmaßnahmen wie Wohnbeihilfe, Mietzinsbeihilfe, Heizkostenzuschuss, Klimabonus, Energiekostenzuschuss, Wohnkostenschutzschirme etc. zu einer bundeseinheitlichen Beihilfe für Wohn- und Energiekosten umzuwandeln. Dies hätte enorme Vorteile in der sozialen Treffsicherheit und hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit der MieterInnen. Dies wäre allerdings ein Systemwechsel, der die bisher überwiegend auf Landesebene gewährten Wohnbeihilfen zu einem sozial- und wohlfahrtsstaatlichen Instrument auf Bundesebene, vergleichbar mit der Kranken-, Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherung, machen würde.

Wie wird das österreichische System der Wohnbauförderung die aktuellen Herausforderungen bewältigen?

Zuversichtlich stimmt die Tatsache, dass es in Österreich über die Parteigrenzen hinweg einen breiten Konsens aller Parteien gibt, der für die Zukunft erwarten lässt, dass die notwendigen Reformen auch durchgeführt werden können, sofern die notwendigen Budgets zur Verfügung gestellt werden. In der Zwischenzeit hat auch die FPÖ, die vor allem in den Jahren unter den Parteiobmännern Haider und auch zum Teil unter HC Strache massiv gegen das System opponierte, erkannt, dass das System positive Auswirkungen auf die Wohnversorgung der österreichischen Bevölkerung hat.

Einzig der im kleinsten Bundesland Österreichs regierende Landeshauptmann Doskozil, der auch für den Parteivorsitz der SPÖ kandidiert, möchte einen radikalen Systemwechsel vornehmen, der zur sofortigen Kaufoption von WohnungswerberInnen führen würde. Er möchte BurgenländerInnen ausschließlich Wohnungseigentum anbieten und das zu fraglichen Bedingungen. Noch existiert dieses Modell nur auf dem Papier und es gibt noch kein Referenzmodell. Die Gemeinnützigen im Burgenland lehnen es allerdings mit dem Hinweis darauf ab, dass es nicht dem WGG entspricht.

Ist es für ein Bundesland wie dem Burgenland, in dem das Wohnen in Einfamilienwohnhäusern dominiert, noch nachvollziehbar, in diese Richtung zu denken, so wäre dieses Modell auf ganz Österreich angewandt, ein radikaler Systemwechsel mit dramatischen Auswirkungen. Ein kurzer historischen Einschub: Hätte das Rote Wien im Jahr 1922 dieses Modell realisiert, würde es in Wien heute nicht 230.000 Gemeindewohnungen und über 220.000 geförderte Mietwohnungen geben. Es würde auch nicht mehr als die Hälfte der Bevölkerung im sozialen oder kommunalen Wohnbau wohnen und das Mietniveau wäre wohl auch nicht das niedrigste aller europäischen Großstädte, sondern würde wohl eher dem von Paris oder London entsprechen.

Interessant ist dabei, dass nicht einmal die traditionell dem Wohnungseigentum verpflichtete ÖVP auf diesen Zug aufspringt, sondern das Modell mit dem Hinweis ablehnt, dass es selbst zur Schaffung von leistbarem Wohnungseigentum ungeeignet ist.
Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass das österreichische System der Wohnbauförderung überaus effizient ist. Mit geringerem Mitteleinsatz – Österreich gibt rund 0,4 Prozent und Deutschland ca. 0,6 Prozent des BIP für die Wohnbauförderung aus – gelingt es, einen wachsenden Bestand an sozial gebundenen Wohnungen zu produzieren, während dieser Bestand in Deutschland in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist. Ohne hier Vorschläge von außen machen zu wollen, wäre es wohl wert, die überlegte Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
Trotzdem ist, wie bereits ausgeführt wurde, noch wahnsinnig viel zu tun, um das österreichische System der Wohnbauförderung durch die aktuellen Turbulenzen zu führen und seine Funktionsfähigkeit auch in Zukunft sicherzustellen.

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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