… und sind zu 70 bis 80 Prozent miteinander vergleichbar, sagt Robert Lechner, Geschäftsführer des Österreichischen Ökologie- Instituts (ÖÖI). Doch im Detail gibt es auf nationaler und internationaler Ebene dennoch zum Teil riesige Unterschiede. Ein Blick hinter die Kulissen der Zahlen, Daten, Fakten.
WOJCIECH CZAJA
Es gibt viele unterschiedliche Zertifizierungssysteme. Inwiefern unterscheiden sich die Systeme im Detail?
Allen nationalen und internationalen Systemen ist gemein, dass sie auf einigen Grundsäulen wie etwa Umwelt, Soziales, Wirtschaft, Prozessqualität und technischer Qualität aufbauen. Manchmal basieren die Systeme auf drei, manchmal auf vier, manchmal auf fünf Bausteinen. Grob kann man sagen, dass alle Zertifikate dasselbe Ziel haben – und dass sich der Aussagewert beziehungsweise die Messkriterien zu 70, 80 Prozent überschneiden. Aber es gibt auch Ausnahmen.
Robert Lechner
Und zwar?
Im internationalen Raum würde ich LEED als große Ausnahme ansehen. Das nordamerikanische LEED ist ein immens wichtiger Vorreiter und hat schon früh auch Themen behandelt, die bei uns erst in den letzten Jahren dazugekommen sind – Recycling und Kreislaufwirtschaft beispielsweise. Andererseits aber ist LEED so geschmeidig in seinen Kriterien und Schwellenwerten, dass ein LEED-Zertifikat in Bronze oder Silber – im europäischen Vergleich – de facto keinerlei Aussagewert hinsichtlich Energieeffizienz hat. Ein LEED-Platinum-Gebäude ist von einem DGNB-Platinum-Gebäude oft meilenweit entfernt.
Robert Lechner
Robert Lechner ist Geschäftsführer des Österreichischen Ökologie-Instituts (ÖÖI). Zudem ist er Mitbegründer der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB), deren Vorsitz er bis Ende 2022 innehatte, und Geschäftsführer des Beratungsunternehmens pulswerk. ecology.at
Das macht die Zertifikate also schwer miteinander vergleichbar?
Und wie! Obwohl es sich bei einem Zertifikat um Zahlen, Daten, Fakten handelt, obwohl die Nachhaltigkeitsqualität eigentlich wissenschaftlich quantifiziert ist, gibt es unterschiedliche Definitionen und Herangehensweisen. Eine eindeutige Vergleichbarkeit ist de facto unmöglich.
Robert Lechner
Gibt es auch einen österreichischen Ausreißer?
Da bin ich aufgrund meiner beruflichen Position nicht ganz objektiv, muss ich gestehen, aber ein Ausreißer nach oben ist für mich klimaaktiv. Bei den meisten Zertifikaten kann man das eine oder andere Defizit durch andere Qualitäten kompensieren. Bei klimaaktiv geht das nicht, denn da muss man in jeder Kategorie eine ziemlich hohe Mindestanforderung erfüllen – zumindest, wenn man klimaaktiv Gold anstrebt. Ich habe auch schon erlebt, dass ein Gebäude mit DGNB Platinum oder fünf Sternen bei BREEAM bei klimaaktiv rausgefallen ist, weil es beispielsweise einen zu hohen Heizwärmebedarf hatte.
Robert Lechner
Warum gibt es denn überhaupt so viele unterschiedliche Systeme?
Weil jedes Zertifizierungssystem auch ein ökonomisches Business-Modell ist. Das ist einerseits gut, weil es den Markt antreibt und belebt, andererseits aber auch schwierig, weil es die Konkurrenz schürt und – wie bereits gesagt – die objektive Vergleichbarkeit schmälert. Und dann muss man immer auch die Geschichte sehen: Die einzelnen Zertifizierungssysteme sind in Nationalstaaten mit den dort relevanten Schwerpunktsetzungen entstanden. Technische Baukultur ist nicht überall gleich.
Robert Lechner
Wurde je eine objektive Zusammenstellung der unterschiedlichen Zertifikate erstellt, auf nationaler oder internationaler Basis?
Nein, leider noch nicht. Im Österreichischen Ökologieinstitut haben wir vor vielen Jahren mal eine grobe Gegenüberstellung gemacht, um einen Überblick zu bekommen, welche Zertifizierungssysteme wie aufgestellt sind und was sie untersuchen. Dann gibt es noch die eine oder andere studentische Arbeit dazu. Aber es wäre dringend an der Zeit, eine objektive Liste oder sogar ein Ranking zu machen – beispielsweise in der Art, wie das der Verein für Konsumenteninformation (VKI) oder die Stiftung Warentest macht. Das wäre super!
Robert Lechner