Mobilität neu gedacht

Der Tag startet damit, die Kids mit dem Fahrrad in die Schule zu bringen. Weiter geht’s öffentlich in die Arbeit. Am Wochenende wird mit dem „geshareden“ Kombi mit Kind und Kegel zur Urli gefahren, sie lebt abseits einer Bus- und Bahnhaltestelle. Der Großeinkauf wird am Samstag vorher noch schnell mit dem Lastenrad erledigt. Dieses wird – genauso wie der Kombi – vom bewohnereigenen Mobilitätsverein verwaltet.
Und Schnitt.

Zurück in der Realität stehen wir in einem geförderten Neubauprojekt in Wien auf der nordöstlichen Seite der Donau, zwei Kilometer entfernt von der nächsten U-Bahn. Spricht man mit den Mitarbeitern der Vertriebsabteilung des Wohnprojektes, so scheint das Vorhandensein eines Parkplatzes ähnlich wichtig wie das Vorhandenseins einer eigenen Toilette, statt der am Gang. Alle Versuche, die frische Bewohnerschaft für ein gemeinsames Mobilitätskonzept zu motivieren (in Form von vielzähligen Workshops, Infoabenden und Bewohnertreffs) sind gescheitert.

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Doch so viel Hindernisse und Schwarzmalerei müssen auch nicht sein. Eine realistische zukünftige Mobilität im städtischen Bereich liegt wohl irgendwo dazwischen. Die Idee, die Stellplatzverpflichtung zu verändern und mit bedarfsorientierten Mobilitätskonzepten zu verknüpfen, ist sinnvoll und wichtig. Nur stehen viele Bauträger vor der großen Frage des „Wie?“. Ein Betreiber für Car- oder Bikesharing im neuen Wohnprojekt ist schnell gefunden, nur will dieser auch monatlich bezahlt werden.

Hier haben es die Projekte, welche ohne Fördermittel arbeiten, einfacher und können die Kosten in Miete oder Kaufpreis einberechnen. Im geförderten Wohnbau sucht man hier (noch) vergeblich nach einer langfristigen Lösung, die über eine finanzielle Anschubhilfe der ersten ein bis zwei Jahre hinausgeht. Ein möglicher Ansatz ist die Gründung eines Mobilitätsvereines, der das Angebot betreibt. Dieser ist aber personengebunden und steht bei mangelndem Interesse seitens der Bewohnerschaft oder Umzügen vor großen Herausforderungen.

Bewusstseinsbildung und Verhaltensänderung

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Eine wichtige Möglichkeit zur Bewusstseinsbildung und Verhaltensänderung ist eine vorzeitige Information der Wohnungsinteressenten durch die Vertriebsabteilung und die Wohnberatung Wien. „Hier wird ein Projekt mit geteilter Mobilität errichtet, es gibt nur wenige Kfz-Stellplätze, das Projekt ist für Sie geeignet, wenn Sie kein eigenes Auto haben.“ Optimalerweise stehen die zukünftigen Bewohner rechtzeitig fest, sodass im Zuge des Community- Buildings auf die Mobilitätsbedürfnisse reagiert oder ein gemeinsames Konzept erarbeitet werden kann. Wer aber zahlt für das möglicherweise entstehende Minus, wenn die eingenommenen monatlichen Nutzungsentgelte die monatlichen Fixkosten nicht decken?

Ich muss Sie enttäuschen, leider bleibe ich Ihnen auch hier eine pauschal gültige Antwort darauf schuldig. Ich kann Ihnen nur versuchen Tipps zu geben, wie es nicht so weit kommt:

Konzipieren Sie bedarfsorientiert und zielgruppenorientiert, schaffen Sie Angebote für Jung und Alt. Fragen Sie Bewohner was sie brauchen, sorgen Sie für Niederschwelligkeit und Einfachheit in der Buchung und der Zugänglichkeit (nicht extra eine Karte oder einen Schlüssel irgendwo abholen müssen), „Insellösungen“ machen nicht immer Sinn, also Angebote, die nur für Anzahl X Bewohner zugänglich sind. Überlegen Sie sich, das Angebot für die Nachbarschaft oder Bestandswohnungen Ihres Unternehmens im Grätzel zu öffnen.

Sinnvoll kann auch die Kooperation mit gewerblichen Nutzern aus der Umgebung sein, zumal diese Nutzungen meist zu anderen Tageszeiten stattfinden. So kann ein Wohnbau-Sharing- Auto tagsüber von Vertriebsmitarbeitern einer Firma genutzt werden und wird abends und am Wochenende zum (Familien-)Ausflugsmobil. Schaffen Sie Bewusstsein für die zwiespältige Bedeutung eines eigenen Autos in der Stadt und dessen Kosten!

Mein Lieblingszitat entstammt einem Infoabend für Bewohner eines Sanierungsprojektes in dem ein Carsharing gestartet werden sollte: „Jetzt hamma da so Autos zum Teilen und sollen für die zahlen, in der Garage hab ich mein eigenes Auto stehen, des kost mich garnix!“

Und manchmal ist ein projekteigenes Sharing mit neu angeschafften Fahrzeugen auch nicht das Richtige…

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