Gute Fassadenräume fördern die Akzeptanz

Unter welchen Bedingungen akzeptieren Bewohner bauliche Dichte? Eine Studie der Hochschule Luzern hat dies anhand von neun Praxisbeispielen untersucht, darunter mehrere Baugenossenschaften. Das Augenmerk galt der Frage, wie das Wohnumfeld so gestaltet werden kann, dass sich die Bewohnenden nach ihren Bedürfnissen zurückziehen oder austauschen können.

ANGELIKA JUPPIEN, RICHARD ZEMP

Prof. Angelika Juppien und Richard Zemp,
Projektleiter am Kompetenzzentrum für
Typologie & Planung in Architektur (CCTP)
des Instituts für Architektur an der
Hochschule Luzern

Es scheint ein Konsens darin zu bestehen, dass wir mit der Ressource Boden sparsamer umgehen sollten und mehr Verdichtung im Wohnbau notwendig ist. In der Umsetzung sieht die Sache allerdings anders aus. Die meisten jedenfalls sind nur dann einverstanden zusammenzurücken, wenn sie sich in ihrer Privatsphäre nicht eingeengt fühlen. Die Architekturpsychologie bestätigt, dass das Wohlbefinden im eigenen Wohnumfeld ganz grundlegend davon abhängt, ob wir über unser Territorium „Herr“ sind. Hier liegt der Schlüssel: Möchte man die Akzeptanz der Dichte positiv beeinflussen, gilt es, das Gefühl für verfügbaren Raum zu unterstützen.

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Da setzt das Projekt „Interface Fassadenraum: Gestaltung von Öffentlichkeit und Privatheit“ an. Das Gefühl für verfügbaren Raum hängt keineswegs vornehmlich von der Größe der eigenen Wohnung ab, sondern vielmehr von der Möglichkeit, den eigenen Rückzug oder Austausch mit dem Umfeld individuell steuern zu können. Gerade im Bereich der Fassade und des Zwischenraums, wo private und öffentliche Sphären aufeinandertreffen, liegt diesbezüglich ein großes Potenzial.

Hierfür befasste sich ein interdisziplinäres Team der Hochschule Luzern unter der Leitung des Kompetenzzentrums Typologie & Planung in Architektur, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Soziokulturelle Entwicklung, mit dem sogenannten erweiterten Fassadenraum. Dieser umfasst die Gebäudehülle und den Zwischenraum bis zur gegenüberliegenden Fassade sowie die dahinterliegenden Innenräume. Entscheidend ist dabei, wie sorgfältig und differenziert die Übergänge zwischen privaten, halbprivaten und öffentlichen Wohnbereichen gestaltet sind. Oft zeigen sich Konflikte im Zusammenhang mit fehlenden Rückzugsmöglichkeiten erst während des Betriebs. Diese Grenzziehungen sollten daher nicht starr und unveränderlich sein.

Rückzug und Austausch

Voraussetzung dafür sind sowohl die Architektur als auch eine Hausordnung, die solche Anpassungen ermöglicht. In welchem Masse gibt die Architektur den Bewohnenden Möglichkeiten an die Hand, Rückzug und Austausch individuell steuern zu können? Wie nehmen die Bewohnenden ihr Umfeld, ihre Wohnsituation und ihre Spielräume zur Regulierung von Austausch und Rückzug konkret wahr? Mit diesen Fragen machte sich das Forschungsteam auf den Weg zu neun ausgewählten Wohnsiedlungen, um diese verteilt auf mehrere Jahreszeiten zu untersuchen. Der Betrachtungsperimeter umfasste dabei das ganze Quartier bis zur einzelnen Wohnung.

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Zunächst ging es darum, zu beobachten und zu dokumentieren, wie die Bewohnenden mit Grenzziehungen und Übergängen zwischen öffentlich und privat umgehen und welche Funktion die baulich-räumliche Gestaltung des erweiterten Fassadenraums dabei einnimmt. Die Fotokamera wurde dabei zur wichtigen Begleiterin. Gruppen- und Einzelgespräche mit Bewohnern ermöglichten eine Spiegelung der Erfahrungen der Nutzer mit den Beobachtungen des Forschungsteams. Hier stellte sich schnell heraus, ob und wie die bauliche Gestaltung das Wechselspiel zwischen Rückzug und Austausch unterstützt oder eher vernachlässigt.

Während in einigen Siedlungen Zwischenräume und Übergänge zwischen öffentlichen und privaten Sphären sorgfältig gestaltet sind, sind andere Situationen mitunter problematisch. Etwa, wenn zu wenig zwischen öffentlich und privat differenziert wird oder die Orientierung der einzelnen Wohnbereiche im krassen Widerspruch zu Nutzungsangeboten im Außenraum steht.

Vielfältiges Nutzungsangebot

Zudem zeigte sich, dass ein vielfältiges Nutzungsangebot oder fußläufig erreichbare Naherholungsangebote wichtig für den Rückzug aus der Siedlung oder für den Austausch sind. Ein gut funktionierendes Quartier kann dabei durchaus Defizite der Wohnung ausgleichen. Wohnung, Außenraum, Quartier: Es geht nicht um die isolierte Betrachtung der einzelnen Aspekte, sondern vielmehr um das gelungene Wechselspiel und mögliche Wirkungszusammenhänge verschiedener Lebensräume, die eine Wohnsituation ausmachen – vom Wohnungsgrundriss bis hin zum Quartier…

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