„Wir müssen weg von der grünen Wiese“

Gerlind Weber über die Potenziale und Grenzen der Nachverdichtung und die zukünftige Bedeutung von Grund und Boden im exklusiven Interview – eine schonungslose Abrechnung mit aktuellen Trends in der Stadtentwicklung und positiven Beispielen, die vorzeigen wie es besser gehen kann.
MAIK NOVOTNY

Was assoziieren Sie mit dem Begriff „Nachverdichtung“?

Gerlind Weber: „Ich benutze lieber den Begriff Entwicklung. Das Wort Nachverdichtung ist sehr negativ konnotiert. Problematisch ist, dass man in Gebieten verdichtet, die sowieso stark nachgefragt werden, anstatt an der Peripherie, wo das Potenzial höher wäre. Alle stürzen sich auf die Gründerzeitviertel und versuchen, sie auszunützen wie es nur geht. Stichwort Luxussanierung.“

Wien wächst stetig auf die Zwei-Millionen-Grenze zu. Mittels Nachverdichtung und Stadtentwicklung versucht man, damit Schritt zu halten. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Weber: „Zwei Millionen sind eine kindische Zielsetzung. Es ist nur eine Ziffer. Man muss hier den Blick über die Stadtgrenze ausweiten. Wien ist eine Enklave in einem Bundesland mit anderer politischer Grundfärbung. Daher treten erstens Koordinationsmängel auf, zweitens heizen die Finanzierungssysteme den Wettbewerb an: Wenn mehr Einwohner mehr Ertragsanteile bedeuten, versuche ich, so viele Leute wir möglich an mich zu binden. Dieser Wettbewerb der Gemeinden schaukelt sich auf, und der Stärkere gewinnt. Das ist in der Regel die zentrale Stadt. Dieser Wettbewerb ist für alle Beteiligten nicht von Vorteil: überbeanspruchte Infrastruktur und hoher Wohnbedarf auf der einen Seite, Verödung auf der anderen. Nicht nur in Randgebieten, sondern auch im Zentrum, etwa wenn Erdgeschosse zu Garagenzonen werden.“

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Wie sieht es in anderen Städten und Bundesländern aus? In punkto Stadtentwicklung wird Innsbruck immer wieder als Vorbild genannt.

Weber: „Innsbruck ist experimentierfreudig, was Strategien zur Nutzung des beengten Raums angeht. Zum Beispiel wurde dort ein Supermarkt mit einer Schule überbaut. In manchen Quartieren ist absehbar, dass bestehende Gewerbehallen durch stabilere Bauten ersetzt werden, die für Wohnbau und andere Widmungen genutzt werden können, denn unternutzten Raum kann sich die Stadt gar nicht leisten. Da werden ganze Stadtquartiere umgekrempelt.“

Auf der anderen Seite geht die Zersiedelung am Land oft munter weiter, Österreich ist Europameister der Versiegelung.

Weber: „Dabei ist zu beachten, dass unverbauter Boden in Zukunft viel stärker nachgefragt werden wird. Die Konkurrenz wird sich enorm verschärfen. Weil die Energieversorgung umgestellt und dezentralisiert wird und Flächen beansprucht: Oberflächengeothermie, Windparks, Solarfarmen, Biomasse. Die Arzneimittel- oder Autoproduktion setzt zunehmend auf nachwachsende Rohstoffe und konkurriert um dieselben Flächen. Zudem liegt die Lebensmittelversorgung stark im Argen. Wir brauchen derzeit pro Person 0,36 Hektar, um uns auf dem jetzigen Niveau zu verpflegen. Diese Flächen gibt es aber gar nicht mehr! Österreich verfügt nur über 0,16 Hektar pro Person. Der Rest ist Import…

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