Das Terrain der ehemaligen Esso-Häuser auf St. Pauli dient als Paradebeispiel: Eine gewichtige Bebauungsfläche mitten in der Stadt liegt jahrelang brach.
Wo früher 110 Wohnungen für Geringverdiener sowie Läden, der berühmte Molotow-Club und die namensgebende Tankstelle zu finden waren, klafft seit dem Abriss der einsturzgefährdeten Häuser 2014 ein Loch – sie Baustelle zu nennen, wäre übertrieben. In den nun mehr als 10 Jahren erfolgte keinerlei Umsetzung einer neuen Bebauung. Durch Proteste, Einwirken der Stadt und Ansprüche der Mieter und Initiativen entstand jedoch zumindest ein Plan dafür.
Doch der Eigentümer des Grundstücks, die Bayerische Hausbau, baut nicht. Stattdessen erwarben im November 2024, also 10 Jahre später, die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA und die Quantum Immobilien AG das Grundstück direkt von der Bayerischen Hausbau Development. Durch diese Übernahme soll nun bis 2028 ein Projekt mit 100 Prozent öffentlich gefördertem Wohnraum, Kreativflächen und einem Hotel entstehen.
Solche ungenutzten, hitzig diskutierten Flächen gibt es in vielen Städten.
Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter kritisierte im August 2024 in diesem Kontext, dass selbst die zuletzt entworfene Baugesetznovelle das Wiedererstarken des kommunalen Vorkaufsrechts nicht zum Thema machte. Umso mehr Einwohner fragen sich: Wieso übernimmt die Stadt nicht das Grundstück? Doch ist eine solche Umsetzung rechtlich immer möglich?
René Thomas, Rechtsanwalt bei Koenen Bauanwälte, zeigt auf, ob und wie das Vorkaufsrecht dem Wohnungsmangel helfen könnte.
Am Anfang war das Baugesetzbuch
Die Paragrafen 24 – 28 im Baugesetzbuch, kurz BauGB, regeln den Anspruch von Gemeinden, beim Verkauf eines Grundstücks in ihrem Gemeindegebiet anstelle des Käufers in den wirksamen Vertrag einzutreten. Diese Regelung nennt sich „Vorkaufsrecht“. Seine Ausübung erfolgt durch Erlass eines so genannten privatrechtsgestaltenden Verwaltungsaktes (§ 28 BauGB), der den Abschluss eines Kaufvertrags zwischen Gemeinde und Verkäufer zu den gleichen Konditionen zur Folge hat, wie der vorherige mit dem Dritten, dem nun verdrängten Käufer.
Das sich aus dem Gesetz (§24 BauGB) oder aus der Satzung (§25 BauGB) ergebende Ziel eines Vorkaufsrechtes ist zum einen die gemeindliche Bauleitplanung, zum anderen die Umsetzung der Planungskonzeption. Es ermöglicht der Gemeinde unter dem Aspekt des Wohls der Allgemeinheit Grundstücke zu erwerben, ohne ein Enteignungsverfahren betreiben zu müssen. In der Vergangenheit fiel Vorkaufsrechten keine besondere Bedeutung zu. Doch aufgrund von Innenraumverknappung, zunehmendem Verdrängungsdruck sowie der Hortung von Grundstücken erlangen sie in der aktuellen Zeit einen höheren Stellenwert.
Wer mobilisiert hier wen?
Diese Entwicklung hat den Gesetzgeber dazu veranlasst, das Baulandmobilisierungsgesetz 2021 für Vorkaufsrechte zu erweitern: Es sieht vor, brachliegende Grundstücke dem Immobilienmarkt als Spekulationsobjekte zu entziehen. Vor allem der Bundesrat wünschte sich weitergehende Regelungen, etwa das für Wohnanlagen mit mehr als 50 Wohneinheiten ein Vorkaufsrecht der Gemeinde einzurichten sei, sofern nachteilige Auswirkungen auf das soziale oder städtebauliche Umfeld zu befürchten wären.
Doch die Bundesregierung wies diese Vorschläge des Bundesrates ab. Eine weitergehende Reform des kümmerlichen Vorkaufsrechts wird künftig jedoch im Kontext integrierter Stadtentwicklung unabdingbar.
Eingeschränkt wäre noch zu viel gesagt
Auch in der verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung ist das gemeindliche Vorkaufsrecht ständiger Streitpunkt. So entschied das Bundesverwaltungsgericht unter anderem mit Urteil vom 09.11.2021 über die Anwendung des sogenannten Ausübungsausschlussgrundes des § 26 Nr.4 BauGB im Geltungsbereich einer sogenannten Erhaltungssatzung wie folgt: Eine solche durch die Gemeinde erlassene Satzung soll ein im räumlichen Geltungsbereich immanentes Milieu schützen.
Sie soll also in solchen Bereichen Wohnende vor Verdrängung absichern und Mieten bezahlbar halten. In den Vorinstanzen urteilten das Verwaltungsgericht in erster Instanz und das Oberverwaltungsgericht in Berufungsinstanz, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des Vorkaufsrechts vorlägen. Argumentation: Die das Vorkaufsrecht begründende Gefährdung des Allgemeinwohls (§ 24 Abs. 3 Satz 1 BauGB) bestehe schon dann, wenn zu befürchten sei, dass der Käufer eine erhaltungswidrige Entwicklung anstrebt.
Anknüpfungspunkte hierfür sahen die Vorinstanzen unter anderem darin, dass das streitgegenständliche Grundstück zu einem sehr hohen Preis verkauft wurde und zu befürchten sei, dass dies durch mieterhöhende bauliche Maßnahmen refinanziert werden soll. Da die Käuferin eine Privatimmobiliengesellschaft sei, gingen die Entscheider von einem betriebswirtschaftlichen Interesse aus.
Das Bundesverwaltungsgericht folgte dieser Ansicht nicht, gab der verdrängten (Dritt-)Käuferin recht, und ließ das ausgeübte Vorkaufsrecht platzen. Dabei zeigte das Gericht dem beklagten Bundesland auf, dass ein Vorkaufsrecht mit der Begründung von künftig zu erwartenden Negativentwicklungen nicht greift. Dieses angefochtene Berufungsurteil verletze das Bundesrecht, da entscheidende Einschränkungen des Vorkaufsrechts (§ 26 Nr. 4 Alt. 2 BauGB) falsch beurteilt worden seien.
Fast schon zurückversetzend in den schulischen Deutschunterricht führte das Bundesgericht aus, das die zu beachtende Regelung „sich der Zeitform Präsens („bebaut ist und genutzt wird)“ bedient. Damit sei der gegenwärtige Zustand zu berücksichtigen, nicht aber zukünftig zu erwartende Entwicklungen. Mag dies auch nach formaljuristischer Spitzfindigkeit klingen, ist der Wortlaut das in der Jurisprudenz zuerst zu berücksichtigende Auslegungskriterium. Hierdurch wird regemäßig die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation abgesteckt.
Das Bundesverwaltungsgericht sah hier eine unzulässige Überschreitung. Gerade diese restriktive Entscheidung zeigt, dass das derzeitige BauGB zwingend einer Überarbeitung bedarf.


Neue Wege und Allianzen
Doch aktuell müssen deutsche Städte mit dem rechtlich unsicheren Status Quo leben. In Hamburg hat die Wohnungswirtschaft daraus ihre Schlüsse gezogen. Mit der Kampagne „Jede Wohnung zählt“ fordert sie nicht nur mehr Tempo beim Neubau, sondern auch klare, verlässliche Rahmenbedingungen bei der Flächenpolitik.
Hinter der Aktion stehen unter anderem der Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), der BFW Nord, der IVD Region Nord und der Grundeigentümer-Verband Hamburg – also jene, die tagtäglich mit Baurechtsverfahren, Grundstücksakquise und politischen Zielkonflikten zu tun haben.
Die Kernbotschaft:
Die Branche ist bereit, Verantwortung zu übernehmen. Sie braucht dafür aber rechtssichere Instrumente und eine Politik, die nicht nur appelliert, sondern ermöglicht. Die Forderung nach einer Reform des gemeindlichen Vorkaufsrechts ist daher keine ideologische, sondern eine pragmatische: Städte müssen gezielt und rechtssicher handeln können, wenn sich zentral gelegene Grundstücke dem Markt durch Spekulation, durch verfahrene Eigentümerstrukturen oder durch das bewusste Liegenlassen von Entwicklungspotenzialen entziehen.
Share Deals
Es war wiederum die Stadt Hamburg, die bezüglich eines Grundstücks im Binnenhafen erstmalig ein gemeindliches Vorkaufsrecht im Zusammenhang mit einem sogenannten Share Deal durchsetzte. Bereits Ende 2022 übte die zuständige Behörde ihr Vorkaufsrecht aus, 2024 einigten sich die Beteiligten auf die Abwicklung des Ankaufs, sodass keine gerichtliche Auseinandersetzung folgte.
Der Fall sorgte bundesweit für Aufsehen, da nun auch in anderen Städten die Durchsetzung dieser Verwaltungspraxis erwartet wird.
Aber was bedeuten Share Deals für die Immobilienwirtschaft?
Ausgangpunkt ist ein Immobilen haltendes Unternehmen. Ein Käufer erwirbt von diesem Unternehmen Anteile. Eigentümer im rechtlichen Sinne bleibt aber das vorherige Unternehmen, sodass es sich nicht um einen klassischen Immobilienverkauf handelt.
Grundsätzlich gelten Share Deals aber als umstritten. Sie dienen häufig als Mittel zum Zweck für Bodenspekulanten – denn auf diesem Weg müssen sie keine Grunderwerbssteuer zahlen.
Bei einem so vollzogenen Share Deal übte der Landesbetrieb für Immobilienmanagement und Grundvermögen das gemeindliche Vorkaufsrecht der Stadt Hamburg aus und überführte das Grundstück via die erworbene Gesellschaft an die Stadt Hamburg.
Da die Vorschriften über den Rechtskauf aber lediglich auf die Vorschriften des Kaufes und nicht auf die des Vorkaufes verweisen und auch § 24 BauGB in seinem Wortlaut explizit vom Kauf von Grundstücken spricht, war lange Zeit strittig, ob ein Vorkaufsrecht bei einem solchen Share Deal überhaupt bestehe. Rechtsunsicherheiten wie diese erschweren die Anwendung und sind der Grund für die bislang nur in Berlin und Hamburg erfolgten Vorkaufsrechte bei Share Deals. Bis dahin bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zu derartigen Konstellationen verhält.
Gründe für Stillstand
Dass innerstädtische Flächen über Jahre ungenutzt bleiben, muss nicht zwangsläufig ein Fall von Spekulation sein, auch wenn diese Vermutung in politischen Debatten oft reflexhaft geäußert wird. Tatsächlich lassen sich viele solcher Stillstände durch eine Vielzahl juristisch belegbarer Gründe erklären, die nichts mit Vorsatz oder Horten zu tun haben. So verfügen Kommunen zwar mitunter über ein gesetzliches Vorkaufsrecht, verzichten jedoch aus finanziellen oder strategischen Überlegungen auf dessen Ausübung. In solchen Fällen bleibt das Grundstück mangels alternativer Finanzierung oder schlicht wegen Prioritätsentscheidungen innerhalb der Stadtentwicklung in privater Hand.
Daneben existieren jedoch auch klassische Fälle von Bodenbevorratung, bei denen Eigentümer gezielt auf eine künftige Wertsteigerung spekulieren, ohne ein ernsthaftes Interesse an kurzfristiger Bebauung zu verfolgen. Das Problem dabei: Solange die Kommune kein Baugebot nach § 176 BauGB erlässt – ein Schritt, der rechtlich und politisch nicht unproblematisch ist –, ist dieses Verhalten schwer zu sanktionieren.
Doch nicht immer liegt die Ursache in der Eigentümerstruktur. Auch fehlende oder blockierte Baugenehmigungen können Vorhaben auf Jahre ausbremsen. Umweltauflagen, Anforderungen des Denkmalschutzes oder schlichtweg Konflikte mit bestehenden Bebauungsplänen führen regelmäßig dazu, dass Bauherren selbst bei klarem Willen zum Bau nicht vorankommen. Ebenso häufig sind langwierige Rechtsstreitigkeiten, etwa bei Erbengemeinschaften oder Rückabwicklungen von Enteignungen, die jede Entwicklung blockieren – oft über viele Jahre hinweg.
Finanzielle Risiken stellen einen weiteren Faktor dar. So können Investoren durch Insolvenz oder Projektaufgabe gezwungen sein, Vorhaben aufzugeben. Die daraus resultierende Hängepartie, wie sie beispielhaft beim Hamburger Elbtower zu beobachten ist, lähmt nicht nur die Bebauung der Fläche selbst, sondern auch das Vertrauen der Branche insgesamt. Schließlich kommen infrastrukturelle Hürden hinzu: Altlasten im Sinne des § 2 Abs. 5 BBodSchG oder fehlende Erschließung machen viele Grundstücke schlichtweg unbebaubar, zumindest ohne erhebliche Vorinvestitionen.
All diese Faktoren zeigen, dass Stillstand auf Bauflächen differenziert betrachtet werden muss. Pauschale Schuldzuweisungen greifen zu kurz. Gefragt ist eine systematische Analyse und ein Maßnahmenmix, der Spekulation begrenzt, Investitionen erleichtert und Planungssicherheit für alle Beteiligten schafft.
Fazit zum gemeindlichen Vorkaufsrecht
Das gemeindliche Vorkaufsrecht ist ein starkes Instrument, das Städten und Kommunen helfen kann, dringend benötigte Flächen für den Wohnungsbau und öffentliche Zwecke zu sichern. Gerade in Zeiten zunehmender Bodenknappheit und Spekulation ist es wichtiger denn je, dieses Recht konsequent anzuwenden und rechtssicher auszugestalten.
Doch die aktuelle Rechtslage ist komplex, von Einschränkungen geprägt und in vielen Fällen unzureichend, um dem spekulativen Stillstand wirksam entgegenzutreten. Die Fälle aus Hamburg und Berlin zeigen: Mit Mut, juristischem Know-how und politischem Willen lässt sich das Vorkaufsrecht erfolgreich nutzen – auch bei Share Deals.
Damit es jedoch zum wirkungsvollen Baustein für die Baulandmobilisierung wird, braucht es dringend gesetzliche Nachbesserungen und mehr Rechtssicherheit. Nur so kann die öffentliche Hand dem Wohnraummangel nachhaltig begegnen und städtische Flächen wieder aktiv gestalten.
Über den Autor:
Rene Thomas studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg. Schon früh beschäftigte er sich im Hauptstudium im Rahmen der Zusatzqualifikation im privaten Baurecht des Vereins zur Förderung von Forschung und Lehre im privaten Baurecht an der Philipps-Universität in Marburg e.V. unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Wolfgang Voit mit Problemen des privaten Baurechts unter Berücksichtigung des Architekten-, Ingenieur- und Projektsteuerungsrechts. In seinem Referendariat am Oberlandesgericht Düsseldorf absolvierte er unter anderem Stationen beim Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten und einer auf das Baurecht spezialisierten Kanzlei in Düsseldorf.