Vom Gebäudeabschluss zum Klimaretter

Das Dach befindet sich im Wandel – und mit ihm die Anforderungen an die Abdichtung. Begrünte Dächer sind eine Maßnahme zur Klimawandelanpassung und haben eine starke Zukunft.
MARC NIEWÖHNER

Ob für das Eigenheim, den Geschoßwohnungsbau oder Gewerbe und Industrie – wer derzeit baut, setzt oftmals auf ein Flachdach. Dies hat jedoch nicht ausschließlich mit wechselnden ästhetischen Trends zu tun. Auch die Funktion des Daches unterliegt einem Wandel: War ein Flachdach vor 40 Jahren noch eine zweckmäßige Entscheidung im Sinne einer preisgünstigen Lösung, so schafft man damit heute ein Plus an Wohn- und Lebensraum.

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Künftig aber wird dem Flachdach noch eine weitere, essenzielle Aufgabe zufallen. Mit einer Begrünung und ggf. einer Retentionsfläche versehen, wird es eine Maßnahme zur Minderung städtischer Wärmeinseln sein. Denn die Bepflanzung speichert Wasser und sorgt dafür, dass dieses sukzessive verdunstet – was Hitze sowie Überflutung entgegenwirkt. Daraus ergeben sich neue Anforderungen an die Abdichtung, denen bereits bei der Planung Rechnung getragen werden muss.

Durch Flachdächer gewinnt man nicht nur Wohnraum, was angesichts dessen Knappheit vor allem in urbanen Ballungsgebieten wichtig ist. Des Weiteren entsteht nutzbare Fläche: Diese wird zunehmend als Lebensraum wahrgenommen, sowohl für Menschen als auch für Pflanzen. Dachbegrünung hat nicht nur einen positiven Effekt auf das menschliche Wohlbefinden, sondern wirkt auch als Klimawandelanpassungs- Maßnahme.

Viel ungenutztes Potenzial

Der Weltklimarat IPCC hat erst kürzlich in seinem sechsten Weltklimabericht erneut auf die Dringlichkeit hingewiesen, mit der gegen die Auswirkungen der Klimakrise vorgegangen werden muss. So ist es laut des Berichts sehr wahrscheinlich, dass in den frühen 2030er-Jahren, spätestens jedoch 2040, die Erderhitzung den Schwellenwert von 1,5 Grad Celsius übersteigt. In der Folge wird es unter anderem vermehrt zu Starkregenereignissen kommen, von denen insbesondere urbane Ballungsgebiete betroffen sein werden. Dort jedoch stößt die Kanalisation schnell an ihre Grenzen und natürliche Versicherungsflächen gibt es nicht mehr ausreichend.

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Überdies verstärkt die Flächenversieglung das Aufheizen der Städte. Beidem kann man nur mit Vegetationsflächen effektiv entgegengewirkt werden. Denn allein ein Quadratmeter Gründach ohne einen Retentionsraum hat das Potenzial, pro Tag zwei Liter Wasser verdunsten zu lassen und 30 Liter Wasser zurückzuhalten. Circa zwei Drittel der eingestrahlten Energie werden außerdem in latente Wärme umgewandelt, die sich nicht aufheizend auf die Umgebungsluft auswirkt. Legt man diese Kennzahlen auf ein Stadtviertel um, würden die urbanen Räume zukünftig als lebenswerter Ort für die Bevölkerung erhalten bleiben.

Gründach

Zwar gibt es Gründächer vereinzelt schon seit den 1970er-Jahren, doch wurden diese damals vorwiegend als Dachgärten oder als Prestigeobjekte genutzt. Heute aber kann ein Gründach viel mehr sein: Bauherren haben grundsätzlich die Wahl zwischen intensiver und extensiver Begrünung. Die einfache extensive Dachbegrünung ist im urbanen Raum ein erster richtiger Schritt in die richtige Richtung.

Doch bereits mit verhältnismäßig kleinem Mehraufwand lassen sich positiven Effekte auf das Mikroklima und die Biodiversität verstärken. Erhöht man etwa die Anzahl der Standardpflanzenarten von fünf bis zehn Stück auf 30 bis 50 Pflanzenarten mit unterschiedlichen Aufbauhöhen zwischen 5 und 15 cm, ist ein optimaler ökologischer Standard als extensive oder intensiver Dachbegrünung erreichbar.1 Grün statt grau ist hier die Devise.

Wie der im Bundesverband GebäudeGrün e.V. (BuGG) in seiner Fachinformation „Positive Wirkungen von Gebäudebegrünungen (Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung)“ festhält, wurden 2019 rund 7,2 Millionen Quadratmeter Dachfläche begrünt – das ist doppelt so viel wie gut zehn Jahre zuvor. Hinzu kommt, dass der Anteil sanierungsfähiger Flachdächer aus den 1970er bis 90er-Jahren steigt. Dabei handelt es sich um Aufbauten mit 80 bis 120 Millimeter Wärmedämmung plus einer Abdichtung, die schon häufig repariert, aber nie vollständig saniert wurden.

Diese Objekte erfüllen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht die aktuellen Wärmeschutzstandards des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG). In erster Linie gilt es, nach dem Abfallwirtschaftsgesetz den Abfall zu vermeiden und Ressourcen zu schonen. Sachverständige arbeiten heute an Lösungen, um vorhandene Wärmedämmungen von Leckage behafteten Dächern zu trocknen und anschließend die Dachabdichtung z. B. mit einem Flüssigkunststoff vollständig zu ertüchtigen. Auf diesen neu sanierten Flächen kann etwa ein Plusdach zur Erhöhung des energetischen Standards aufgebaut und/oder ein Gründach realisiert werden.

Erhöhter Anspruch

Mit dem Wandel des Daches vom bloßen Schutz vor Wasser hin zum begrünten Lebensraum finden sich Planer und Verarbeiter gleichermaßen mit besonderen Konstruktionsarten konfrontiert, die erhöhte Anforderungen an ihre Abdichtung stellen. Ob es sich dabei um eine intensive oder eine extensive Begrünung handelt, hat zunächst keinen Einfluss auf das, was die Abdichtung leisten muss…

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