In München-Neuperlach lässt sich begutachten, wie ein Stadtteil aus der Nachkriegszeit modernisiert und Teil des „Green New Deal“ der EU werden kann.
— FRANZISKA LEEB
Es sei wichtig, Dinge auf einer emotionalen Ebene zu verstehen, betont die Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk anlässlich der Eröffnung der Ausstellung, die im Frühjahr zum Abschluss des Projekts „Creating NEBourhoods Together“ in der Architekturgalerie München gezeigt wurde. Es handelt sich dabei um eines der sechs Leuchtturmprojekte, die ausgewählt wurden, um Ursula von der Leyens Initiative eines Neuen Europäischen Bauhauses, kurz NEB, umzusetzen.
Nach den Prinzipien schön, nachhaltig und gemeinsam sollen sie den umwelt- und wirtschaftszentrierten European Green Deal um eine kulturelle Dimension erweitern und ihn zwecks Inspiration weiterer Aktivitäten unter die Menschen bringen. „Wenn Funktionalität und Faktenwissen genügen würden, wären wir schon sehr viel weiter. Man braucht einen direkten Zugang zu den Menschen, mit denen wir die Stadt von der Mobilitätswende bis zur Klimawende gut aufsetzen wollen“, so die Stadtbaurätin.


Eingebettet in Planungsstrategien
Neuperlach, ab den späten 1960er-Jahren als Trabantenstadt im Münchner Südosten aus dem Boden gestampft, hat rund 42.000 Einwohner:innen. Nicht von ungefähr wurde dieser Stadtteil ausgewählt, um ihn in cokreativen Prozessen zukunftsfähig weiterzuentwickeln. Die Transformation von Neuperlach steht schon seit Längerem auf der Agenda, wie die gebürtige Wienerin Sylvia Pintarits, Europabeauftragte in der Münchner Stadtplanung sowie Koordinatorin und Seele des Demonstrationsprojekts, erklärt. Das NEBourhoods-Pro- jekt konnte daher in bereits bestehende Konzepte eingebettet werden und knüpft an Stärken von Neuperlach an – eine starke Bindung der Bevölkerung an den Stadtteil und aktive Vereine.


Creating NEBourhoods Together
Als eines der Leuchtturmprojekte für das Neue Europäische Bauhaus (NEB) der Europäischen Union hat Creating NEBourhoods Together in München- Neuperlach gemeinsam mit der Bevölkerung, Initiativen, Verwaltung, wissenschaftlichen Institutionen und Unternehmen sowie Start-ups in co-kreativen Prozessen Prototypen und Lösungen erarbeitet. Koordiniert wurde das Projekt vom Referat für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München, die das Projekt mit mehr als einem Dutzend weiterer Projektpartner ins Leben gerufen und umgesetzt hat. Die auf der Projektwebsite zugängliche Open-Access- Publikation „NEBourhoods for Tomorrow“ dokumentiert die entwickelten Methoden, Strategien und Prozesse und dient als Inspiration und Leitfaden für andere, die ähnliche Wege beschreiten möchten. Orientiert an den in transdisziplinären Arbeitsprozessen des NEB involvierten Gruppen bietet die Publikation verschiedene Lese- und Informationsebenen: Thematische Einordnungen, eine detaillierte Vorstellung der Prototypen sowie jeder Aktion zugeordnete Steckbriefe. Letztere beschreiben relevante Schritte zur Replikation, zu involvierende Stakeholder:innen sowie Potenziale und Herausforderungen der Maßnahmen. QRCodes, die zu weiterführenden Dokumenten und Informationen führen, sowie Kontaktdaten der für die jeweilige Aktion Verantwortlichen ergänzen das (vorläufig nur in englischer Sprache vorliegende) nützliche Handbuch. www.nebourhoods.de
Im Zusammenwirken motivierter und engagierter Menschen aus der Stadtverwaltung, der Wissenschaft, der Kunst und Kultur, der Wirtschaft und nicht zuletzt aus der Neuperlacher Bevölkerung entstanden in Reallaboren Prototypen für ein klimaneutrales Quartier mit starken Nachbarschaften. Dabei ging es von der räumlichen Erweiterung sanierungsbedürftiger Wohnbauten über nachhaltige Ernährung, innovative Mobilität, die Erhöhung der Biodiversität, Maßnahmen gegen Überhitzung, die Schaffung von Orten für Jugendkultur, die Transformation monofunktionaler Bürogebäude und der umgebenden Außenräume bis hin zur Gründung einer Energiegemeinschaft.
Prototypen für die Zukunft
Über Neuperlach verteilt entstanden zahlreiche Projekte. Zum Beispiel der Nisthocker, den das Studio Animal- Aided Design gemeinsam mit Studierenden vom Forschungsbereich Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung der TU Wien unter der Leitung von Thomas E. Hauck und Susann Ahn entwickelt hat. Die modulare Holzstruktur bietet Raum für Menschen, Tiere und Pflanzen, ist zerlegbar und kann bei Bedarf den Ort wechseln.
An einer Außenwand der Kinderund Jugendfreizeitstätte Südpolstation wird eine am Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie an der TU München entwickelte Fassade getestet, die Nistmöglichkeiten für Vögel anbietet. Weiters entstanden leicht im Selbstbau zu errichtende Hochbeete, ein Schattendach, das zudem Energie produziert und vieles mehr.
Dabei gehe es nicht wie in früheren Zeiten darum, „zu sagen, hier ist ein defizitärer Stadtteil, reparieren wir drei Sachen und dann ist es wieder gut“, betont Stadtbaurätin Merk. Vielmehr gehe es um eine andere Haltung zur Stadt. „Der Gedanke, dass Gestaltung und ein gutes Miteinander Treiber für Änderung sein können, das war die Hypothese, und es hat geklappt.“
Das Beste daran: Die Ergebnisse samt Handlungsempfehlungen und Bauanleitungen sind auf der Projektwebsite dokumentiert und können so auch andernorts Eingang finden oder übernommen werden.