„Geht nicht, gibt es nicht“, lautet im Sozialbau-Verbund die Devise, wenn es um die thermisch-energetische Sanierung des Wohnungsbestands und klimasensiblen Neubau geht. Was ist technisch sinnvoll? Was ist rechtlich zu beachten? Wie ist das alles zu finanzieren? Während andere noch zaudern, wird bei der Sozialbau AG angepackt – im Bestand, im Neubau und im Grätzl.
In 25 Jahren will die EU klimaneutral sein, in 15 Jahren Österreich. Die Sozialbau AG hat sich 2030 zum Ziel gesetzt. Das bleiben gerade noch fünf Jahre, so viel wie die Legislaturperiode der Bundesregierung. Ist das zu schaffen? „Jein“, sagt Ernst Bach. Er ist seit 33 Jahren in der Sozialbau tätig, seit Mai 2023 Vorstandsvorsitzender der Sozialbau AG. Damals hatten sich infolge der Corona-Pandemie die Energiepreise vervielfacht und der Angriff Russlands auf die Ukraine hatte das Risiko, das mit der Abhängigkeit von russischem Gas einhergeht, deutlich werden lassen. Unabhängig von bereits festgeschriebenen europäischen, nationalen und regionalen Dekarbonisierungszielen war plötzlich die Notwendigkeit für „Raus aus Gas“ breit im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Aber wie man da rasch rauskommt, dafür hatten nur wenige einen Plan.
Ernst Bach, mit seinem Team immerhin für fast 55.000 verwaltete Wohnungen verantwortlich, hatte einen: „Die Erkenntnis für uns: Wir müssen sofort handeln. Das sind wir unseren Bewohnerinnen und Bewohnern schuldig.“ Im Zuge der Dekarbonisierungsstrategie wurde eine Vielzahl an Pilotprojekten zur energetischen Bestandsmodernisierung gestartet, um die nachhaltige Energieversorgung voranzutreiben. Bereits einige Jahre zuvor wurde eine mit der Zentralisierung der Einzelgasthermen durch eine Energiezentrale am Dachboden ein wesentlicher Grundstein für das „Raus aus Gas“ gelegt. „Bis 2030 werden wir technisch in der Lage sein, jedes Haus sofort auf nachhaltige Energieversorgung umstellen zu können, wenn die Bewohner:innen das möchten.“ Im „Jein“ klingt also Zweckpessimismus mit. Denn sieht man sich die bereits umgesetzten Projekte an, drängt sich kein Grund auf, warum die Menschen etwas dagegen haben sollten. Schauen wir uns also an, was alles geht, wenn man will.


Dekarbonisieren macht schöner
Vorzeigebeispiel Nummer eins finden wir in der Barawitzkagasse, die liegt zwar im feinen Wiener Bezirk Döbling, ist aber eine verkehrsbelastete Durch zugsstraße mit wenig Aufenthaltsqualität. Vom Aschenputtel zur Energieprinzessin der Gasse mausert sich dort gerade das 1966 fertiggestellte Wohnhaus von Harry Glück. Deren Heizsystem wird von dezentralen Einzelgasthermen auf ein Wärmepumpensystem – ein Mix aus Luft-Wärmepumpe am Dach und Sole-Wärmepumpe im Keller – umgestellt. Dazu wurden die Heizungsleitungen entlang der Fassade verlegt, und nun wird eine Wärmedämmung angebracht.
Über fünf bis zu 85 Meter tief in den Innenhof gebohrte Tiefensonden lässt sich in der kalten Jahreszeit Heizwärme entnehmen. Im Sommer wiederum wird die Wärme aus den Wohnungen in den Erdsonden gespeichert und somit eine Abkühlung der Wohnungen um etwa zwei Grad Celsius erreicht werden. In den Wohnungen haben die Bewohner:innen die Möglichkeit, ihre alten Heizkörper gegen Gebläsekonvektoren zu tauschen.
Die Warmwasserbereitung erfolgt über neue 80-Liter-Elektro-Boiler. Die Energie für den Betrieb von Wärmepumpen und Boilern liefert eine Photovoltaikanlage am Dach, etwaige Überschüsse werden den Mieter:innen kostenfrei zur Verfügung gestellt. Zusätzliche Effekte bringt die Fassadenbegrünung die nicht nur dem Mikroklima von Haus und Gasse zum Vorteil gereichen wird, sondern auch der Optik.
Besser mehr
Ein Haus umzustellen, ist gut, noch besser ist es, wenn mehrere profitieren – so wie in der Simon-Denk-Gasse beim Franz-Josefs-Bahnhof in Wien- Alsergrund. Das dort von der Sozialbau initiierte, wissenschaftlich begleitete und von der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderte Nahwärmeprojekt umfasst fünf Liegenschaften mit insgesamt 100 Wohnungen, womit es der derzeit größte geplante Nahwärmeverbund im Bestand ist. Als Wärmequelle wird das vor Ort vorhandene geothermische Potenzial genutzt und der Wärme- und Kühlbedarf durch Grundwasser-Wärmepumpen gewährleistet.


Um einen optimalen Wirkungsgrad von Grundwasser-Wärmepumpen zu gewährleisten, ist ein Mindestabstand der dafür erforderlichen Brunnen von 15 Metern einzuhalten. Im dicht bebauten Grätzl waren daher Bohrungen auf Nachbarliegenschaften erforderlich – ein Grund, im Quartier zu denken und sich mit den anderen Eigentümer:innen im wahrsten Sinn des Wortes zu vernetzen. Optimale Ergebnisse für alle erreichen kann man – wie das Pilotprojekt zeigt – trotz ungleicher Gebäudestrukturen, Sanierungsstadien und verschiedener wohnrechtlicher Regime. Und wenn schon gebohrt und gegraben wird, dann gleich richtig: Im Zuge der Errichtung des Nahwärmenetzes wurde auch gleich die Neugestaltung der Gasse angegangen. Entsiegelte Flächen, neue Bäume. Sitzgelegenheiten, ein Trinkbrunnen und mehr Komfort für Fußgänger:innen kommen allen Anrainer:innen zugute und machen die Klimawende sichtbar.
Sozialbau AG in Zahlen
- 54.937 verwaltete Wohnungen
- 120.000 Bewohnerinnen und Bewohner
- 6 % Anteil am Wiener Wohnungsbestand
- 581 Wohnungen in Bau
- 2.400 PV-Anlagen
- 37.125 t jährliche CO₂- Einsparung durch thermische Sanierung
Diese Pilotprojekte stehen beispielgebend für die Sozialbau-Strategie zur Dekarbonisierung des Wohnungsbestands. Je nach örtlicher Situation und Beschaffenheit der Wohnhausanlage steht ein „Werkzeugkoffer“ parat, dessen Inhalt aus Wärmepumpen, Erdsonden, Photovoltaik und Grünfassaden für die jeweils passende Lösung eingesetzt wird – gern auch gemeinsam mit anderen und so individuell wie möglich.
Neue Inhalte
Ein besonderes Zuhause-Gefühl verspricht das Quartier Sophie 7 gegenüber vom Wiener Westbahnhof. Im Herbst 2023 war Baubeginn für das in das bestehende Stadtgefüge eingewobene Wohnquartier auf dem Areal des ehemaligen Sophienspitals, das von der Sozialbau AG gemeinsam mit der WBV-GPA entwickelt und bis Ende des Jahres fertiggestellt sein wird. Hier erhält historischer, teils denkmalgeschützter Altbestand neue Inhalte und im Bezirk dringend benötigte leistbare Wohnungen. Dass hier die Energieversorgung von vornherein nachhaltig ist, versteht sich von selbst. Photovoltaik versorgt die Gemeinschaftsräume, Allgemeinflächen und die gesamte Haustechnik mit Strom.
Die Wärmeversorgung erfolgt durch Fernwärme und Geothermie. Mit Volkshochschule, Kindergarten, einem Treffpunkt für Pensionist:innen, Co- Working-Spaces, Pop-up-Stores, einem Veranstaltungssaal und einem Gastrobetrieb wird die Basis für soziale Nachhaltigkeit gelegt. Der öffentlich zugängliche Park wird ein wichtiger Naherholungsraum für den ganzen Stadtteil sein. Gegen sommerliche Überhitzung und für ein gutes Mikroklima sorgen begrünte Fassaden und Balkonlauben sowie Versickerungs- und Verdunstungsflächen auf den Dächern. Den Zweckpessimismus kann man getrost in Optimismus wandeln: Ja, wir schaffen das.