Poesie ist notwendig

Seit den 1990er-Jahren arbeiten Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Ernst J. Fuchs zusammen, seit 2000 als the next Enterprise Architects (tnE). Von Anbeginn bis heute geht es ihnen darum, ausgehend von der Analyse eines Ortes, räumliche und soziale Mehrwerte zu schaffen, wie sie im Gespräch darlegen. Etliche ihrer Konzeptionen, insbesondere zum Wohnen, die vor 20 Jahren radikal und utopisch anmuteten, haben heute in modifizierter Weise Eingang in die gebaute Praxis gefunden.
FRANZISKA LEEB

Euer Name wir heute zumeist mit Euren spektakulären Bauten im Kulturbereich wie dem Wolkenturm in Grafenegg, jüngst den Salzwelten Salzburg und dem Museum für die Heidi Horten Collection, das im Frühjahr 2022 fertig werden wird, verbunden. Als „Wohnbauarchitekten“ tituliert Euch kaum jemand. Dabei habt Ihr Euch schon als ganz junge Architekten vor mehr als 20 Jahren sehr intensiv mit dem Wohnbau auseinandergesetzt, sehr innovative Konzepte entwickelt und manches davon auch umgesetzt.

Wir haben scheinbar den Ruf, dass es uns zu minder ist, einen „normalen“ Wohnbau zu planen. Ich weiß aber nicht, woher diese Vorstellung kommt. Es mag daran liegen, dass wir in unserem gebauten Werk vor allem Sonderprojekte vorzuweisen haben. Wir finden, dass jedes Projekt ein Sonderprojekt ist, unabhängig ob ein Wohn- oder Kulturgebäude.

Ernst Fuchs
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Aspekte von Wohnkonzepten, die ihr vor mehr als zwei Jahrzehnten entwickelt habt, sind heute Realität, ich denke da zum Beispiel an das „Wohtel“, eine Mischform aus Wohnhaus und Hotel, wo der individuelle Wohnraum zugunsten eines hohen Anteiles an gemeinschaftlichen Flächen und „Fernräumen“, die im Bedarfsfall zugemietet werden können, reduziert war.

Ja, wir haben damals untersucht, wie sich das Private und das Öffentliche in einem Haus mischen können und wie man selbst dann, wenn man nur eine kleine Wohnung gemietet hat, das ganze Haus als seines wahrnehmen kann, weil es viele Flächen zur Aneignung gibt. Beim experimentellen Wohnprojekt Kempelenpark konnten wir dieses Konzept umsetzen.

Ernst Fuchs

Schon damals war uns eine möglichst bunte Mischung der Bewohner*innen wichtig und das gilt nach wie vor. Es gab und gibt die Tendenz zu sogenannten Themenwohnbauten für bestimmte Zielgruppen, das interessiert uns weniger. Wir denken beim Wohnen generationenübergreifend, weil sich auch so viel mehr Möglichkeiten gegenseitiger Unterstützung ergeben können.

Ganz wichtig finde ich aber, dass in Stadthäusern das Wohnen noch viel stärker als bis jetzt mit dem Produzieren verbunden wird. Das Konzept der produktiven Stadt halte ich für ein sehr wichtiges. In der Theorie und auch in der Praxis gibt es bereits einiges, was in die richtige Richtung geht, aber in der räumlichen Ausformulierung ist noch sehr viel Luft nach oben.

Marie-Therese Harnoncourt

2004 habt Ihr bei Eurem Beitrag für den Bauträgerwettbewerb auf dem Areal der Wilhelmskaserne in Wien den Begriff „der poröse Block“ geprägt. Damit war mehr gemeint als bloß Durchgänge im Blockrand.

Unter „poröser Block“ verstehen wir eine Durchlässigkeit in mehrfacher Hinsicht: physisch und programmatisch. Es geht um Gebäude, die vielfältige Nutzungsoptionen bieten und nicht für sich alleine stehen. Ein Haus atmet stets mit dem Umfeld. Daher ist es uns immer wichtig, zu analysieren, was in der Umgebung passiert und wie wir das Neue mit dem Vorhandenen verschränken und Geschichten weitererzählen können. Interaktion ist das Um und Auf. Es gibt eine innere Zirkulation und eine äußere, welche die umgebende Stadt miteinbezieht.

Ernst Fuchs

Es geht dabei sowohl darum, die Topografie der Umgebung miteinzubeziehen als auch die Bedürfnisse der bereits ansässigen Bevölkerung. So kann das Neue vom Alten profitieren und umgekehrt.

Marie-Therese Harnoncourt

Ihr habt in Euren Anfangsjahren sehr experimentelle Wohnbauten in kleinerem Maßstab realisiert, Low-Cost, Low- Tech. Wie haben sie sich bewährt?

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