Nichtigkeit gefasster Beschlüsse einer Vertreterversammlung während Corona

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einem Verfahren darüber zu entscheiden, ob während der Corona-Pandemie gefasste Beschlüsse einer Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nichtig oder nur anfechtbar sind, wenn die Wohnungseigentümer an der Eigentümerversammlung nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen konnten.

Verhandlungstermin am 9. Februar 2024 um 9.30 Uhr in Sachen V ZR 80/23

Sachverhalt:
Die Kläger sind Mitglieder der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer. Deren Verwalterin lud zu einer am 24. November 2020 „schriftlich“ stattfindenden Eigentümerversammlung ein, verbunden mit der Aufforderung an die Wohnungseigentümer, ihr unter Verwendung beigefügter Formulare eine Vollmacht und Weisungen für die Stimmabgabe zu erteilen.

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Fünf von vierundzwanzig Wohnungseigentümern kamen der Aufforderung nach und bevollmächtigten die Verwalterin; die Kläger erteilten keine Vollmacht. In der Eigentümerversammlung war nur die Verwalterin anwesend. Diese übersandte das Protokoll der Versammlung mit den von ihr gefassten Beschlüssen mit Schreiben vom 24. November 2020 an die Wohnungseigentümer.

Bisheriger Prozessverlauf:
Die Beschlussmängelklage der Kläger hat das Amtsgericht wegen Ablaufs der einmonatigen Frist für die Anfechtungsklage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht die Beschlüsse für nichtig erklärt. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen.

Das Landgericht hält die Versäumung der Anfechtungsfrist für unschädlich, weil die in der Eigentümerversammlung vom 24. November 2020 gefassten Beschlüsse nach § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG nichtig seien. Die Nichtigkeit folge aus einer Verletzung des individuellen Rechts eines jeden Wohnungseigentümers auf persönliche Teilnahme an einer Eigentümerversammlung.

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Das Einladungsschreiben der Verwalterin habe von den Wohnungseigentümern nur so verstanden werden können, dass eine persönliche Teilnahme an der Versammlung nicht möglich sei und die Ausübung des Teilhabe- und Stimmrechts allein durch die Bevollmächtigung der Verwalterin erfolgen könne. Darin sei eine Ausladung der Eigentümer und ein Eingriff in den unantastbaren Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts zu sehen.

Dieser Eingriff sei nicht mit der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen aufgrund der Gesetze und Verordnungen zum Infektionsschutz zu rechtfertigen. Zur Bewältigung der Auswirkungen der pandemiebedingten Beschränkungen habe der Gesetzgeber in § 6 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht lediglich die Fortgeltung einer Verwalterbestellung und eines beschlossenen Wirtschaftsplans geregelt. Für die Durchführung von Eigentümerversammlungen habe er dagegen keine Regelungen getroffen. Die Wohnungseigentümer müssten sich deshalb an die geltenden Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes und die darauf gestützten landesrechtlichen Verordnungen einerseits und die wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben andererseits halten.

Vorinstanzen:
AG Frankfurt a.M. – Urteil vom 7. Juli 2022 – 381 C 495/20 (37)
LG Frankfurt a.M. – Urteil vom 27. März 2023 – 2-09 S 38/22

Die maßgeblichen Vorschriften lauten:

§ 23 WEG Wohnungseigentümerversammlung
(4) Ein Beschluss, der gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann, ist nichtig. Im Übrigen ist ein Beschluss gültig, solange er nicht durch rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt ist.

§ 44 WEG Beschlussklagen
(1) Das Gericht kann auf Klage eines Wohnungseigentümers einen Beschluss für ungültig erklären (Anfechtungsklage) oder seine Nichtigkeit feststellen (Nichtigkeitsklage). […]
(2) Die Klagen sind gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu richten. […]

§ 45 WEG Fristen der Anfechtungsklage
Die Anfechtungsklage muss innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben und innerhalb zweier Monate nach der Beschlussfassung begründet werden. […].

§ 6 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie – Wohnungseigentümergemeinschaften
(1) Der zuletzt bestellte Verwalter im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes bleibt bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung eines neuen Verwalters im Amt.
(2) Der zuletzt von den Wohnungseigentümern beschlossene Wirtschaftsplan gilt bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.

Karlsruhe, den 10. Januar 2024

Kommentar von VNW-Justiziar Dr. Kai Mediger:

Der BGH wird darüber zu entscheiden haben, ob die auf der „Versammlung“ gefassten Beschlüsse als nichtig anzusehen sind (so das Landgericht Frankfurt als direkte Vorinstanz) oder aber als nur anfechtbar (so das Amtsgericht Frankfurt). Das hat im Fall unmittelbare Folgen: Denn wenn der BGH dem Amtsgericht folgt und die Beschlüsse als „nur“ anfechtbar ansieht, dann wäre die Klage gegen die Beschlüsse abzuweisen, weil die Anfechtungskläger die einmonatige Anfechtungsfrist versäumt haben. Folgt der BGH aber dem Landgericht und hält die gefassten Beschlüsse sogar für nichtig, dann wirkt sich die Versäumung der Anfechtungsfrist nicht aus – ein nichtiger Beschluss kann keine Rechtswirkungen haben und kann auch nicht nach Ablauf einer Anfechtungsfrist wirksam werden.

Das Landgericht sieht die gefassten Beschlüsse für nichtig an, weil in den Kernbereich der Eigentümerrechte eingegriffen worden sei. Denn die Eigentümer seien praktisch ausgeladen worden und ihr Recht auf Teilnahme an der Eigentümerversammlung und auch an der Willensbildung (durch Diskussion und Ausübung des Rederechts in der Versammlung) sei dadurch umgangen worden, dass den Eigentümern lediglich die Möglichkeit der Bevollmächtigung der Verwalterin belassen worden ist.

Ich halte diese rechtliche Würdigung des Landgerichts für zutreffend und richtig. Die auf der Versammlung gefassten Beschlüsse dürften auch meiner Ansicht nach als nichtig anzusehen sein. Denn die Vorgehensweise der Verwalterin zielt im Ergebnis in der Tat darauf ab, jegliche Einflussnahme der Eigentümer durch Ausübung des ihnen zustehenden Rederechts zu unterbinden. Den Eigentümern wurde durch diese Vorgehensweise der Verwaltung jegliche Möglichkeit genommen, an der Versammlung teilzunehmen und die dort zu fassenden Beschlüsse zu beeinflussen. Es gehört aber zu den elementaren Rechten jedes Wohnungseigentümers, persönlich an einer WEG-Versammlung teilnehmen zu dürfen und die dortigen Beschlussfassungen durch Redebeiträge oder Diskussionsbeiträge auch zu beeinflussen.

In ganz ähnlicher Weise hat auch das Amtsgericht München in einem vergleichbaren Fall entschieden und die dort gefassten Beschlüsse für nichtig gehalten, weil sie in den Kernbereich der Eigentümerrechte eingreifen (AG München, Endurteil vom 19. November 2020, 483 C 8456/20 WEG). Auch im dortigen Fall hat die Einladung der Verwalterin suggeriert, dass eine persönliche Teilnahme nicht möglich sei, zudem war die dort angesetzte Uhrzeit (10.00 Uhr) für den normalen werktätigen Wohnungseigentümer unzumutbar. Das AG München führt in seinem Urteil wörtlich wie folgt aus: 

„Diese Form der Einladung verletzte die Wohnungseigentümer im Kernbereich ihrer Rechte, nämlich dem Recht auf Teilnahme an der Eigentümerversammlung und Ausübung des Stimmrechts. Zwar konnten die Wohnungseigentümer schriftlich ihr Stimmrecht ausüben. Eine Auseinandersetzung und Diskussion über die verschiedenen Beschlussanträge konnte indes nicht stattfinden. Genau dies stellt jedoch den Wesensgehalt einer Eigentümerversammlung als dem Willensbildungsorgan der Wohnungseigentümergemeinschaft im Sinne des § 23 Abs. 1 WEG dar….“

Das trifft meines Erachtens zu und ist auch auf den hier vorliegenden Fall übertragbar. Daher dürften die Beschlüsse bereits aus diesem Grund nichtig sein.

Ich würde aber – sogar noch weitergehend als das Landgericht – davon ausgehen, dass nicht nur die Form der Ladung und die Verwehrung der persönlichen Teilnahme einen so schwerwiegenden Mangel darstellt, dass eine Nichtigkeit der Beschlüsse gegeben ist. Ich gehe davon aus, dass es sich bei dieser hier von der Verwalterin angekündigten „schriftlichen“ Eigentümerversammlung noch nicht einmal um eine Eigentümerversammlung handelt. Denn das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) sieht keine „schriftlichen“ Versammlungen vor. Es gab also auch keine Rechtsgrundlage für die Durchführung und Einladung zu einer „schriftlichen“ Versammlung.

Möglich ist nur die Präsenzversammlung und – seit der WEG-Novelle – auch eine Hybridversammlung, wenn die Eigentümer das so beschlossen haben, also eine Versammlung in Präsenz und zugleich mit virtueller Zuschaltung von Eigentümern (siehe § 24 Abs. 1 Satz 2 WEG). Eine rein „schriftliche“ Versammlung gibt es nach dem WEG nicht. Das darf auch nicht verwechselt werden mit der – auch nach dem WEG möglichen – allstimmigen schriftlichen Beschlussfassung.

Nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG ist eine Beschlussfassung auch OHNE Versammlung gültig, wenn alle Wohnungseigentümer ihre Zustimmung zur Beschlussfassung in Textform (z. B. per E-Mail erklären). Darum ging es dem Verwalter im hier vorliegenden Fall aber nicht. Der Verwalter hat keine Beschlussfassung im schriftlichen Umlaufverfahren angekündigt, sondern explizit die Durchführung einer Versammlung. Er wollte also auch eine Versammlung durchführen lassen. Dann aber muss er sich auch daran messen lassen, was das WEG an Vorgaben für die Einberufung und Durchführung einer Versammlung macht. Dass es damals – aufgrund der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Corona-Verordnungen – rechtlich nicht möglich war, mit vielen Teilnehmern zusammenzukommen und eine Versammlung durchzuführen, ist dabei unerheblich.

Das gibt dem Verwalter nicht das Recht, eine „eigene“ Rechtsgrundlage für eine „schriftliche“ Versammlung zu kreieren, die es nach dem WEG nicht gibt. Der Verwalter hätte im konkreten Fall dann eben auf die Einberufung einer Versammlung verzichten müssen, bis die Corona-Verordnungen die Durchführung einer Versammlung wieder zulassen. Alternativ hätte man schriftliche Beschlussfassungen durchführen können, aber eben keine WEG-Versammlung.

Es bleibt spannend, wie der Bundesgerichtshof das sieht. Aus meiner Sicht stehen die Klägerchancen aus den dargestellten Gründen gut, dass der BGH die gefassten Beschlüsse als nichtig ansehen wird.

Dr. Kai Mediger
Rechtsanwalt und Justiziar

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