Grundrisse für kleine Budgets

Deutschlands Wohnpreise sind vor allem in Ballungsgebieten in die Höhe geschnellt. Die Antwort sind klug konzipierte Klein-Wohnungen mit intelligenten Grundrissen. Das „Tiny 100“ der Berliner Hilfswerk Siedlung ist ein erstes Experiment.
SABINE RICHTER
freie Mitarbeiterin bei dem WohnenPlus-Partner DW/Deutsche Wohnungswirtschaft

Das Haus des Architekten Van Bo Le-Mentzel misst gerade mal 6,4 Quadratmeter. Trotzdem passen Bett, Küche, Dusche und Sofa rein. Verschachtelt, gestapelt, aber dank einer Deckenhöhe von 3,60 Metern möglich. Putzig und gemütlich ist dieses Zuhause. Sitzt man am Schreibtisch, baumeln die Füße in die Küchenzeile. Le-Mentzel ist Begründer der Tiny-House-University – einem Denk-Kollektiv, das in Berlin-Kreuzberg Ideen für viel Wohnraum auf wenig Fläche entwickelt und dabei auslotet, auf welchem Raum man gerade noch leben kann.

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Deutschlands Wohnbauträger nehmen Van Mentzels Ideen ernst. Den Prototyp aus Holz mit Herstellungskosten von knapp 40.000 Euro hat die Hilfswerk-Siedlung GmbH Berlin gesponsert. Eine Wohnung soll für 100 Euro Miete im Monat, deshalb „Tiny 100“, alles bieten, was ein Mensch zum Leben braucht. „Wir betrachten das Tiny House als Experiment. Wir wollen eine gesellschaftliche Diskussion zu den Fragen anstoßen, wie viel Wohnen wir uns leisten können oder wollen und ob wir bereit sind, uns neuen Erfordernissen anzupassen“, begründet Jörn von der Lieth, Geschäftsführer der Hilfswerk-Siedlung, HWS, warum er HWSdieses Projekt angeschoben hat. Die Hilfswerk-Siedlung ist ein Wohnungsunternehmen der Evangelischen Kirche, dessen Kunden hauptsächlich Mieter mit kleinem und mittlerem Einkommen sind.

Das 100-Euro-Haus wäre, so von der Lieth, für jeden eine Option, dem die Fläche ausreicht. Menschen, die nur kurz in der Stadt arbeiten, für Studierende, als Ferienwohnung, für Saisonarbeiter. Allerdings glaubt selbst von der Lieth nicht, dass das derzeit in Deutschland genehmigungsfähig wäre, „denn die Musterbauordnung und die Wohnflächenverordnung kennen so etwas Kleines gar nicht“. Deshalb wurde der Prototyp der Tiny-House-University übergeben, er steht zur Besichtigung auf dem Bauhaus Campus im Berliner Stadtteil Tiergarten.

Von 29 bis 59 Quadratmeter

Mehr als nur ein Prototyp ist das HWS-Projekt „PC 30“, dass das Unternehmen im Süden Berlins, an der Potsdamer Chaussee 30 – der Namensgeber für das Projekt – errichtet hat. In das energieeffiziente Gebäude mit 48 Wohnungen und einer Gesamtwohnfläche von rund 2.392 Quadratmeter hat die HWS 5,7 Millionen Euro investiert. Die barrierearmen Wohnungen kommen mit knapp 40 Quadratmeter aus. Die kleinste Einzimmerwohnung hat eine Größe von rund 29 Quadratmeter, die größte Wohnung hat drei Zimmer und misst rund 59 Quadratmeter. Zudem gibt es ein Vorzimmer, zumeist auch Balkon oder Terrasse und einen Kellerraum.

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Das Angebot hat den Nerv der Zeit getroffen: Schon vor Fertigstellung im Dezember 2016 waren 47 von 48 Wohnungen zu Kaltmieten von rund elf Euro vermietet, wozu nach Meinung der HWS auch die attraktive und sehr übersichtliche Projekt-Homepage beigetragen hat. „Wir brauchen Wohnungen, die auch ohne Förderung oder Quersubventionierung für viele bezahlbar bleiben“, erläutert Jörn von der Lieth, warum er „PC 30“ angeschoben hat.

In den zentralen Lagen der Städte sei die Nachfrage nach kleinen, preiswerten Wohnungen gestiegen. „Das Wohnen verändert sich, und zwar durch neue Bedürfnisse und eine Vielzahl neuer Lebensformen. Eine alleinerziehende Mutter braucht zum Beispiel keine Zwei- sondern eine Drei-Zimmer-Wohnung. Diese muss dann aber kleiner sein als eine große Zwei-Zimmer-Wohnung, damit sie die Miete bezahlen kann“, ist Dorit Brauns, stellvertretende Geschäftsführerin der HWS, überzeugt. Aus diesem Grund müsse man Neubauten realisieren, die für breite Schichten der Bevölkerung, Alleinstehende, Senioren, Studenten, Paare, kleine Familien und die stark zunehmende Zahl der Business-Nomaden bezahlbar sind.

Gemeinsam günstiger

Um die Baukosten niedrig zu halten, hat sich das Wohnungsunternehmen für das sogenannte „Bauteam-Modell“ entschieden. „Ein Bauteam-Modell zeichnet sich durch Zusammenarbeit statt Rangfolge aus, da sich Architekt, Fachplaner und Handwerker bereits während der Planungsphase gemeinsam zusammensetzen. Ziel ist, unter Realisierung der vorgegebenen Kosten und Termine, die Ausführungsqualität zu erhöhen“, erklärt Brauns.

Die Hilfswerk-Siedlung hat in Berlin schon verschiedene innovative Wohnungen mit klugen Grundrissen und kleinen Flächen realisiert. Darunter das Projekt in der Bachstraße in Berlin-Tiergarten, das sich derzeit in der Realisierung befindet. Hier entstehen zum Beispiel Ein- und 1,5 Zimmer-Wohnungen mit 34 Quadratmetern für Senioren und 3,5-Zimmer-Wohnungen mit 77 Quadratmetern für Ehepaare mit drei Kindern – und das alles barrierearm und rollstuhlgerecht.

Die Begrenzung der Mieten durch eine Verknappung der Fläche – diesen Ansatz verfolgen bereits seit einigen Jahren Projektentwickler, die in Großstädten sogenannte Mikroapartments, häufig auch Smartments genannt, hochziehen. Schätzungsweise 25.000 dieser Mikrowohnungen, meist voll möbliert und 20 bis 25 Quadratmeter groß, gibt es mittlerweile in Deutschland. Und es sollen noch viel mehr werden, wenn es nach den Bauträgern geht. Denn die Bonsai-Wohnungen, die meist temporär an Pendler, Studierende und Auszubildende vermietet werden, kommen bei Investoren wie Mietern gut an. Sie schließen eine Lücke auf dem Wohnungsmarkt…

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