Fertigteil oder Maßanzug

In Zeiten von steigenden Baukosten und zunehmender Ökonomisierung in der Baubranche nimmt auch die Debatte rund um Fertigbau und modulare Bauweise zu. Zwei konträre Positionen zeigen die Vielfalt des Themas.
WOJCIECH CZAJA

PRO
Erich Benischek
„Trotz des hohen Grades an Standardisierung werden viele Fertighäuser von Architekten geplant.“

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Das Fertighaus ist Synonym für modernes zukunftsorientiertes Bauen mit hoher Qualität und Convenience. Die Qualität bezieht sich einerseits auf Herstellung und Errichtung: Die Vorfertigung im Werk erlaubt die kontrollierte Produktion der Bauteile, unabhängig von Wind und Wetter. Somit werden die Outdoor-Arbeiten auf ein Minimum reduziert. Laufende Qualitätskontrollen, sowohl im Werk als auch auf der Baustelle, sorgen für hohe Zufriedenheit. Und andererseits bezieht sich die Qualität auf die Planung: Vielfach bewährte Grundrisse ermöglichen beste Raumausnutzung, was wiederum für kleinere Häuser und somit geringere Baukosten spricht. Gerade bei knapperen Budgets ist diese Bauweise ein großer Vorteil, genauso wie die Schnelligkeit des Bauprozesses, der die Doppelbelastung (Miete bis zum Einzug) erheblich reduziert.

Ein weiteres Argument ist die Flexibilität von Fertighäusern. Viele Anbieter berücksichtigen bereits in der Planung mögliche zukünftige Erfordernisse, und so können zu einem späteren Zeitpunkt bauliche Änderungen vorgenommen werde – beispielsweise ein Zusatzzimmer durch Integration der Terrasse oder etwa der Einbau eines Aufzugs. Trotz des hohen Grades an Standardisierung werden viele Fertighäuser von Architekten geplant. Somit profitiert man von den Vorteilen der Vorfertigung, ohne dabei auf individuelle Ästhetik verzichten zu müssen. Je nach Präferenz haben die Kunden die Wahl zwischen Holzrahmen-, Holzmassiv-, Ziegelelement- oder Wohnbetonkonstruktion.

Der Besuch eines Fertighauszentrums und die darin sichtbare Vielfalt an Musterhäusern lassen die eigenen Vorstellungen erstmal reifen. Im Gespräch mit den Anbietern vor Ort kristallisiert sich ein bevorzugter Partner heraus, der das Traumhaus mit bequemem Alles-aus-einer-Hand-Service umsetzt.

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Erich Benischek ist Gründer, Eigentümer und Geschäftsführer der Blauen Lagune. Der Fertighauspark bei der Shopping City Süd ist der größte seiner Art in ganz Europa.

CONTRA
Bettina Götz
„Der architektonische Qualitätsanspruch scheint das nicht vermittelbare Grundproblem zu sein.“

Fertighäuser haben durchaus Architekturgeschichte geschrieben: Nicht nur das berühmte Haus von Charles und Ray Eames, sondern eine ganze Reihe moderner Architekten wurden in den 1950er Jahren von John Entenza mit Entwürfen für die sogenannten „case study houses“ betraut. Entworfen für eine serienmäßige Produktion wurden Prototypen errichtet, die zwar auf großes Publikumsinteresse stießen, eine Serienproduktion kam trotzdem nie zustande. Das gleiche Schicksaal erlitt das experimentelle Dymaxionhaus von Richard Buckminster Fuller. Jean Prouvé mit seiner „Architektur aus der Fabrik“ ist da schon deutlich weitergekommen: Seine modularen Systeme aus industriell gefertigten Einzelteilen ermöglichten eine Vielzahl an räumlichen Kombinationen. Wirtschaftlich war dieses Unterfangen allerdings auch kein Erfolg.

Der architektonische Qualitätsanspruch scheint das nicht vermittelbare Grundproblem zu sein. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man sich die Anzahl der Fertighäuser außerhalb der urbanen Zonen anschaut. Möglichst konform wird die Gegend verschandelt: Einfamilienhäuser, soweit das Auge reicht. Der enorme Landschaftsverbrauch und die damit verbundenen ohnehin schon hohen Kosten für die notwendige Infrastruktur werden durch die bescheidenen Qualitäten dieser Siedlungen ohne jeden Anspruch an den öffentlichen Raum und an die Architektur- und Materialqualität der Objekte in keinster Weise legitimiert.

Das in erster Linie ökonomisch motivierte Fertighaus für den Einfamilienhausmarkt mit der Konsequenz, durch geringe Kosten den Landschaftsverbrauch erst recht zu forcieren, statt verdichtete Bauformen mit höheren architektonischen Qualitäten anzuregen, ist in raumplanerischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht abzulehnen. Einfamilienhäuser müssen Ausnahmen in der Siedlungsstruktur sein – nicht der Standard.

Bettina Götz leitet mit Partner Richard Manahl das Büro ARTEC Architekten. Sie ist Vorstandsmitglied der Wiener Secession und Architekturprofessorin an der Universität der Künste Berlin.

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