Angesichts von ESG, EU-Taxonomie und European Green Deal wird Energiesparen zu einem dringlichen Thema im Wohnen. Die aktuelle Energiekrise ist ein weiterer Turbo-Boost zum fortschreitenden Umdenken in Sachen Strom und Wärme.
WOJCIECH CZAJA
Direkt neben dem Mobility-Point, prominent an der Friedrich-Inhauser-Straße gelegen, steht ein zweigeschoßiges Ding, ein zig Meter hoher Zylinder, ein metallischer Fremdkörper, eingekleidet in vertikale Lamellen, hingestellt und in die Erde gerammt, als hätte jemand vergessen, nach Ende der Bauarbeiten den Zementsilo abzubauen. „Die meisten halten das zunächst einmal für einen Lift, wundern sich dann aber, dass er nicht ganz nach oben geht“, sagt Stephan Pac, Abteilungsleiter Projektmanagement beim gemeinnützigen Bauträger Heimat Österreich, „und dann sind sie ratlos.“
Tatsächlich handelt es sich dabei um einen 28.000 Liter fassenden Pufferspeicher, der im Untergeschoß auf der Kellerplatte steht und aus logistischen und bautechnischen Gründen einfach und unkompliziert nach oben geführt wurde. Eine komplette Einhausung wäre aufwendig und unnötig teuer gewesen. Gespeichert werden darin die Restenergien aus Abluftwärme und Abwässern.
Auf diese Weise können rund 75 Prozent des Heizwärmebedarfs abgedeckt werden. Den Rest erledigt ein Pelletskessel. Für die Bewohner der insgesamt 99 Wohnungen ist dies eine massive finanzielle Einsparung und ein ebenso großer ökologischer Gewinn. „Das Projekt wurde 2021 fertiggestellt, und wir befinden uns aktuell in der letzten Phase des Monitorings“, sagt Pac.
„Im April werden die Daten final ausgewertet, dann haben wir die Zahlen schwarz auf weiß. Aber wir schätzen, dass die Energieeinsparung so ziemlich genau im Rahmen unser prognostizierten Werte liegen wird.“ Der Strom zum Betrieb der Wärmepumpen kommt von der hauseigenen PV-Anlage, die sich auf den Dachflächen der einzelnen Bauteile befindet. Mit 85 kW Peak ist die Anlage imstande, den gesamten Bedarf zu decken. Der Überschuss wird zur Beleuchtung der Allgemeinflächen verwendet.
Die umfassende energetische Sanierung der in die Jahre gekommenen Wohnsiedlung aus dem Jahr 1985, die zuletzt an undichten Fenstern und immens hohen Heizkosten litt, hat eine ungewöhnliche Genese: Denn im Vorfeld stand keine klassische Abbruch-, Neubau- oder Sanierungskalkulation wie dies so oft der Fall ist, sondern die Entscheidung, sich mit der Zukunft unserer bereits gebauten Umwelt auf theoretischer Ebene und in wissenschaftlicher Tiefe zu beschäftigen.
Oder, wie Stephan Gröger, Direktor der Heimat Österreich, dies ausdrückt: „Wir wollten uns anschauen, wie man Wohnbau, Bestandssanierung und Quartiersentwicklung neu denken kann. Nachdem bald klar war, dass so ein innovativer Pilot im Rahmen der üblichen Wohnbaufördermittel nicht finanzierbar ist, haben wir beschlossen, das Bauvorhaben in ein Forschungsprojekt einzubetten.“
Das Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen (SIR) erstellte daraufhin zwei Studien unter dem Titel „ZeCaRe“ (Zero Carbon Refurbishment) und „ZeCaMo“ (Zero Carbon Mobility) und ging darin der Frage nach, wie man in der Wohnungswirtschaft den Bestandsbau ertüchtigen und mit innovativen Mobilitätsdienstleistungen aufwerten kann, ohne dabei einen großen ökologischen Fußabdruck zu hinterlassen. Schließlich entschied sich die Heimat Österreich, die Forschungsergebnisse manifest zu machen und die Theorie am Bestandsobjekt in der Friedrich-Inhauser-Straße 1–15 in die Realität umzusetzen.
Nächster Schritt: Skalierbarkeit
Im Zuge der energetischen Sanierung und Holzleichtbau-Aufstockung unter Christoph Scheithauer (CS Architektur) und Stijn Nagels wurde die Wohnhausanlage von 75 auf 99 Wohnungen erweitert – die Aufstockung soll als Story für die Zukunft bewusst ablesbar bleiben – und mit einem E-Mobility- Point mitsamt E-Car, E-Bikes und E-Rollern ergänzt. Das Projekt wurde mit dem klimaaktiv-Gütesiegel in Gold zertifiziert und mit dem Österreichischen Bauherrenpreis 2022 ausgezeichnet. Gröger: „Dieses Projekt war alles andere als alltäglich. Wir haben uns getraut, Neues auszuprobieren. Der nächste Schritt wird nun sein, die Erkenntnisse aus diesem Projekt skalierbar und multiplizierbar zu machen.“
Diese Skalierbarkeit ist dringend nötig. In einer – fast schon geschichtswürdigen – Ära, in der die Selbstverständlichkeit von Strom und Heizungswärme am globalpolitischen Prüfstand steht und sich viele Leute ihre alltägliche, bislang niemals hinterfragte Energiemenge kaum noch leisten können, in denen Konsumkredite aufgenommen werden, weil die fällige Gasrechnung nicht beglichen werden kann, bekommt das Thema Energiesparen neben den ohnehin schon dramatischen Aspekten der Klimakrise noch eine weitere, viel unmittelbarere Komponente. Ökologische Nachhaltigkeit ist zur wirtschaftlichen Existenzfrage geworden.
„Die aktuelle Energiekrise ist bei Weitem nicht so dramatisch wie die Klimakrise, aber die Bedrohung scheint vielen Bewohnern näher und spürbarer“, sagt Karin Stieldorf, Leiterin des Universitätslehrgangs Nachhaltiges Bauen an der TU Wien. „So rasch wird diese Bedrohung nicht wieder verschwinden. Für Bauträger und Immobilienentwickler heißt das, dass sie ihre Prioritäten und ihre Einstellung zum Thema Baukosten dringend überdenken müssen.“
Angesichts der immer höheren Betriebs- und Energiekosten werde die Wichtigkeit von Investitionsgeld in Zukunft abnehmen. Bei Projekten, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden und deren Bewohner in der Energiekrise weniger betroffen sind als jene von fossil beheizten Bauwerken, so Stieldorf, sei dieses neue Gleichgewicht schon nach nur wenigen Monaten sichtbar geworden.
Fokus auf Gold-Zertifikate
Das kann auch der Wohnraumentwickler Walter Immobilien bestätigen. Schon seit 2004 investiert die Lkw- Walter-Tochter in Wohnimmobilien, seit 2014 ist sie mit eigenen Projektentwicklungen aktiv am Immobilienmarkt tätig. Aktuell besitzt das Unternehmen rund 50 Objekte in Wien, eine Mischung aus Alt- und Neubau, sechs Objekte befinden sich gerade in Planung beziehungsweise in Bau.
„Unser Fokus ist die Haltung des Bestands und die Errichtung von qualitativ hochwertigem Wohnraum zur Miete“, sagt Günther Leitgeb, Geschäftsführer von Walter Immobilien. „Uns geht es nicht um Gewinnorientierung und Spekulation, unser Interesse ist die langfristige, nachhaltige Wertsicherung.“
Dazu gehört auch, dass die Projekte ab sofort standardmäßig einer ÖGNIbeziehungsweise DGNB-Zertifizierung unterzogen werden. Für die beiden jüngsten Wohnbauten in der Eduardgasse und Zieglergasse, die Ende letzten Jahres fertiggestellt wurden, befindet sich gerade ein Gold-Zertifikat in Ausarbeitung. Die thermische Versorgung bei beiden Wohnhausanlagen erfolgt – noch – konventionell mittels Fernwärme beziehungsweise Gas-Brennwertgerät. Aufgrund der engen Verhältnisse am Grundstück und im Untergrund, so Walter Immobilien, sei eine andere Versorgung technisch kaum möglich gewesen. Bauliche Maßnahmen für eine spätere Umrüstung auf Luftwärmepumpen seien bereits getroffen.
„Wir sind sehr zufrieden, und mit den Niedrigenergie-Standards erreichen wir gute Heizwärmebedarfswerte, die wir in Hinsicht auf die Ökologie und auf die finanzielle Belastung der Mieter gut vertreten können“, sagt Leitgeb. „Dennoch haben wir entschieden, ab sofort ausschließlich auf erneuerbare Energien wie etwa Geothermie und Wärmepumpe zu setzen. Diese Technologien werden ab sofort in allen unseren Neubau-Projekten zu finden sein.“ Beispielsweise auch in der Apollogasse und in der Leopold-Ernst- Gasse. Angesichts von ESG, EU-Taxonomie und European Green Deal, vor allem aber auch in Anbetracht der aktuellen Energiekrise sei alles andere unverantwortlich.
Laufbahn: Luxus oder Lockmittel?
„Unsere Erkenntnis in der jahrelangen Zusammenarbeit mit Walter Immobilien ist, dass niemals an architektonischen und nachhaltigen Qualitäten eingespart wird“, sagt Hubert Ackerl, Projektleiter im Wiener Büro gerner gerner plus, das bereits etliche Wohnbauten für den Immobilienentwickler geplant und umgesetzt hat. „Und das ist gut, denn die aktuellen Krisen rund um Klima, Krieg und Corona lehren uns, wie wichtig diese Qualitäten sind.“
Die Wohnungen, meint Ackerl, werden in ihren Grundrissen immer flexibler, immer facettenreicher, und selbst kompakt geschnittene Wohnungen verfügen mittlerweile über kleine Nischen und Plusräume, die beispielweise als Home-Office genutzt werden können.
„Die neuen Projekte für Walter Immobilien zeichnen sich durch Ziegelbauweise, stärkere Wärmedämmung, Tiefenbohrungen am Grundstück, Einsatz von Wärmepumpen, geringeren Heizwärmebedarf und eine immer größere Bedeutung des Grün- und Freiraums aus“, so Ackerl. „Im Wohnhaus Eduart gibt es sogar eine 60 Meter lange Laufbahn am Dach, das ist schon eine Sensation! Aber auch Flächen zum gemeinschaftlichen Garteln im Innenhof oder auf der Dachterrasse stoßen bei den Bewohnern auf großes Interesse.“ Bei einer neuen Projektentwicklung in der Schönbrunner Straße in Wien-Margareten sei es sogar gelungen, der MA 28 (Straßenverwaltung und Straßenbau) einen acht Meter breiten Straßenstreifen direkt vor dem Haus abzuringen, um diesen nun zu begrünen und in Kooperation mit den Bewohnern zu pflegen.
Die hohe Qualität, auf die Walter Immobilien in Zusammenarbeit mit gerner gerner plus setzt, hat auch ihren Preis. Die Bruttomiete im Objekt Zieglergasse liegt bei 19,50 Euro pro Quadratmeter, was selbst für diese zentrale Wiener Lage ein stolzer Preis ist. Und dennoch: Das Haus ist bereits voll vermietet. „Die Miethöhe ist dem Markt angepasst“, sagt Leitgeb, „und wir bieten auch allerhand dafür – eine hochwertige Ausstattung, attraktive Grünräume und in den neuen Projekten, an denen wir nun arbeiten, auch eine nachhaltige Energieversorgung. Wichtig ist nur, dass in der Gesamtkalkulation ein gewisser Schwellenwert nicht überschritten wird. Wir brauchen ein neues Denken in Warmmieten.“
Hallo Nahwärmenetz!
Eine ungewöhnliche Versorgung mit Energie hat auch das Österreichische Siedlungswerk (ÖSW) auf den Reininghaus- Gründen in Graz gewählt. Beim 68 Meter hohen Mirror-Wohnturm, der mit dem Award „Wohnbau des Jahres 2022“ ausgezeichnet wurde, dem zweithöchsten Hochhaus in der Steiermark, wurden zwar diverse Versorgungsvarianten wie etwa Wärmepumpe und Geothermie untersucht, schließlich aber stellte sich ein Niedertemperatur- Nahwärmenetz mit der Abwärme der nahegelegenen Marienhütte, betrieben von der Energie Graz, als finanziell wie auch energetisch und ökologisch günstigste Variante heraus.
„Die Marienhütte ist der einzige Hersteller von Bewehrungsstahl in Österreich und damit ein wichtiger Player in der heimischen Bauwirtschaft“, sagt Michael Pech, Vorstandsvorsitzender des ÖSW. „Erfreulicherweise ist die Marienhütte, die freilich große Mengen von Abwärme produziert, nur 600 Meter Luftlinie von unserem Grundstück entfernt. Mit dem lokalen Nahwärmenetz ergibt sich eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.“ Die Nahwärme ist imstande, 100 Prozent des Wärmebedarfs im Mirror abzudecken. Die Warmwasseraufbereitung erfolgt zentral mittels Speicherladesystem.
„Das ist eine sinnvolle und effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen vor Ort, und davon profitieren natürlich auch unsere Bewohner“, so Pech. Geheizt und gekühlt wird mit Hilfe der Bauteilaktivierung. Energieeffizienz ist das eine, doch heute nicht mehr sichtbar ist der Aufwand, der in puncto Nachhaltigkeit beim Bau selbst betrieben wurde. An die 50.000 Tonnen Sekundärrohstoffe wurden durch den Abbruch des Bestands vor Ort gewonnen und in der eigens errichteten Ortbetonanlage wiederverwendet.
Die Architekten Pentaplan entschieden sich, dem gesamten Ensemble, das aus acht unterschiedlichen Baukörpern besteht und insgesamt 447 Mietwohnungen, 108 Eigentumswohnungen und 8.500 Quadratmeter für Handel, Dienstleistungen und Gastronomie umfasst, eine monochrome Farbgebung zu verleihen. Dies betrifft nicht nur Putz und Paneele, sondern auch Fenster, Handläufe und sogar eigens mitlackierte Schraubköpfe. Je nach Lichtstimmung ist die Farbe eine Mischung aus Rostbraun, Aubergine und Ovomaltine.
Klimagerechte Lebensqualität
Der gemeinnützige Wohnbau in Niederösterreich leistet ebenso bereits einen wesentlichen Beitrag zur klimagerechten Lebens- und Umweltqualität. Um der niederösterreichischen Bevölkerung auch in Zukunft klimagerechten und erschwinglichen Wohnraum zur Verfügung stellen zu können, planen die Arge Wohnen NÖ und ihre 16 Mitgliedsunternehmen Nachhaltigkeitsmaßnahmen auf mehreren Ebenen. Ein wichtiger Aspekt ist dabei der generelle Umgang mit Grund und Boden – eine Ressource, die geschützt werden muss. Daher setzen die gemeinnützigen Wohnbauträger verstärkt auf die Sanierung von Altbestand, insbesondere in den Ortszentren niederösterreichischer Gemeinden.
„Dadurch werden die Zentren nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich gestärkt, was wichtige Impulse für die gesamte Ortschaft liefert. Die gemeinnützigen Wohnbauträger sind in diesem Bereich starke Partner der Gemeinden. Sie tätigen laufende Reinvestitionen in Gebäudebestand und bieten zudem effektive Hebel, um bestehenden ökologischen Herausforderungen entgegenzusteuern“, so Manfred Damberger, Obmann der Arge Wohnen Niederösterreich.
Gemeinsam mit dem Land NÖ setzen die Wohnbauträger auf das Thema Entsiegelung und haben gemeinsam den klimafitten, begrünten Parkplatz entwickelt. Auch bei den Wohnprojekten selbst sehen die Gemeinnützigen zunehmend ökologisch durchdachte Begrünungskonzepte vor. Dabei werden nun auch verstärkt die Dächer und Fassaden berücksichtigt – in den nächsten fünf Jahren etwa sollen knapp 90.186 Quadratmeter Dachfläche sowie 1.248 Quadratmeter Fassadenfläche begrünt werden.
Ein aktuelles Projekt befindet sich in Obergrafendorf, die Alpenland errichtet eine Wohnhausanlage in Holz- Hybridbauweise. Das Konzept für die 80 Wohnungen in zwei Bauabschnitten wurde in einem Planer- und Projektauswahlverfahren in intensiver partnerschaftlicher Zusammenarbeit von Architekten und Holzbaufirmen entwickelt. Die Umsetzung des Konzepts von MAGK Architekten Aichholzer | Klein erfolgt mit regionalen Unternehmen.
Weitere Klimaschutzschwerpunkte der Arge Wohnen NÖ sind u. a. Niedrigenergiebauweise, Photovoltaik, Luftwärmepumpen zum Heizen und Kühlen, so Damberger.
Es gibt keinen Planeten B
Die geförderten und freifinanziert errichteten Projekte beweisen: Einerseits ist Energiesparen längst in der Mitte der Wohnbauwirtschaft angekommen – und, wie Katharina Bayer, Partnerin bei einszueins architektur und Juryvorsitzende zum Österreichischen Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit, meint: „Immer mehr Menschen, prominente Persönlichkeiten und sogar Konzerne und Unternehmen for dern Klimaschutz aktiv ein.
Denn es gibt keinen Plan B, und es gibt auch keinen Planeten B. Ohne Klimaschutz und Energieeinsparung geht nichts mehr. Ich denke, wir sind die erste Generation, die auf diesem Konsens aufbauen kann.“
Andererseits ist die Reduktion von energetischen Ressourcen in einem globalen Wirtschaftssystem, das immer noch in Einmal-Investitionskosten denkt, alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Solange die ganzheitliche Betrachtung von Lebenszyklus- Kosten, Lebenszyklus-Emissionen und Lebenszyklus-Energiebedarfen noch nicht zum Bauchgefühl der gesamten Baubranche geworden ist, wird es nach wie vor Leuchtturmprojekte und Lockmittel brauchen.
Die einen bauen auffällige Satteldach-Skulpturen und kakaobraune Türme, die anderen schaffen Incentives mit Lage, Luxus und lustigen Laufbahnen am Dach. Am Ende werden alle Maßnahmen einen Beitrag zu einem neuen normativen Maßstab geleistet haben.