Das schwebende Erbe von Malente – Zum 100. Geburtstag des Architekten Peter Arp

„Gebäude, die nicht genutzt werden, sind dem Zerfall preisgegeben“, sagt der Architekt Christian Bielke. Was wie eine nüchterne Diagnose klingt, ist zugleich eine Einladung: hinzuschauen, was war, und zu fragen, was daraus werden kann. Der Verein „Freunde des Kurparks Malente e.V.“ tut in diesem Jahr genau das. Der 100. Geburtstag des Architekten Peter Arp gibt ihnen den Anlass – und die Hoffnung, dass das architektonische Kleinod wieder ins Blickfeld rückt, dass Gespräche entstehen, Ideen wachsen und Veränderung tatsächlich beginnen kann.

Entstanden in einer Phase des sozialen und architektonischen Aufbruchs, spricht Malentes Kurpark von einer immer noch aktuellen Idee: dass Architektur nicht nur funktional, sondern auch humanistisch sein kann. Dass Landschaft nicht dekorativer Rahmen, sondern Mitspieler ist. Und dass ein Ort, selbst in der Provinz, mit der Leichtigkeit eines kalifornischen Bungalows daherkommen darf – vorausgesetzt, sie wird auch ge- (und be-)lebt.

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Mitte der 1960er Jahre verwirklichten der Hamburger Landschaftsarchitekt Karl Plomin und der junge Malenter Hochbauarchitekt Peter Arp ein Ensemble, das dem Modernismus der Nachkriegszeit eine lokale Stimme gab. Mit Stahl, Glas, Backstein und Kupfer – aber ohne Pathos. Der Bau des Kurparks war kein Geniestreich aus dem Nichts, sondern Teil einer langen Entwicklung: vom Kaiserzeit-Heilbad über die Kneipp’sche Gesundheitsbewegung bis zur Nachkriegsmoderne, in der sich soziale Utopien in Beton und Terrazzo abbildeten.

Die Architektur spricht eine klare Sprache. Glas, Stahl und unbunte Farben verschmelzen mit der Natur – inspiriert von der kalifornischen Mid-Century-Architektur, der Bauhaus-Idee von Funktionalität und einem international geprägten Stilverständnis, das hier in der Holsteinischen Schweiz einen Widerhall fand.

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Die Liegehalle etwa ruht auf Stützen über dem abschüssigen Gelände und öffnet sich mit großzügigen Glasfronten zur Natur – nicht um sich zu zeigen, sondern um den Blick freizugeben. Ihre Anmutung erinnert an Richard Neutra oder das Farnsworth House von Mies van der Rohe – gebaut allerdings nicht für den Rückzugsort eines Millionärs, sondern für Kurgäste mit Verordnungsschein.

Rückzug der öffentlichen Hand

Die Blütezeit des Kurparks war eng verknüpft mit dem Sozialstaat der alten Bundesrepublik. Kuren galten als medizinisch sinnvoll und gesellschaftlich anerkannt. Bis weit in die 1980er Jahre hinein waren sie ein zentrales Instrument der Vorsorge – und ermöglichten auch ärmeren Bevölkerungsschichten Zugang zu Erholung, Hydrotherapie und – man höre und staune – moderner Architektur.

Dann kamen die Gesundheitsreformen. Im Zuge von Sparmaßnahmen wurde die Kur zurückgestuft, die Zahl der Verordnungen sank dramatisch. Für Orte wie Malente bedeutete das den Verlust ihrer ökonomischen und kulturellen Grundlage. „Die Gesundheitsreform war ein schwerer Schlag“, sagt Julia Freese, Vorsitzende des Vereins „Freunde des Kurparks“. „Vom florierenden Kurort wurde Malente zu einem Ort des Stillstands.“ Das Intermar-Hotel steht heute als bewohnte Ruine da, die Bahnhofstraße wirkt verlassen. „Malente hat seine Seele verloren.“

Die Nachwirkungen dieser politischen Entscheidungen reichen weit. Sie haben ganze Landschaften verändert, nicht nur in Ostholstein. Die Architektur von Peter Arp wurde zur stummen Zeugin eines gesellschaftlichen Versprechens, das nicht mehr eingelöst wird.

Modernität als Haltung

Was Arps Bauten auszeichnet, ist nicht spektakuläre Form, sondern stille Konsequenz. „Diese Gebäude schweben förmlich über dem Gelände“, beschreibt Julia Freese. Die Materialien – Terrazzo mit Carrara-Marmor, oxidiertes Kupfer, Sichtbackstein – sind hochwertig, aber nicht auftrumpfend. Ein gewollter Kontrast zur oft dekorfreudigen Sanatoriumsarchitektur der 1950er Jahre.

„Gebäude, die nicht genutzt werden, sind dem Zerfall preisgegeben“, sagt der Architekt Christian Bielke bei einem Gespräch mit Julia Freese, Vorsitzende des Vereins „Freunde des Kurparks“ und Co-Vorsitzender Ulrich Zeutschel. Der 100. Geburtstag des Architekten Peter Arp gibt ihnen den Anlass – und die Hoffnung, dass das architektonische Kleinod wieder ins Blickfeld rückt.

Die Gebäude wurden bewusst zurückgenommen entworfen, um der Landschaft den Vorrang zu lassen. Arp selbst war beeinflusst von Arne Jacobsen, dem dänischen Meister der Integration von Architektur und Natur – und vielleicht auch ein wenig von der Aussicht auf den Dieksee.

„Das Wechselspiel von gebauter und gewachsener Umwelt ist selten so geglückt wie hier“, sagt Christian Bielke, Architekt aus dem nahen Eutin. Und noch heute sei die Substanz hervorragend erhalten: „Das ist keine romantische Ruine, das ist ein intaktes Ensemble, das genutzt werden will.“ Nur das Kupferdach könnte mal wieder poliert werden.

Räume für Begegnung statt Leerstand

Ideen gibt es viele: „Ein Café im Sommer, wie in anderen Kurparks üblich, fehlt völlig“, so Freese. Auch die Vermietung der Liegehalle für Feiern scheitert derzeit an starren Regeln – dabei wäre die Nachfrage da. Co-Vorsitzender Ulrich Zeutschel berichtet von seiner vergeblichen Suche nach einem Ort für seinen Geburtstag. „Man darf nur eine Stunde mieten – das reicht kaum für eine Feier.“

Das Café ist schon lange geschlossen, eine Nachfolge wurde nie gefunden. „Es fehlt ein niederschwelliger Treffpunkt mit Blick und Kaffee.“ Die Architektur selbst ist für viele ein Anziehungspunkt, aber es fehlt an der Möglichkeit, zu verweilen. Es ist eine Einladung ohne Tisch.

Doch es gibt auch Lichtblicke: Konzerte im Haus des Kurgastes, die „FeierAbend Musik“ oder sporadische Boulespiele bringen Leben in die Anlagen. „Wir haben hier eine großartige Akustik und einen sehr guten Flügel“, sagt Freese über den Saal im Obergeschoss. „Aber weil der Fahrstuhl nicht mehr funktioniert, müssen wir Konzerte zurückfahren.“

Im Mai dominieren die zahlreichen Rhododendren in voller Blüte den Kurpark. Schauen wir genau hin scheint die Liegehalle sich fast schwebend in die Natur einzufügen.

Die Freunde des Kurparks setzen sich für eine neue Zukunft ein – nicht als nostalgisches Museum, sondern als öffentlicher Ort. Wenn das örtliche Bauamt in das Haus des Kurgastes zieht, wäre das ein Anfang. Wenn ein Trauzimmer eingerichtet wird ein weiterer. „Man muss nicht für 100 Jahre planen, man muss anfangen“, sagt Bielke. Und meint damit: ruhig mal experimentieren.

Kulturdenkmal mit Zukunft

Seit 2003 steht der Kurpark unter Denkmalschutz. Das betrifft nicht nur die Gebäude, sondern das gesamte Ensemble aus Garten, Wegen, Bepflanzung und Sichtachsen. Aktuell erarbeitet ein Landschaftsarchitekturbüro aus Kiel ein denkmalpflegerisches Gutachten. Was in den 1960er Jahren mit öffentlichem Anspruch und großem Idealismus entstand, wird heute neu gelesen: als Modell für das Zusammenwirken von öffentlichem Raum, baulicher Qualität und kultureller Teilhabe.

100 Jahre Peter Arp – das ist ein Anlass, über die Vergangenheit hinauszudenken. Der Kurpark Malente ist ein Archiv der Moderne. Und wer weiß, vielleicht ist das Jubiläumsjahr tatsächlich der Beginn eines neuen Kapitels für das schwebende Erbe von Malente. 

Kristof Warda


Aller Fotos: „Freunde des Kurparks“ / Kurpark-Malente – Ein Juwel unter den Parks

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