Auf der Suche nach dem g’scheiten Grätzl

Westlich der Grazer Bahngleise wird gerade die Smart City aus dem Erdboden gestampft. Der Stadtteil wirbt mit neuen Technologien, smarten Verkehrslösungen und gemütlicher Nachbarschaft. Doch wie sieht die Realität aus? Ein Lokalaugenschein mit Christine Braunersreuther, Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Stadtplanung.
WOJCIECH CZAJA

Alle sieben Minuten fährt die Straßenbahn durch die Waagner-Biro-Straße. Mal sitzen zwei Personen drin, mal eine, mal keine. „Rundherum wird gebaut, es wohnen noch relativ wenig Leute hier“, sagt Christine Braunersreuther. „Aber in der Früh, wenn die Kinder ins Leopoldinum fahren, oder am Nachmittag, wenn die Schule dann aus ist, sieht die Sache schon anders aus. In ein, zwei Jahren, da bin ich mir sicher, wird das eine ziemlich gut frequentierte Strecke sein.“ Die Straßenbahn, um die es sich handelt, ist die Verlängerung der Linie 6, die vom Hauptbahnhof um sechs Stationen verlängert wurde, ehe sie in der neuen Smart City ihre finale Gleisschleife um die Baustelle des sogenannten Smart Quadrats legt.

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Und wieder eine leere Bim. Braunersreuther, Clubobfrau der regierenden Grazer KPÖ und Mitglied im Ausschuss für Verkehr und Stadtplanung, verfolgt die Pläne zur Smart City schon seit geraumer Zeit, steht dem 8,2 Hektar großen Stadtentwicklungsgebiet aber mit einer, wie sie meint, „gesunden Distanz“ gegenüber. Das Areal westlich und nordwestlich des Grazer Hauptbahnhofs war einst ein klassisches Industriegebiet mit Lager- und Logistikhallen. Manche alteingesessenen Betriebe wie etwa PJ Messtechnik oder Stahlgroßhandel F. Eberhardt zeugen auch heute noch davon. Erste Ideen, die Hallen zu schleifen und die zentrumsnahen Baulandreserven einzustädtern, reichen bis in die 1980erund 1990er-Jahre zurück.

„Aber erst 2013 hat es das Projekt erstmals in den Gemeinderat geschafft“, sagt Braunersreuther. Mit einer EU-Förderung, Smart-City-Kriterien und der Absicht, hier vor allem auf die Karte städtebaulicher Verträge zu setzen und die Bauträger und Investoren in die öffentliche Pflicht zu nehmen, sollte ein innovatives, zukunftsfähiges Exempel statuiert werden. „Zu den smarten Auflagen zählte von Anfang an, dass nachhaltige Technologien zum Einsatz kommen und dass schon vor Besiedelung des Quartiers die Grünflächen, Parkanlagen und öffentlichen Verkehrsmittel fertiggestellt und in Betrieb sind.“

Christine Braunersreuther steht vor einem riesigen Schuttberg. Neben ihr Erdbrocken und Bruchstücke eines alten, gemauerten Mauerbogens, im Hintergrund Kräne und Bagger. „Ich stehe hier im zukünftigen Nikolaus-Harnoncourt- Park, der eigentlich schon längst hätte fertig sein sollen, in dem die Bäume schon längst wachsen sollten. Diese Auflage ist leider nicht erfüllt.“

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Zentralisierte Haustechnik

Man brauche die Fläche für Logistik und Zwischenlagerung, heißt es offiziell seitens der Bauträger. Auch die Straßenbahn nahm ihre Jungfernfahrt, nachdem die Volksschule Leopoldinum schon ein Semester lang in Betrieb war, mit einiger Verspätung erst im Jänner 2022 auf. Etwas smarter immerhin ist die zum überwiegenden Teil zentralisierte Haustechnik. Unter dem AVLBürogebäude, das schon vor einigen Monaten besiedelt wurde, befindet sich mit rund 2,5 Megawatt Leistung das größte Grundwasser-Projekt der Steiermark.

„Aufgrund der guten Grundwasserreserven haben wir im Baufeld Mitte ein zentrales Energiesystem“, erklärt Oliver Vallant, Geschäftsführer der Smart City Mitte Holding GmbH. „Aus 40 Meter Tiefe saugen wir zwölf Grad warmes Grundwasser an, das wir im Winter in Wärme verwandeln und im Sommer fürs Kühlen nutzen.“ Die beim Kühlen anfallende Abwärme wird zudem für die Warmwasseraufbereitung verwendet. Im Endausbau soll die Anlage rund 310 Wohnungen und 21.000 Quadratmeter Büro- und Geschäftsfläche versorgen. Als Back-up fungiert eine Fernwärmeleitung, die kurzfristig in Betrieb genommen werden kann.

„Die klimafreundliche Energie ist für einen Stadtteil, der den Namen Smart City trägt, meines Erachtens eine Selbstverständlichkeit“, sagt Braunersreuther. Im Hintergrund pirscht sich wieder eine Straßenbahngarnitur an. „Viele andere Aspekte aber, die ebenso selbstverständlich sein sollten, wurden verabsäumt. Die autofahrerfreundlichen Vorgängerregierungen haben den Ausbau des öffentlichen Verkehrs immer wieder auf Eis gelegt. Das ist wirklich ärgerlich.“

Komposition aus „Blockrandbebauung“

Auf der Mängelliste der Clubobfrau und Stadtplanungsexpertin stehen außerdem fehlende fußläufige Querungen in die Osthälfte des Lend-Bezirks sowie eine attraktive Schließung und Verdichtung des Radwegnetzes. Der Ärger ist nachvollziehbar. Zwischen den beiden Unterführungen Peter-Tunner- Gasse im Norden und Eggenberger Straße im Süden liegen 1,5 Kilometer Luftlinie…

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