Wohnen bedeutet auch Eigenverantwortung

Christian Krainer, Vorstandsdirektor und Obmann der ÖWG Wohnbau, über die gleichzeitigen Herausforderungen von Klimagerechtigkeit und Leistbarkeit sowie über den österreichischen Wohnbau im europäischen Vergleich.
MAIK NOVOTNY

Sie sind einer der Vertreter des GBV bei internationalen Organisationen. Im Juli 2022 fand das International Social Housing Festival, ISHF, von Housing Europe in Helsinki statt. Was waren im Rückblick die wesentlichen Erkenntnisse?

Für mich waren es im Wesentlichen zwei große Themenblöcke: Zum einen die Leistbarkeit im Sinne von „Housing First“, also die Vermeidung von Obdachlosigkeit. Zum zweiten der Themenblock Nachhaltigkeit, Finanzierung und Ökologisierung. Hier war ich selbst auch involviert, da ÖWG Wohnbau in diesem Bereich operativ tätig ist.

Das Festival ist eine wunderbare Plattform für den internationalen Austausch, mit einer großen Vielfalt. Dabei geht es weniger um konkrete Beschlüsse als darum, Anregungen aus anderen Staaten mitzunehmen, um daraus Schlüsse zu ziehen, welche Verbesserungen sich auf nationaler oder europäischer Ebene umsetzen lassen.

Christian Krainer
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Österreich galt im Wohnbau immer als europäisches Vorbild, insbesondere durch seinen Fokus auf Objektförderung. Ist das immer noch so?

Ich bin seit 2016 für Housing Europe aktiv und kann das vollkommen bestätigen. Um unsere Förderlandschaft beneiden uns alle, denn der Erfolg dieses System beruht auf der Ausgewogenheit zwischen Objekt- und Subjektförderung und der Tatsache, dass ein sehr breites Bevölkerungsspektrum von einem hohen Wohnstandard profitiert.

Christian Krainer

Die Leistbarkeit im Wohnbau ist durch enorm gestiegene Bau- und Energiekosten unter Druck. Was ist ihre Diagnose?

Wir haben im Moment eine Kumulierung von Steigerungen auf allen Ebenen. Die Energiepreiserhöhungen werden überall schlagend, über Betriebskostenabrechnungen der Gemeinden bis hin zu den Vorschreibungen. Das wird auf jeden Einzelnen übertragen.

Die Refinanzierung des Wohnbaus z. B. in der Steiermark passiert praktisch ausschließlich über Banken, mit einer direkten Förderung des Landes mit 1,5 oder 2,5 Prozent Förderbeitrag. Die Finanzierungszeit korrespondiert mit den Sanierungszyklen, das passt eigentlich gut, es wird aber zum Problem, wenn die Zinsen steigen.

In Österreich setzt man traditionell auf einen Mix von fixen und variablen Zinssätzen, während man in Deutschland Stabilität sucht und dafür höhere Zinsen in Kauf nimmt. Ich sehe das in der Praxis aus steirischer Perspektive, denn hier haben Zinssteigerungen massive Auswirkungen: Ein Prozent mehr Zinsen sind ein Euro Mehrbelastung pro Quadratmeter, und da sind die Betriebskosten noch gar nicht berücksichtigt.

In der Gesamtbelastung kommt das für die Bewohner auf 12 bis 15 Euro pro Monat pro Quadratmeter, und das ist im Moment die größte Herausforderung.

Christian Krainer

Ein Kriterium zur Bemessung der Leistbarkeit ist der Anteil der Wohnkosten am Einkommen. Welche Definitionsgrenzen würden Sie hier ziehen?

In Österreich liegt der Anteil laut Statistik Austria für 2021 im Durchschnitt bei etwa 20 Prozent, in Deutschland bei 23, in Finnland bei 40 bis 45. Vor 30 Jahren war das auch hierzulande noch ganz anders, da lag der Anteil deutlich höher.

Man hört oft, Wohnen sei teuer geworden, aber die Anzahl der Quadratmeter pro Person ist in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen und wenn ich über einen Wohnraum verfüge, der mir Zufriedenheit und Sicherheit gibt, dann hat das eben einen gewissen Stellenwert. Ich glaube nicht, dass die Politik für alles verantwortlich sein kann. Wohnen bedeutet auch ein hohes Maß an Eigenverantwortung.

Christian Krainer
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Das heißt, Sie wünschen sich eine Änderung der Mentalität, weg von der reinen Anspruchshaltung?

Die Politik ist gefordert, was die Rahmenbedingungen angeht, aber jeder Einzelne muss Eigenverantwortung tragen. Wohnen ist zwar ein Grundbedürfnis, aber kein öffentliches Gut.

Wir müssen uns lediglich vor Augen führen, wie viel Flächen wir verbrauchen, da hat sich die Nettonutzfläche in 30 Jahren verdoppelt. Heute stehen wir bei fast 35 Quadratmeter pro Person.

Christian Krainer

Wir müssen also das Ideal des ewigen Wachstums hinterfragen und über Verzicht reden?

Keine Frage. Nehmen Sie das Beispiel der Anlegerwohnungen, die nach der Finanzkrise einen Boom erfahren haben. Da gab es viele Glücksritter auf beiden Seiten auf dem Markt. Gleichzeitig sind viele Regulatorien und Normen verschärft worden, vom Schallschutz bis zur Energie. Alle haben diese Qualitätsverbesserungen mit fallenden Zinsen bezahlt, ohne dass die Bewohner das gespürt haben.

Aber in der Steiermark haben sich die Errichtungskosten von rund 1.300 Euro (Anfang 2000) auf rund 2.800 Euro pro Quadratmeter verteuert, das ist eine Verdoppelung. Durch die Zinsveränderung, die jetzt beginnt, wird das in absehbarer Zeit für alle spürbar werden, dass es diese Qualitätsverbesserungen nicht umsonst gegeben hat. Es ist zu erwarten, dass sich die Darlehenszinsen mittelfristig bei 3,5 bis vier Prozent einpendeln werden.

Christian Krainer

Die Klimafitness ist neben der Leistbarkeit eines der wichtigsten Ziele im Wohnbau. Wo sehen Sie die wichtigsten Hebel, um hier anzusetzen?

Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind. Auf EU-Ebene kann hier viel Geld abgeholt werden, wenn man die bürokratischen Hürden meistert. Aber auch auf regionaler Ebene passiert viel, in der Steiermark mit der neuen Sanierungsförderung des Landes beispielsweise. Diese ist mit einer Förderung von 15 oder 30 Prozent der Investitionskosten ein sehr guter Anreiz.

Wir bei ÖWG Wohnbau haben schon vor 25 Jahren dem Thema Energie hohe Priorität zugeschrieben, damals hat noch niemand von CO2 geredet.

Christian Krainer

Derzeit wird intensiv über einen Wandel des Bauens von Abriss und Neubau hin zu Sanierung und Umbau geredet. Wie lässt sich das im geförderten Wohnbau umsetzen?

Ich sehe hier einen deutlichen Wandel. Im Wohnungswesen hat man erkannt, dass Sanierung und Erhalt der Bausubstanz ein Asset sind. Wir haben bei ÖWG Wohnbau schon vor Jahren ein eigenes aktives Asset Management eingerichtet und haben den gesamten Bestand digital erfasst. Daher wissen wir genau, wann und wo eine Sanierung ansteht.

So können wir die Kosten durch Synergien optimieren: Wenn ich weiß, die Fassade ist jetzt dran und das Dach in drei Jahren, mache ich beides in einem. Daneben haben wir auch mehrere Forschungsprojekte, beispielsweise haben wir einen Bestandswohnbau in der Nähe von Graz energieautark saniert.

Das geht natürlich nur gemeinsam mit den Bewohnern. Im letzten Jahr wurde eine Arbeitsgruppe „Erderwärmung“ installiert, die sich um Themen wie sommerliche Kühlung kümmert, was angesichts zunehmender Tropentage immer wichtiger wird. Die Lösung kann künftig nicht nur in der Klimaanlage zu sehen sein, sondern in Fassadenbegrünung, Beschattung und Bepflanzung.

Das Bauen ist ein langsamer Prozess, denn das, was wir heute entscheiden, wird erst 2026 umgesetzt. Wir müssen also jetzt über all diese Fragen der Zukunft nachdenken.

Christian Krainer

2021 wurde das modulare und flexible Pilotprojekt „Flex Living“ der ÖWG Wohnbau in Graz eröffnet. Gibt es bereits erste Erkenntnisse über die Nutzung, und gibt es Planungen für weitere Flex-Living-Projekte?

Den Namen für das modulare System haben wir inzwischen auf Kiubo als Marke geändert und wir sind von der Idee „Wohnen anders denken“ nach wie vor überzeugt. Das erste Projekt in Graz war in drei Wochen vermietet und das ohne Werbemaßnahmen. Wir haben in der Steiermark drei weitere Projekte in Vorbereitung, im Oktober 2022 haben wir den bedeutenden Fiabci Prix d’Excellence Austria in der Kategorie Wohnen mit dieser innovativen Idee gewonnen.

Der Vorteil liegt in der Vielfalt der Anwendungen, zum Beispiel in der Nachverdichtung, etwa über eingeschoßigen Lebensmittelmärkten, im flexiblen Wohnen, in der Nutzung als Kindergarten sowie in der Hotellerie. Also überall, wo es von Vorteil ist, ohne großen Aufwand schnell auf einen geänderten Flächenbedarf reagieren zu können. Der USP liegt in der Mobilität dieser Module, die von einem zum anderen Ort „wandern“ können. Ein echter Lebensvorteil.

Christian Krainer

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