„Wir stehen vor einer Wende“

EGW-Geschäftsführerin Karin Kieslinger über Strategien für klimagerechtes Bauen und Sanieren und die kommenden Herausforderungen an die Leistbarkeit im Wohnbau.
MAIK NOVOTNY

Hier in Ihrem Büro hängt ein Plakat mit der Aufschrift „Es ist unser Ziel, unseren Bestand ganzheitlich zu betrachten und klimaneutral zu betreiben.“ Was hat sich die EGW in puncto klimagerechtes Bauen vorgenommen?

Sehr viel. Wir sind zur Erkenntnis gekommen, dass wir vor einer Wende stehen. Wenn man sich nur die Zahlen vor Augen führt, stellt man fest, dass der Wohnraum, den wir benötigen, im Grunde schon gebaut ist. Er wird nur teilweise nicht genutzt, durch welche Faktoren auch immer. Als Bauträger haben wir die Verantwortung, hier entgegenzuwirken. Die EGW verfügt als sehr altes Unternehmen über einen großen Pool an Bestandswohnungen, daher haben wir uns zum Ziel gesetzt, uns diesen genauer anzuschauen. Wir haben eine Bestandstrategie ins Leben gerufen, mit eben jener Kernaussage, dass wir unseren Bestand ganzheitlich betrachten und klimaneutral betreiben wollen. Und dies, das ist uns ganz wichtig, gemeinsam mit den Bewohnern.

Karin Kieslinger
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Was sind die weiteren Kernpunkte der EGW-Bestandstrategie?

Wenn wir unseren Bestand bis 2035 klimaneutral machen wollen, ist es eine enorme Aufgabe, die wir stemmen müssen. Das betrifft die Verteilung der Ressourcen im Unternehmen selbst, aber auch die Strukturen in unserem Arbeitsumfeld. Die Honorarordnungen für Architekten bzw. Sonderfachleute sind noch auf den Neubau ausgerichtet. Da braucht es jetzt ein Umdenken. Wir haben uns gefragt, ob wir im Haus eine neue Abteilung einführen, die sich mit diesem Thema beschäftigt, sind aber zu dem Schluss gekommen, es in den bewährten Strukturen anzugehen, aber das Gewicht bewusst zu verlagern und mehr Arbeitszeit der Sanierung zu widmen.

Karin Kieslinger

Welche Rolle spielen hier Normen und Gesetze? Gerade die Gewährleistungen sind oft ein Hindernis bei der Adaptierung des Bestands.

Die Forderung nach einer Umbauordnung ist sehr groß, und man muss ihr Gehör schenken. Da ist die Politik gefordert, auch was Richtlinien wie die EU-Taxonomie betrifft. Man muss Anreize schaffen, um die Bestandssanierung zu attraktivieren anstatt die Alternativen Abbruch und Neubau oder, noch schlimmer, Neubau auf der grünen Wiese voranzutreiben. Das muss sich auch im Förderschema abbilden.

Karin Kieslinger

Gerade im geförderten Wohnbau ist die Finanzierung der Sanierung eine Schlüsselfrage, zumal, wenn man den Ausstieg aus fossilen Energieträgern ernst nimmt.

Genau, das ist aber nur ein Bruchteil der ganzen Aufgabenstellung. Alle warten auf das Erneuerbare-Wärme- Gesetz, aber dieses Zurücklehnen und Abwarten, bis Gesetze und Förderungen irgendwann kommen, können wir uns nicht mehr leisten. Die Versicherungen, die sich mit Naturkatastrophen beschäftigen, rechnen schon jetzt mit Klimaszenarien von plus zwei bis drei Grad.

Wir wissen, wie viel Geld uns das kosten wird, aber viele sagen: Oh, das ist aber sehr teuer, jetzt überall die Gasoder Ölheizungen auszutauschen. Verglichen mit dem, was uns bevorsteht, wenn wir nichts tun, ist die Investition in nachhaltige Energieerzeugung billig und bietet zusätzlich viele Vorteile. Es geht eine Ära zu Ende, und es fällt uns allen schwer, das wahrzuhaben.

Karin Kieslinger
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Die Herausforderungen für den Wohnbau sind so groß wie lange nicht: steigende Zinsen, steigende Baukosten, Energiepreise. Wie bekommt man das in den Griff?

Es sind ja nicht nur Teuerung, Baukosten und Zinspolitik. Es ist leider noch viel mehr. Etwa schwierige Widmungsverfahren, die unsere Projekte immer länger und komplexer machen. Derzeit beschäftigt uns auch Unsicherheit in der Förderlandschaft, vor allem in Niederösterreich. Wir brauchen finanzielle Unterstützung seitens des Bundes und der Länder. Aber wir müssen noch weiterdenken. Angesichts der hohen Baukosten muss man sich auch fragen, ob das, was wir bauen, noch das Richtige ist. Wir haben Qualitäten, die seinesgleichen suchen, und die Normen machen das Ganze nicht billiger. Jeden Stellplatz, den wir bauen, sollten wir uns gut überlegen.

Es ist vielerorts noch nicht angekommen, dass das die Projekte wahnsinnig verteuert. Natürlich müssen die Bewohner mobil sein, und in vielen Gebieten in Österreich ist die öffentliche Anbindung mangelhaft. Aber wenn mir meine Kollegen im Westen Österreich erzählen, dass sie sogar mehr als zwei Stellplätze pro Wohneinheit bauen müssen, ist das wirklich absurd. Wir haben bei der EGW beschlossen: Wir kaufen keine Liegenschaft mehr an, die nicht an ein gutes öffentliches Verkehrsmittel angebunden ist.

Karin Kieslinger

Was wären Ihre Wünsche bezüglich des Themas Energie?

Das Thema Energiekosten diskutieren wir, seitdem ich in dieser Branche bin. Als die Kosten nun explodiert sind, ist es sehr stark in den Fokus gerückt. Jetzt sind die Preise wieder langsam im Sinken begriffen, und prompt ebbt die Debatte, wie wir es besser machen können, ab. Wie man es schaffen kann, dass man nicht nur die Errichtungskosten im Neubau betrachtet, sondern auch die Betriebskosten mit einpreist? Das ist uns leider noch immer nicht gelungen.

Es gibt auch noch kein Förderschema, das darauf abzielt. Die Berechnungen, die wir in der Planungsphase im Zuge von Zertifizierungen für Gebäude anstellen, sind letztlich ein Zettel, der dann in der Schublade landet. Wir müssen auch den hohen Technisierungsgrad unserer Gebäude hinterfragen. Unsere Bewohner sind oft mit einer kontrollierten Wohnraumentlüftung schon überfordert, und diese kostet auch in der Wartung.

Karin Kieslinger
Karin Kieslinger studierte Architektur an der TU-Wien und war bis 2012 als Architektin in diversen Planungsbüros tätig, danach in der Projektentwicklung, vorwiegend Gewerbeobjekte. Seit 2014 ist sie in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft tätig, seit 2020 Geschäftsführerin in der EGW.

Welche Auswirkungen hat die geänderte Zinspolitik auf den geförderten Wohnbau?

Da gibt es viele kleine Schrauben, an denen wir drehen müssen. Ich denke, die langjährige Null-Zinspolitik war nicht ideal und ein Zinssatz zwischen drei und vier Prozent wahrscheinlich nicht so falsch. Damit müssen wir umgehen. Wir versuchen, durch individuelle Lösungen den Ball oben zu halten und trotzdem zu bauen. Wir schaffen das mit viel Eigenmitteleinsatz, aber dieser hat natürlich Grenzen. Bei der Politik und den Fördergebern ist definitiv noch Luft nach oben. In Niederösterreich wurde die Wohnbauförderung seit Mai auf Eis gelegt. Da hängen wir ziemlich in der Luft und es gibt eine große Verunsicherung.

Aber wir haben jetzt bei einem Projekt einen Baubeginn gesetzt und verlassen uns darauf, dass wir Anfang nächsten Jahres eine neue Förderung vom Land bekommen werden. Die Wiedereinführung der Zweckbindung von Fördergeldern würden wir uns sehr wünschen. Einige Landesregierungen würden da auch mitgehen. Denn der Fördergeber ist auch aufgefordert, in unsicheren Zeiten mit volatiler Zinslandschaft und turbulenten Baukosten Sicherheit zu geben. Es ist nicht nur die Höhe der Förderung, sondern auch die Sicherheit, die wichtig ist.

Karin Kieslinger

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