„Wir müssen unser Denken ändern“

Architektin Renate Hammer spricht offen und unverblümt über die Schwierigkeiten, unser Denken mit Nachhaltigkeit, CO²-Einsparung, Rekonstruktion, Sanierung und Recycling zu verbinden.
PETER REISCHER

Was sind die Gründe dafür, dass der Prozess der CO₂-Vermeidung/Reduzierung in der westlichen Gesellschaft/ Zivilisation so langsam und schleppend vorangeht?

Ein wesentlicher Grund ist, dass Menschen gerne in einem Status quo verharren, solange der nicht wirklich unangenehm ist. Das hindert uns daran, Veränderungen kritisch zu betrachten und rechtzeitig zu handeln. Ein zweiter Grund liegt sicher im Versuch, Gewinne zu maximieren. Die Folgekosten des Klimawandels werden externalisiert. Es besteht keine Kostenwahrheit, die rasche Profite in der Immobilienbranche deutlich schmälern würde.

Renate Hammer
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Ist das jetzt die Ignoranz oder das einfache „Wegschauen-Wollen“, das ja psychologisch recht verständlich ist?

Ich kenne nur ganz wenige Menschen, die tatsächlich ignorant oder fatalistisch sind. Häufig dominiert das Verhalten, sich einfach mit der Katastrophe nicht auseinandersetzen zu wollen. Man sucht Lösungen für das ‚nächstliegende‘ Problem, statt für das Ursächliche. Das ist vielleicht ein angelegtes psychisches Versagen.

Renate Hammer

Sie meinen, wir versuchen nur Kosmetik zu betreiben, statt nach dem Grund des Klimawandels zu fragen und diesen zu beheben?

Ja, diesen Versuch machen wir häufig.

Renate Hammer

Im Westen werden fast im Monatsrhythmus die Bedingungen für eine CO₂-Reduktion (beim Bauen) verwässert. Was schließen Sie daraus?

Es gibt die bestechend einfache Keeling-Kurve der Mauna Loa-Messstation auf Hawaii. Diese zeigt ein stetiges und nahezu ungebremstes Ansteigen der CO₂-Konzentration in der Atmosphäre. Da gibt es wenig Interpretationsspielraum, was nötige Reduktionen angeht.

Renate Hammer
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Ist diese Kurve den Politikern und den CEOs bekannt?

Ich glaube kaum. Es ist aber zu einfach zu sagen, wir wüssten nichts davon. Der breite wissenschaftliche Konsens in Sachen Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen ist bekannt. Agiert wird, so scheint es, jedoch mit einem kurzfristigen Blick auf die Legislaturperiode oder auf kommende Wahlen.

Renate Hammer

Was können/sollen die Politik oder die Baustofflobbys unternehmen?

Es gilt, das Paradigma eines unablässigen wirtschaftlichen Wachstumszwangs abschütteln. Wir können und müssen uns diesem Dauerdruck nicht unterwerfen, um Wohlstand zu erhalten. Was fehlt, ist eine verständliche Geschichte, die man dazu erzählen kann, ohne Gegnerschaft oder Angst hervorzurufen.

Renate Hammer

Müssen wir uns auch von dem Glauben, Profit machen zu müssen, verabschieden?

Viele von uns erleben gerade ein pausenloses „Eingespannt-Sein“ zwischen Produzieren und Konsumieren. Dieser Prozess und seine Geschwindigkeit bereiten uns Unbehagen. Den Wunsch nach Entschleunigung, der auch eine Reduktion des Verbrauchs ermöglicht, höre ich tatsächlich oft.

Renate Hammer

Müssen wir unser westliches Denken über einen „berechtigten/gewohnten“ Standard überdenken?

Ja, das halte ich für unausweichlich! Der Umfang, mit dem wir konsumieren, ist in einer fast unangenehmen Art und Weise überzogen.

Renate Hammer

Die Welt (so wie wir sie möchten) braucht Zement! Vier Milliarden Tonnen pro Jahr. Neben Wasser ist er das meistverwendete Produkt mit steigendem Bedarf. Wie kann die Bauindustrie das vertreten?

Der berühmt gewordene Bericht des Club of Rome, „Die Grenzen des Wachstums“, wurde 1972 im Auftrag der Industrie verfasst. Ich finde es frustrierend, dass es trotz der darin klar ersichtlichen Rahmenbedingungen nicht möglich war, in 50 Jahren Strategien für ein nachhaltiges Wirtschaften auszurollen.

Renate Hammer

Der CEO eines Zementherstellers betont immer wieder: „Hohe Emissionen bedeuten im Umkehrschluss, dass wir einen großen Hebel haben, das Problem zu lösen“ – er hat damit völlig recht: Warum benutzt man nicht den ‚großen Hebel‘ und produziert einfach weniger?

Das hat wohl auch mit der Finanzialisierung der Baubranche zu tun. Beispielsweise in China, aber keineswegs nur dort, sehen wir riesige Leerstände, in Gebäuden, die noch nie benutzt wurden, beziehungsweise nicht fertiggestellt wurden, weil keine Nachfrage mehr zu generieren war. Nicht zum ersten Mal hat eine Entkopplung der Produktion vom Bedarf hin zur Finanzspekulation stattgefunden.

Renate Hammer

2012 hat auf der Architektur Biennale in Venedig der deutsche Architekt und Kurator Muck Petzet das Thema „Reduce/Re-Use/Recycle“ ausgegeben. Jetzt scheint man in Österreich auch daraufzukommen, ist das nicht ein bisschen spät?

Theoretisch wurde das Thema schon lange diskutiert. Tatsächlich hatte ich aber oft den Eindruck, man will das Potenzial, das hier besteht, nicht ernsthaft heben, sondern argumentiert die Notwendigkeit des Neubaus. Laut Statistik Austria ist in 635.000 Wohnungen in Österreich weder ein Haupt- noch Nebenwohnsitz gemeldet. Selbst wenn wir annehmen, dass nur die Hälfte dieser Wohnungen tatsächlich für eine Nutzung geeignet wäre, liegt hier ein zu mobilisierendes Angebot brach.

Renate Hammer

Gebäudeabrisse tragen zu einem erheblichen Teil zu den CO₂-Emissionen des Bausektors bei. In Deutschland zeigt ein Abriss-Atlas, wo Gebäude abgerissen werden. Warum gibt’s das in Österreich nicht?

Auch in Österreich gibt es Ansätze, ein „Harvestmapping“ aufzubauen. Das ist notwendig, damit man Kreislaufkultur in der Bauwirtschaft verankern kann. Es gilt, Bauteile und Baustoffe, mit denen man errichtet, bereits aus dem Rückbau zu holen, oder zumindest eine sinnvolle Suche zu ermöglichen. Das „in den Kreislauf hineinkommen“ darf nicht erst für das Ende des Lebenszyklus geplant werden, es soll am Beginn stattfinden.

Renate Hammer

Wir müssen dafür sorgen, dass das Renovieren und Erhalten billiger ist als der Neubau – Gesetze vereinfachen, Normen überdenken, Transparenz schaffen?

Unser aktuelles Herangehen mit externalisierten Kosten etwa für die Treibhausgasemissionen der Errichtung, aber auch für Schäden an Gesundheit, Biodiversitätsverlust etc. lassen das Neue billiger erscheinen als die Erhaltung oder die Wiederverwendung von Bestehendem. Um Klimaneutralität in der notwendigen Geschwindigkeit zu erreichen, können wir uns das aber tatsächlich nicht leisten. Transparenz im Sinne von Kostenwahrheit und realistischen CO₂-Budgets wären hilfreich und auch Vorschläge in Mietrechts-, Förder- und Normungsmaterien liegen vor.

Renate Hammer

Bedeuten Rekonstruktion und Sanierung nicht auch ein Nachdenken über neue Formen des Wohnens, des Zusammenlebens, des Lebens schlechthin? Welche Perspektiven sehen Sie?

Es gibt tatsächlich wunderbare Perspektiven und Möglichkeiten, Nutzer- Innen mit auf den Weg zu nehmen. Vor allem in Zeiten, in denen wir Armutsgefährdung sehen. Wenn die Sanierungen teurer als der Neubau sind, gibt es alternative Praxis, beispielsweise das Modell des „Leipziger Ausbauhauses“, bei dem Mieter unter Anleitung von Fachfirmen Eigenleistungen etwa gegen Mietreduktion einbringen. Auch an die Idee von „Siedlerbewegungen“ könnte in der Sanierung angeschlossen werden. Vieles mehr ist möglich im Sinne des „guten Lebens“ und der Selbstermächtigung.

Renate Hammer

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