Präventivmaßnahmen für Gebäude dringend erforderlich

Extremwetterereignisse wie Stürme, Starkregen, Hagel sowie Hitze- und Dürreperioden nehmen zu und führen immer häufiger zu Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen. Eine Studie, die das Institut für Bauforschung e.V. (IFB) im Auftrag vom Bauherren-Schutzbund e.V. und der VHV Allgemeine Versicherung AG erstellt hat, belegt diese Entwicklung erstmals mit aktuellen Daten. Analysiert wurden Gebäudeschäden durch Extremwetter.

Die Studie „Klimawandel und Extremwetterereignisse – Schadenentwicklung und Anforderungen an Wohngebäude“ zeigt, dass in den vergangenen 20 Jahren die Anzahl der Schäden aufgrund von Extremwetterereignissen sowie die Schadenhöhen zugenommen haben. Die Bauforscher raten Wohnungswirtschaftsunternehmen, Immobilieneigentümern und Bauherren dringend, sich mit der Problematik zu befassen und sowohl im Neubau als auch bei Bestandsgebäuden das individuelle Schadenrisiko für Immobilien zu ermitteln und bauliche Vorsorge zu treffen, um Schäden an der Bausubstanz möglichst gut vorzubeugen.

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Hilfreich: Neben den statistischen Datenauswertungen werden in der Studie konkrete Hilfen durch nutzerfreundliche Checklisten mit Handlungsempfehlungen, zugeschnitten auf verschiedene Naturgefahren, zur Verfügung gestellt, ergänzt durch konkrete Empfehlungen für die Planungs-, Bau- und Nutzungsphase von Gebäuden. Zudem enthält die Veröffentlichung eine Sammlung weitergehender Informationen, Links und Arbeitshilfen.

Schadenhöhen steigen

Als Datenbasis der Studie nutzten die Bauforscher umfangreiche Versicherungsdaten und Schadenstatistiken des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) und der VHV-Versicherungen. Ergänzend dazu werteten sie Studien, Publikationen und Fachbeiträge aus, die sich mit Extremwetterereignissen und deren Auswirkungen auf Gebäude befassen. Dabei wurden Schadenzahlen, Schadenarten, Schadenursachen und Schadenkosten sowie die Auswirkungen auf Materialien, Bau- und Gebäudeteile betrachtet, mit bestehenden Anforderungen verglichen und daraus Handlungsempfehlungen für die Planungs-, Bau- und Nutzungsphase abgeleitet. Zum Teil gehen diese über derzeit geltende normative bzw. öffentlich-rechtliche Anforderungen hinaus.

Die Untersuchung dokumentiert, dass die durchschnittlichen Schadenhöhen infolge von Extremwetterereignissen gestiegen sind. Auf der Grundlage der VHV-Elementarschadenstatistik mit mehr als 100 000 Schäden untersuchten die Bauforscher, wie sich die unterschiedlichen Extremwetterereignisse im Zeitraum von 2002 bis 2022 nach Schadenhäufigkeit und Schadenaufwand (Daten aus der Gebäudeversicherung) entwickelt haben. In einer separaten Analyse wurde zudem die wetterbedingte Gefährdung von Bauprojekten während der Bauphase auf der Basis von VHV-Daten der Bauleistungsversicherung im Zeitraum 2014 bis 2022 untersucht.

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Die analysierten Schadenfälle weisen im Verlauf von 2002 bis 2022 eine durchschnittliche Schadenhäufigkeit von rund 4 900 Schäden auf. Deutlich sichtbar ist, dass der Mittelwert in der ersten Dekade 2002 bis 2011 lediglich in drei Jahren überschritten wird, während die Anzahl der Schäden in der darauffolgenden Dekade ab 2012 nur in drei Jahren unter diesem Mittelwert liegt. Insgesamt zeigt die Untersuchung, dass besonders einzelne extreme Unwetterereignisse die Gesamtstatistik beeinflussen: So lag die Schadenhöhe bei Schäden in der Bauphase durch Niederschlag bzw. Hochwasser im Durchschnitt der letzten Jahre bei mehr als 15 700 Euro.

Häufigste Schäden durch Sturm, teuerste Schäden durch Blitzschlag

Die Daten zeigen, dass die Ursache für die Mehrheit der gemeldeten Schäden mit mehr 65 Prozent Sturm ist, gefolgt von Hagel mit rund 15 Prozent. Der Schadenaufwand bewegt sich allerdings nicht in derselben Größenordnung und Reihenfolge: Die Ursachen für die aufwändigsten Schäden mit den höchsten Kosten sind Blitzschlag und Überspannung, lokale Überflutungen, Rückstau sowie Hagel.

Jede Immobilie kann von einem kaum vorhersehbaren Extremwetterereignis getroffen werden

Eine weitere wichtige Erkenntnis der Studie für Wohnungswirtschaft und Immobilieneigentümer: Jede Immobilie kann von einem kaum vorhersehbaren Extremwetterereignis getroffen werden. „Wir sehen, dass heute in Gebieten, wo man es nicht erwartet hätte und wo die Normenkarte nicht die höchsten Anforderungen ausweist, Extremwetterereignisse auftreten, denen die Gebäude nicht mehr gewachsen sind“, sagt IFB-Direktorin Heike Böhmer. „Die Prozesse beim Planen und Bauen sowie die Qualität der Gebäude und baulichen Anlagen müssen an die sich wandelnden Bedingungen angepasst werden“, so Böhmer. Das Problem: Die derzeit geltenden DIN-Normen legten in der Regel lediglich mittlere Wetterereignisse für die Planung und Ausführung von Gebäuden zugrunde. Da der Prozess, geltende Normen zu ändern, sehr langwierig sei, appelliert Böhmer an die Eigenverantwortung von Planern, Bauausführenden, der Wohnungswirtschaft und privaten Eigentümern.

 Planer und Bauschaffende, Eigentümer und Kommunen müssen handeln

„Das Wissen über die neuen Risiken durch Extremwetterereignisse verpflichtet uns – Planer und Bauschaffende, Eigentümer und Kommunen – zu handeln! Der Schutz und Erhalt von Gebäuden und Infrastruktur, und damit unserer Bau­kultur, bzw. die Planung und Errichtung neuer Bauwerke muss unter Beachtung dieser veränderten Rahmenbedingungen erfolgen. Das Warten auf neue Gesetze, Normen, Verordnungen und Pflichten ist der falsche Weg. Kluges, vorausschauendes und eigenverantwortliches Handeln ist gefragt, wenn wir sturm-, hagel- und starkregensichere Bauwerke planen, bauen und erhalten wollen“, so die Institutsdirektorin. Neben dem notwendigen Blick nach vorn könne dabei auch der Blick in die bauliche Vergangenheit helfen.

Denn: Seit Jahrzehnten, teilweise seit Jahrhunderten funktionierende Bauwerke zeigten durch Ort, Bauart und Qualität, wie Klima-, Wetter- und Funktionsanpassung dauerhaft funktioniere. Somit könnten sowohl der Blick in die Vergangenheit als auch das aktuelle Wissen über die sich wandelnden Bedingungen dabei helfen, die Qualität sowie die dauerhafte Funktion von Bauwerken zu schützen und zu erhalten.

Wichtig sei zudem der Abschluss entsprechender Versicherungen. So seien etwa Elementarschaden- oder Bauleistungsversicherungen wichtige Bausteine des Risikomanagements im Umgang mit Naturgefahren. „Jedoch in Kombination mit proaktiven Risikoanalysen, -bewertungen und -anpassungen an die veränderten Rahmenbedingungen“, ergänzt Böhmer. So ließen sich Schäden verhindern oder zumindest mindern. Die Anpassungsmaßnahmen müssten zielgerichtet, fachgerecht und klug geplant und frühzeitig durchgeführt werden.

Maßnahmen zum Schutz von Immobilien

Die gute Nachricht ist also: Vorbeugende planerische und bauliche Maßnahmen können Immobilien vor Schäden durch Wetterextreme schützen. Idealerweise richten sie diese auf die typischen Unwetterbedrohungen in der jeweiligen Region aus. Da, wie oben gezeigt, die Normen jedoch nicht unbedingt regional spezifische Extremwetterausprägungen und die Wetterveränderungen der vergangenen Jahre berücksichtigen, sollten sich Wohnungsunternehmen, Immobilienbesitzer und Bauherren informieren und sowohl für den Gebäudebestand als auch den Neubau bauliche Optimierungsmaßnahmen prüfen und ergreifen. So stellen beispielsweise die auf ein Bauwerk einwirkenden Windlasten einen entscheidenden Faktor bei der Gefährdungseinschätzung durch Windeinwirkung dar. Relevant für die Bestimmung der Windlast ist neben der das Gebäude umgebenden Geländestruktur das lokale Windklima. Auskunft gibt zum Beispiel die Windzonenkarte für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, die das Land in vier Windzonen mit unterschiedlichen Basiswindgeschwindigkeiten unterteilt (abrufbar zum Beispiel auf der Webseite des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK))1.

Der Vergleich der in der IFB-Studie analysierten Schadendaten bezüglich ihrer Häufigkeit nach Postleitzahlen mit der aktuellen Windzonenkarte für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lässt jedoch vermuten, dass sich die Art und Lage der Windzonen aufgrund der Zunahme von Extremwetterereignissen verändern. Insofern kommt der fachgerechten Prüfung der regionalen Risiken und Anforderungen – über die Angaben in der Windzonenkarte hinaus – eine zunehmende Bedeutung zu. Dasselbe gilt für die anderen Naturgefahren wie etwa Starkregen, Blitzschlag, Überflutungen usw.

Die Studie zeigt weiterhin, dass durch Klimaveränderungen Bauwerksschäden neu hinzukommen, die hierzulande bislang keine Rolle gespielt haben wie etwa Schäden durch anhaltende Trockenheit. So können länger anhaltende Trockenheit bzw. Dürre zu Baugrundveränderungen und in der Folge zu Rissbildung und Setzungen an Gebäuden führen. Starke Hitze kann Verformungen von Bauteilen oder Spannungsrisse in großen Glasscheiben verursachen.

Werte von Immobilien nachhaltig schützen 

Die Bauforscher empfehlen, Maßnahmen immer mit einem proaktiven Risikomanagement zu kombinieren. Konkret: Anpassungen von Gebäuden sollten darauf aufbauend zielgerichtet, fachgerecht und durchdacht geplant und – gegebenenfalls mit weiteren notwendigen Schritten gekoppelt – frühzeitig durchgeführt werden. Beispiele für mögliche Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel können unter anderem sein:

•             Optimierung der Gebäudeausrichtung und Baukonstruktion (bei Neubauten),

•             verbesserte Wärmedämmung der Gebäude unter Verwendung von Hochleistungsdämmstoffen,

•             Verwendung neuartiger wärme- bzw. kältespeichernder Baustoffe als Latentwärmespeicher (Phase changematerials),

•             intelligente Steuerung des Raumklimas durch Mikrosystemtechnik, raumweise optimierte Heizung / Kühlung / Lüftung,

•             Einsatz von schaltbaren Sonnenschutzgläsern auf Nanotechnologiebasis,

•             Installation von Flächenheiz- und Kühlsystemen unter Nutzung von Erdwärmespeichern,

•             Nutzung erneuerbarer Energien durch in die Gebäudehülle integrierte Solarthermie- und Photovoltaikanlagen,

•             Nutzung von Geothermie durch die Kombination von Erdwärmesonden und Wärmepumpen,

•             Berücksichtigung der Nachhaltigkeit durch klima- und ressourcenschonende Bauweisen sowie die Verwendung nachwachsender bzw. energieeffizienter Baustoffe,

•             Installation innovativer Sanitärsysteme zur nachhaltigen Nutzung der Ressource Wasser durch Abwassertrennung und Regenwassernutzung,

•             optimierte Wärmedämmung technischer Anlagen in Wohngebäuden, im Gewerbe und in der Industrie,

•             Anpassung der Baukonstruktionen an die zunehmenden Witterungsextreme wie z.B. hochwasserangepasstes Bauen,

•             Einsatz neuer Materialien mit höherer mechanisch-thermischer Belastbarkeit,

•             regelmäßige Überprüfung und Wartung von Dacheindeckung, Dachentwässerung und Fassade,

•             gegebenenfalls das Nachrüsten von Sicherungs- und (Hochwasser-) Schutzeinrichtungen wie zum Beispiel Entwässerungssystemen mit Notüberlauf, hagel- und sturmbeständige Ausführung bzw. nachträgliche Ertüchtigung z.B. von Dacheindeckung und Dachflächenfenstern,

•             verstärkte Förderung von Forschung und Innovationen auf den Gebieten Nachhaltigkeit und energetische Optimierung von Gebäuden,

•             verbesserte Vernetzung von Forschung und Praxis.

Dass die Zeit drängt, zeigen die aktuellen Erkenntnisse aus der IFB-Studie: Diese deuten darauf hin, dass Wetterextreme weiter zunehmen und künftig jede Region betroffen sein kann. Wie schwerwiegend die Folgen ausfallen, hängt unter anderem davon ab, wie gut Wohnungswirtschaft, Eigentümer und Bauherren darauf vorbereitet sind.

Das Institut für Bauforschung e.V. (IFB) mit Sitz in Hannover wurde 1946 gegründet und ist eines der ältesten Bauforschungsinstitute Europas. Im Auftrag öffentlicher und privater Auftraggeber betreibt das IFB Anwendungsforschung zu aktuellen Fragestellungen der Planungs- und Baupraxis und führt umfangreiche Analysen zur Bauqualität im Hoch- und Tiefbau durch. Die Ergebnisse werden den Mitgliedern aus Bauindustrie, Baugewerbe, Wohnungswirtschaft, Verwaltung und Sachverständigenwesen sowie der Öffentlichkeit regelmäßig zur Verfügung gestellt. Am bekanntesten: der jährlich erscheinende VHV-Bauschadenbericht, der vom IFB erarbeitet wird.

Quelle: VdW Magazin 5 / 2023

Forum Leitungswasser erscheint in Kooperation mit der Initiative Schadenprävention und  der AVW Gruppe

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