Im Mieterstrom-Panel der HEIKOM 2025 schildert Klaus Maier von Pionierkraft ein Paradox: Während auf Einfamilienhäusern bereits Millionen von PV-Anlagen installiert sind, bleiben die Dächer vieler Mehrfamilienhäuser weitgehend leer. Laut Vortrag sind nur rund fünf Prozent der MFH-Dächer mit PV belegt, obwohl der Gesetzgeber mit Mieterstrom und gemeinschaftlicher Gebäudeversorgung (GGV) ausdrücklich mehr Solarstrom im Bestand ermöglichen wollte.
Die Herausforderungen
- PV im Mehrfamilienhaus ist organisatorisch komplex
Eigentümergemeinschaften, institutionelle Investoren, Verwalter und Messdienstleister bringen unterschiedliche Interessen und Rollen mit. Entscheidungen dauern, und Verantwortlichkeiten für Betrieb und Abrechnung sind oft unklar (Wer wird Betreiber? Wer rechnet ab? Wer trägt Risiken?). - Volleinspeisung ist einfach, aber wirtschaftlich schwach
Die klassische Volleinspeisung ins Netz gilt als niedrigschwellig, erzielt aber laut Vortrag nur geringe Vergütungen pro kWh und nutzt den Vorteil der lokalen Verbrauchsnähe nicht aus. - Mieterstrom bindet Betreiber und Mieter eng zusammen
Das Mieterstrommodell bringt eine Vollversorgerpflicht mit sich: Der Betreiber muss den gesamten Strombedarf im Gebäude liefern. Diese enge Abhängigkeit schreckt viele Eigentümer ab, denn sie fürchten zusätzliche Verantwortung, Regulatorik und Diskussionen mit Mietern. - GGV und Smart-Meter-Gateways erhöhen Technik- und Abstimmungsaufwand
Die gemeinschaftliche Gebäudeversorgung setzt auf Smart-Meter-Gateway-Kommunikation. Das erfordert abgestimmte Messkonzepte, Gateways und IT-Prozesse, die vielerorts noch nicht in der Breite etabliert sind. - Skalierung scheitert an Bürokratie und fehlender Standardisierung
Im Ergebnis kommen Mieterstrom- und GGV-Modelle im Panelkontext als wenig skalierbar rüber: Viele Projekte werden als Einzelfall gelöst, statt als wiederholbare Standardlösung. Das ist ein Problem für Bestände mit hunderten oder tausenden Einheiten.
Der Lösungsansatz
Pionierkraft schlägt vor, Mieterstrom pragmatisch „neu zu denken“: statt komplexer Vollversorgermodelle ein gerätebasiertes Energy-Sharing im Haus.
Kernidee: „Reiner PV-Strom“ als Zusatzprodukt
- Ein Gerät von Pionierkraft wird hinter den Wohnungszählern installiert.
- Es misst und verteilt ausschließlich den lokal erzeugten PV-Strom im Gebäude.
- Bestehende Stromlieferverträge bleiben unberührt, jede Mietpartei behält ihren Lieferanten.
Damit wird PV-Strom zum optionalen Zusatzprodukt, nicht zur vollständigen Stromversorgung. Die regulatorischen Anforderungen klassischer Mieterstrom- oder GGV-Modelle greifen aus Sicht des Anbieters für dieses „Hinter-dem-Zähler“-Modell nicht in gleicher Tiefe. Das Zählerkonzept bleibt bestehen; das Gerät ergänzt es um eine zusätzliche, geeichte Messung des PV-Anteils.
Wirtschaftliches Versprechen
Laut Präsentation soll die Lösung bürokratisch schlank bleiben. Gleichzeitig verweist Pionierkraft auf eine „attraktive Wirtschaftlichkeit“ und spricht von Renditen im Bereich von rund zwölf Prozent, abhängig von konkreter Auslegung und Rahmenparametern des Projekts.
Rollenverständnis
- Verwalter beraten Eigentümer, stoßen Projekte an und organisieren den laufenden Betrieb.
- Messdienstleister erfassen den PV-Verbrauch am geeichten Zähler des Geräts oder über ein Portal und integrieren die Daten in ihre Abrechnung.
- Pionierkraft liefert Hardware und Software, versteht sich aber nicht als vollumfänglicher Betreiber, sondern als Enabler für Energie-Sharing im Gebäude.
Warum das wichtig ist
Die Wohnungswirtschaft steht unter Druck, Dächer und Technikflächen besser für die Energiewende zu nutzen – ohne zusätzliche Bürokratiestapel und mit begrenzten personellen Ressourcen. Klassische Mieterstrommodelle und GGV bringen zwar saubere Rechtsrahmen, aber auch Pflichten, die viele Bestandsakteure derzeit überfordern. Gleichzeitig bleibt Volleinspeisung wirtschaftlich oft zu schwach, um größere Investitionsprogramme im Bestand zu tragen.
Ein gerätebasierter Ansatz, der das bestehende Mess- und Lieferkonzept unangetastet lässt, senkt Einstiegshürden: Eigentümer können PV zunächst als standardisierte Maßnahme auf einzelnen Dächern testen, ohne sofort in ein umfangreiches Marktrollen-Setup einzusteigen. Für die Klimaziele und die Dekarbonisierung von Beständen ist jede zusätzliche kWh lokal genutzten PV-Stroms ein Baustein.
Einordnung für die Wohnungswirtschaft
Wo passt der Ansatz?
- Bestandsquartiere oder Einzelobjekte mit gut nutzbarer Dachfläche und eher einfacher Gebäudestruktur.
- Eigentümer, die PV wirtschaftlich heben möchten, aber vor komplexen Mieterstrom- oder GGV-Projekten zurückschrecken.
- Bestände, in denen Verwalter und Messdienstleister bereits eng zusammenarbeiten und Abrechnungsprozesse anpassen können.
Welche Abhängigkeiten gibt es?
- Ein rechtssicheres Messkonzept für den PV-Anteil ist zwingend, inklusive eichrechtskonformer Zähler und sauberer Vertragsgestaltung nach AGB-Recht (so der Ansatz in der Präsentation).
- Stammdaten, Wohnungs- und Mieterstruktur müssen in Verwaltung und Messdienst sauber gepflegt sein, damit die Zusatzstromabrechnung nachvollziehbar bleibt.
- Klar definierte Rollen (wer betreibt die Anlage, wer rechnet ab, wer kommuniziert mit Mietern) sind Voraussetzung, damit das Modell nicht an Schnittstellenkonflikten scheitert.
Risiken und Grenzen
- Regulatorik im Bereich Energy Sharing entwickelt sich weiter; Modelle außerhalb der klassischen Mieterstrom-Schablone sollten rechtlich geprüft werden.
- Wirtschaftlichkeit hängt von Investitionskosten, Anlagengröße, Eigenverbrauchsquote und PV-Ertrag ab; die im Vortrag genannten Renditen sind projektspezifisch zu verifizieren.
- Ohne ergänzende Verbraucher wie Elektromobilität oder Wärmepumpen kann der Tageslastgang in manchen Häusern die PV-Nutzung begrenzen. Hier greifen dann eher integriertere Modelle wie im Panel durch andere Anbieter diskutiert.
Was jetzt zu tun ist
- Bestand clustern
Dächer und Gebäude identifizieren, bei denen PV technisch und organisatorisch schnell umsetzbar ist (einfache Eigentümerstruktur, klare Verwaltung). - Mess- und Vertragskonzept prüfen
Gemeinsam mit Messdienst und Rechtsberatung klären, wie der PV-Zusatzstrom sauber gemessen und als Zusatzleistung abgerechnet werden kann. - Rollenverteilung festlegen
Vor Projektstart definieren: Wer investiert, wer betreibt, wer rechnet ab, wer kommuniziert mit Mieter:innen? - Pilotprojekt aufsetzen
Mit einem ausgewählten Objekt starten, Prozesse testen (Einbau, Messung, Abrechnung, Kommunikation), Erfahrungen dokumentieren. - Mieterkommunikation vorbereiten
Verständliche Informationen zu Herkunft, Preis und Nutzen des PV-Stroms bereitstellen; klar machen, dass bestehende Lieferverträge unberührt bleiben. - Skalierungsplan entwickeln
Bei erfolgreichem Pilot: Kriterien festlegen, nach denen weitere Dächer systematisch erschlossen werden können (z. B. Dachfläche, Verbrauchsstruktur).

Praxisnutzen / Beispiele aus dem Vortrag
Im Vortrag wird PV im Mehrfamilienhaus als neue Erlösquelle beschrieben, die ungenutzte Dachflächen wirtschaftlich erschließt und gleichzeitig das Angebot für Mieter attraktiver macht: günstigerer, lokaler Grünstrom als Ergänzung zum bestehenden Tarif. Eigentümer profitieren von einer potenziellen Wertsteigerung der Immobilie und zusätzlichen Einnahmen, Mieter von planbar günstigem Strom aus dem eigenen Hausdach ohne Lieferantenwechselzwang.
Der operative Alltag bleibt dabei bewusst schlank: Verwalter nutzen ihre bestehende Rolle als zentrale Koordinatoren, Messdienste lesen Verbräuche am Gerät ab oder binden das Portal in ihre Prozesse ein. Pionierkraft positioniert sich als Techniklieferant, nicht als Konkurrenz zu Mess- oder Energiedienstleistern. Das ist ein wichtiger Punkt auf der Messe, die explizit Kooperationen in den Vordergrund stellt.
Der Ansatz von Pionierkraft adressiert eine reale Lücke: Viele Bestandshalter wollen PV auf die Dächer bringen, scheuen aber die Komplexität klassischer Mieterstrommodelle. Ein gerätebasiertes „Hinter-dem-Zähler“-Modell kann hier ein pragmatischer Einstieg sein, vorausgesetzt, Messkonzept, Verträge und Rollen sind sauber geklärt.
Für Entscheider:innen in der Wohnungswirtschaft lohnt es sich, solche vereinfachten Modelle als Ergänzung zu etablierten Mieterstrom- und GGV-Lösungen zu prüfen, insbesondere dort, wo es zunächst darum geht, überhaupt Bewegung aufs Dach zu bringen und Erfahrungen zu sammeln, bevor größere Programme folgen.
Das Wichtigste auf einen Blick
- PV auf Mehrfamilienhäusern bleibt trotz politischer Ziele weitgehend ungenutzt.
- Komplexe Modelle mit Vollversorgerpflicht, Smart-Meter-Gateway und Bürokratie bremsen Investoren.
- Pionierkraft setzt auf ein Gerät, das reinen PV-Strom im Haus verteilt.
- Bestehende Stromlieferverträge bleiben bestehen; PV-Strom kommt optional hinzu.
- Laut Präsentation soll Bürokratie entfallen und zweistellige Renditen möglich sein.
- Verwalter beraten und managen, Messdienste erfassen Verbräuche am eingebauten Zähler.
- Geeignet für Bestand, wenn Messkonzept, Tarife und Rollen klar geregelt sind.
Glossar
- Mieterstrom
Modell, bei dem Mieter Strom direkt aus der PV-Anlage des Hauses beziehen; der Betreiber muss den gesamten Strombedarf decken (Vollversorgerpflicht). - GGV (gemeinschaftliche Gebäudeversorgung)
Variante, bei der mehrere Parteien im Gebäude gemeinschaftlich mit Strom versorgt werden; erfordert u. a. Smart-Meter-Gateway-Kommunikation und bringt zusätzlichen IT-/Prozessaufwand. - Volleinspeisung
PV-Strom wird vollständig ins Netz eingespeist und nach EEG vergütet; technisch einfach, aber wirtschaftlich oft weniger attraktiv für Bestandshalter. - „Hinter dem Zähler“
Einspeisung bzw. Verteilung von Strom auf Ebene der Wohnungszähler, ohne das Hauptmesskonzept zu ändern; bestehende Lieferverträge bleiben bestehen. - Energy Sharing
Sammelbegriff für Modelle, bei denen lokal erzeugte Energie (z. B. PV-Strom) innerhalb eines Gebäudes oder Quartiers geteilt wird, von Mieterstrom bis zu gerätebasierten Lösungen. - Smart-Meter-Gateway (SMGW)
Sichere Kommunikationseinheit im intelligenten Messsystem, die Messdaten bündelt und an berechtigte Marktpartner überträgt; spielt in GGV- und erweiterten Mieterstrommodellen eine zentrale Rolle. - Messdienstleister
Unternehmen, das Verbrauchszähler einbaut, abliest und Abrechnungsdaten bereitstellt.
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Autor: Redaktion Wohnungswirtschaft Heute – HEIKOM-Sonderausgabe 2025
Foto: DEUMESS – Frank Schütze / Fotografie Kranert



