Eine Initiative in Oslo und ein Wohnprojekt in Kopenhagen zeigen, wie die Kreislaufwirtschaft im Bau pragmatisch und mit hoher Qualität umgesetzt werden kann.
— MAIK NOVOTNY
Stein Stoknes kommt mit dem praktischen Hightech-Klapprad vom vorherigen Termin, wie es sich für einen Norweger gehört. Er legt den Fahrradhelm auf einen Besprechungstisch im hellen, gemütlichen Coworking Space in der Karl August Gate 13, mitten in Oslo. Hier hat sein Büro FutureBuilt seine Zentrale, gemeinsam mit vielen anderen Startups und Institutionen. Im Jahr 2010 hat Stoknes FutureBuilt gegründet und ein Bewertungs- und Anreizsystem für innovatives, klimagerechtes Bauen entwickelt.
Heute arbeitet FutureBuilt mit der Stadt Oslo und mehreren Kommunen im Umkreis zusammen, beeindruckende 75 Projekte sind schon im Portfolio. Die Stadtregion wächst rapide an, und damit auch der Bedarf an Wohnraum und Infrastruktur. Das kleine Team von FutureBuilt hatte die Signale der Klimawende früh erkannt, heute sitzt in jeder Kommune eine Ansprechperson, die gemeinsam mit der Initiative zwischen Bauwirtschaft, Stadtverwaltung und Klimazielen vermittelt.
„Wir glauben an die Kraft des guten Vorbilds“, sagt der drahtige Norweger. „Wir wollen die Bauindustrie verändern. Dabei geht es um Klima und Nachhaltigkeit, aber immer auch um die Qualität der Projekte. Es muss immer etwas besser sein als das, was wir heute haben.“ Das erreicht FutureBuilt mit einem Kriterienkatalog, der für Bauträger mehrere Anreize bietet. Zum einen können sie sich nach außen als innovative Investoren profilieren und internes Know-how aufbauen, zum anderen bieten ihnen die Kommunen beschleunigte Baugenehmigungen als Belohnung, wenn sie die Kriterien erfüllen.
Detailliertes Monitoring
Als Gegenleistung müssen die ökologischen Benefits wie CO2-Einsparung, Mobilitätskonzept, soziale Nachhaltigkeit und deren Innovationsgehalt detailliert nachgewiesen werden. Die Einhaltung wird zwei Jahre nach Fertigstellung mittels eines Monitoringsystems geprüft. Unter den Projekten finden sich Prestigeprojekte wie das neue Nationalmuseum, Bürobauten und ganze Stadtquartiere, aber auch (in Norwegen fast ausschließlich freifinanzierte) Wohnbauten mit einem Anteil von etwa einem Drittel.
Auch das Haus in der Karl August Gate 13 (Planung: Mad Arkitekter) ist ein preisgekröntes FutureBuilt-Projekt, vor allem, weil es zu 80 Prozent aus wiederverwerteten Materialien besteht. Stein Stoknes deutet nach oben. „Auch die Stahlträger hier sind wiederverwertet.“ Auch die Betonfertigteile wurden wiederverwertet – und eben nicht aus zermahlenem Schutt recyclet. Schnelle Tour durchs Gebäude: Alles wirkt wie neu, ist es aber nicht. Die Lüftung, die Fenster, der Teppich, die Fliesen in den WC – alles stammt entweder aus abgebrochenen Bauten oder von übriggebliebenen Produktionsresten.
Teile der Fassade stammen aus den Trümmern des Bombenanschlags im Osloer Stadtzentrum von 2011. „Dies war unser erstes Pilotprojekt, mit dem wir unsere Kriterien für Circular Buildings getestet haben“, erklärt Stoknes. „Hier wurden die Kriterien sogar übererfüllt, mit einer Reduktion der CO2-Emissionen um circa 70 Prozent.“ Das erste Zehnjahresprogramm von FutureBuilt wurde erfolgreich abgeschlossen, 2021 wurde das nächste gestartet.
Ziegel-Laubsägearbeit
Ein weiteres leuchtendes Beispiel für nordisches Recycling im Bau ist im Kopenhagener Stadtteil Ørestad zu besichtigen. Die Wohnanlage „Resource Rows“ trägt ihre Ambition schon im Namen. Geplant von den Nachhaltigkeitsexperten Lendager Group, wurde die Fassade des Baus mit insgesamt 92 Wohnungen (davon 29 Reihenhäuser und 63 Geschoßwohnungen) aus wiederverwerteten Ziegeln, Holz und Fenstern zusammengesetzt. Insgesamt zehn Prozent aller Materialien wurden wiederverwertet, dadurch konnten 29 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden.
Am Anfang stand die Frage: „Was, wenn wir unsere Gebäude einfach mitnehmen können? Was, wenn wir sie in Teile schneiden und diese Teile wiederverwerten?“ Genau das kam hier zur Anwendung, und das sieht man schon von Weitem: Ein Patchwork aus je einem Meter großen Fassadentafeln. „Ein Maurer, der so etwas in einem konventionellen Neubau versucht, müsste entweder extrem betrunken oder künstlerisch sehr begabt sein“, sagte Architekt Anders Lendager im Interview.
Die Ziegel-Laubsägearbeit hatte jedoch nicht nur ästhetische Gründe, denn durch die Härte des in Dänemark seit den 1960er-Jahren üblichen Zementmörtels lassen sich Stein und Fuge nicht mehr voneinander trennen – was bislang die Wiederverwertung einzelner Ziegelsteine verunmöglicht hat. Bleibt also nur die Möglichkeit, das Ganze in handliche Teile zu portionieren. Diese stammen aus drei verschiedenen Altbauten, darunter eine Carlsberg-Brauerei und eine Waldorfschule.
Soziale Ziele
Wie auch in Norwegen ist die bautechnische Innovation hier mit einem sozialen Ziel verknüpft: Für die Bewohner der Resource Rows gibt es eine große Gemeinschaftsterrasse auf dem Dach mit Gewächshäusern, die ebenfalls aus wiederverwerteten Materialien (Glas und Abfallholz) zusammengebaut wurden. Eine kecke Brücke zwischen den beiden Reihenhaus-Dächern überspannt den grünen Innenhof….