Eine Frage der Organisation

Reicht ein Gemeinschaftsraum, damit Gemeinschaft entsteht? Nein, sagen Expert:innen. Und ersetzen digitale Tools den persönlichen Kontakt? Auch nicht. Das Gemeinschaftliche bedarf einer umfassenden Organisation – eine Herausforderung für Bauträger und Hausverwaltungen.
— FRANZISKA LEEB

„Garteln ist der Motor für eine gute Nachbarschaft“, sagt Manuel Hanke. Der Soziologe aus dem Team von wohnbund: consult moderiert Beteiligungsund Gemeinschaftsbildungsprozesse – analog, manchmal auch in niederschwelligen Videokonferenzen. Bereits im Sommer vergangenen Jahres wurde das von Treberspurg & Partner und Synn Architekten geplante Plus- Energie-Quartier am Campo Breitenlee der Bauträger ÖVW und Wiener Heim in Wien-Donaustadt besiedelt. Vielfältig ist das Angebot an Wohnformen und Gemeinschaftsräumen. Umso wichtiger ist es, Bedürfnisse zu erheben, Nutzungskonzepte zu entwickeln und zur Selbstorganisation zu ermächtigen.

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Letzteres funktioniere beim Gärtnern schon allein deshalb gut, weil man einen Nutzen davon hat, so Hanke. Die in den Pflanztrögen und Hochbeeten sprießende Vegetation beweist, dass er recht hat. Für den großen, multifunktionalen Gemeinschaftsraum am Quartiersplatz wird noch an Nutzungsszenarien und Regeln gearbeitet. Er ist hochwertig ausgestattet, da kann vieles stattfinden, von allein wird es aber nicht passieren. Deshalb ist Manuel Hanke auch heuer noch vor Ort, damit es ausreichend Personen gibt, die dafür sorgen, dass hier Nachbarschaft gelebt wird.

Stadtteilarbeit ist wichtiger

Die Politikwissenschafterin und Sozialarbeiterin Eve-Maria Kehrer hat sich intensiv mit Gemeinschaftsräumen für ganze Quartiere befasst. Die sind zu einem neuen Trend geworden, auch, weil die Gemeinschaftsräume einzelner Wohnanlagen oft wenig ausgelastet sind. Die Gründe sind mannigfaltig: fehlende Ausstattung, eine Raumakustik, die das Nutzen durch Gruppen erschwert oder einfach mangelndes Interesse. Vor allem in Neubauquartieren, die wenig Anknüpfungspunkte zu bestehenden Ortskernen haben, sei es sinnvoll, Angebote bereitzustellen, die auch von der Bewohner:innenschaft anderer Liegenschaften genutzt werden kann.

„Wichtig bleibt, dass jemand das Telefon abhebt.“

Julia Wawrik, Puck

Die Probleme, die bei hauseigenen Gemeinschaftsräumen auftreten, bleiben dennoch. Hinzu kommen rechtliche und finanzielle Unsicherheiten. Wer zahlt, wenn jemand aus einem anderen Haus etwas kaputt macht? Wie wird vorgegangen, wenn bei Mietkaufwohnungen die Kaufoption gezogen wird und die Eigentümer: innen über den Raum entscheiden können? Jugendräume müssen einfach und spontan zugänglich sein, meint Kehrer: „Jugendliche wollen das Chillen nicht planen.“ Und wenn kostenpflichtige Angebote nur mit Kreditkarte gebucht werden könne, schließe das auch manche aus. Generell sei Stadtteilarbeit wichtiger als ein Gemeinschaftsraum für jedes Haus. „Es braucht niederschwellige Angebote, mit denen man möglichst viele erreicht“, so Kehrer.

Beim Garteln – hier Beete im Garten der Wien-Süd in der Biotope City in Wien – entsteht Gemeinschaft.

Oft großer Aufwand

Doris Molnar, Vorstandsdirektorin der Kremser Gedesag, differenziert zwischen großvolumigen Wohnstrukturen und kleineren in der Provinz. Die niederösterreichischen Förderungsrichtlinien verpflichten nur bei betreuten Wohnformen zu Gemeinschaftsräumen, die in diesem Segment auch viel und gut genutzt werden. Man müsse bedenken, dass Gemeinschaftsräume einen Wartungsaufwand und damit Kosten verursachen. Abgesehen davon sei am Land der Bedarf kaum gegeben. Selbst Spielplätze werden wenig angenommen, weil jede Familie eine eigene Rutsche-Schaukel-Kombination im Garten stehen hat.

In Großanlagen sei das etwas anderes, so die Erkenntnis von Doris Molnar. Dort sei zudem eine soziale Begleitung wichtig, damit sich die Leute zurechtfinden und kennenlernen. Damit die Gemeinschaftsräume nicht verwahrlosen, brauche es, so ihre Erfahrung, aber „Kümmerer“, die im Idealfall auch kleine Budgets bekommen. Generell sei die Nachbarschaftsbildung heute schwieriger als noch bis in die 1990er-Jahre. Sei man früher eingezogen, um zu bleiben, sei nun die Bereitschaft zu übersiedeln größer.

Noch kümmert sich die Gedesag per E-Mail, Telefon und persönlichen Kontakt um die Bewohner:innen. Man arbeite aber an einem modernen Kundenportal, weil dies von der Übermittlung der Betriebskostenabrechnung bis zum Nachbestellen von Schlüsseln vieles vereinfache. Worauf es dabei aus Hausverwaltungssicht ankommt? „Es steht und fällt mit den Schnittstellen zu vorhandenen Daten“, erklärt Doris Molnar. „Wenn eine App an die Finanzbuchhaltung andockt, ist schon viel gewonnen.“

Digitale Diener

Schon seit 2012 kommt in den Großanlagen der Wien-Süd der mit dem ITDienstleister Rise entwickelte „Digitale Hausmeister“ zum Einsatz. Über ihn läuft vom Reservieren der Sauna bis zur Kommunikation mit der Hausverwaltung alles, was es im jeweiligen Haus zu wissen und zu organisieren gibt. Bei der Suche nach Schachpartner: innen hilft ebenso der „Hausmeister“. Dieser kommt als App direkt auf die Geräte der Bewohner:innen und befindet sich in Form eines Touchscreens in den Hausfoyers. Dort liefert er auf den ersten Blick beim Heimkommen oder Weggehen sichtbar aktuelle Nachrichten und Abfahrtszeiten der umliegenden Öffis.

Nach dem Diener Oberons aus Shakespeares Sommernachtstraum ist Puck benannt, eine Entwicklung von JP Immobilien, an der seit drei Jahren auch die Arwag beteiligt ist. Puck bietet jede Menge Features, vom digitalen Dokumentensafe, über die Mitteilung von Schadensmeldungen bis hin zu Grätzl-Nachrichten. Darunter auch eine Funktion zur Vernetzung von Bewohner: innen, erzählt Puck-Geschäftsführerin Julia Wawrik. Hausverwaltungen hätten aber nahegelegt, sie zu deaktivieren, „damit aus kleinen Problemen keine großen werden“. Denn oft nähmen Bagatellen, sobald die auf digitalen Plattformen losgelassen wurden, Dimensionen an, die schwer in den Griff zu kriegen sind.

Die Wien-Süd beschäftigt seit 2012 sogenannte „digitale Hausmeister“, die über die Hausangelegenheiten hinaus ihre Dienste bereitstellen.

Das 2017 gegründete Proptech-Unternehmen erweitert laufend sein Angebot. Über Puck Energy bietet man sogar eine Direktverrechnung der Heizkosten an. Generell läge es laut Julia Wawrik sehr an den Hausverwaltungen, wie gut die Apps angenommen werden: „Werden die verschiedenen Kanäle nicht bespielt, wird es für die Mieter:innen uninteressant.“ Wichtig für die Bewohner: innen bleibe aber, dass jemand das Telefon abhebt, wenn sie anrufen.

Über soziale Medien organisierte Bewohner: innengruppen, digitale Hausverwaltungsplattformen und elektronische Zutrittssysteme helfen dabei, dass die Nutzung von Gemeinschaftsräumen, Wellnessbereichen, Dachschwimmbädern, Werkstätten und Waschräumen in geregelten Bahnen verläuft. Macht die fortschreitende Digitalisierung den oft beklagten, ungenutzten oder missbräuchlich verwendeten Gemeinschaftsbereichen ein Ende? „Nein“, Eva-Maria Kehrer, „selbst das perfekte digitale System ist kein Garant für das Funktionieren dieser Räume. Es braucht stets auch ein analoges Angebot, persönlichen Service.“

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