Der Alltag als Experiment

Die Architektin, Stadtforscherin und Wohnbau-Expertin Amila Širbegović übersiedelt demnächst mit ihren Söhnen in eine kleinere Wohnung. Auch aus Gründen der gesellschaftlichen Fairness
— MAIK NOVOTNY

Für Amila Širbegović ist das Wohnen Beruf und Alltag zugleich. Die studierte Architektin war zehn Jahre in der Gebietsbetreuung Hernals und Währing tätig, war Projektleiterin der IBA_Wien 2022 und arbeitet heute als Stadtforscherin bei der MA 50, Wohnbauforschung, der Stadt Wien. Da wird auch die Wahl von Wohnort, Wohnungstyp und Einrichtung zum laufend evaluierten Experiment. Seit zwölf Jahren wohnt sie mit ihren Söhnen Armin und Timur in einer 117 Quadratmeter-Maisonette im 6. und 7. Stockwerk in einem Haus der Sozialbau im Sonnwendviertel, entworfen von Blaich Delugan Architekten.

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Offenheit und Privatheit

„Wir sind damals zu viert eingezogen, heute sind wir zu dritt“, sagt sie. „Damals war es der erste bezogene Bau im neuen Quartier. Ich finde es gut, dass die Wohnungstypen hier so variantenreich sind und dass es eine grüne Dachterrasse für die Gemeinschaft gibt, die von sehr engagierten Bewohner:innen gepflegt wird. Ich wollte speziell in dieses Haus hier an der Sonnwendgasse einziehen, weil es dem bestehenden Quartier in Favoriten am nächsten ist.“ Dass die Straße etwas laut ist, macht ihr nichts aus, sagt sie. „Ich mag es auch gerne laut, daher wohne ich lieber zur Straße hin als zu einem Innenhof, wo man jedes Geräusch der Nachbarn hört.“

Der offene Grundriss – großer Wohnbereich, Küche, Essnische und ein zweiter Vorraum beim Eingang – hat sich einerseits bewährt, weil die Nischen sich für alle möglichen Nutzungen des Alltags eignen. „Nur während Corona habe ich an dieser Offenheit etwas gelitten“, sagt Amila Širbegović. Damals wanderte der Esstisch ins Wohnzimmer, und die Essnische wurde zum Homeoffice, abgetrennt mit einem Vorhang. „Der ist zwar nicht schalldicht, aber meine Söhne Armin und Timur respektieren dann meine Privatheit.“

Derzeit wohnt die Familie schon auf halb gepackten Kisten. Auch die große Star-Wars-Dekoration der Söhne an der Stiegenwand und die Dartsscheibe im Wohnzimmer sind schon entfernt. Im Frühsommer ziehen die drei in eine 86-Quadratmeter-Wohnung der Arwag im Village im Dritten (Architekten; Gerner Gerner Plus und Heri & Salli). Auch dies wird das erste bezogene Haus in einem neuen Quartier sein, und auch dort ist die Wohnung im 6. Stock. „Man hat ja immer Vorlieben bei Wohnungstypen, so wie ich den Laubengang. Die Wohnung im 3. Bezirk ist zwar ein Vierspänner, hat aber einen ausgezeichneten Grundriss. Die Einrichtung einer 25-Quadratmeter- Wohnküche muss man allerdings sehr planen.“ Auch die recht kleinen smarten Schlafzimmer können groß genug sein, wenn sie wie hier den richtigen Zuschnitt haben. „Meine Söhne sind schon recht riesig, die passen da sonst nicht hinein!“ Fairnesshalber bekommt dann das größere Zimmer der ältere Sohn, der in der jetzigen Wohnung das kleinere hat.

Arbeit und Freiheit

Für die Wohnbauforscherin ist auch ein Umzug nicht einfach nur ein Umzug, sondern Gelegenheit zur Reflexion über eine gesamtgesellschaftliche Haltung der Fairness im Wohnbau. „In eine kleinere Wohnung umzuziehen, das heißt auch: Man überlegt sich, was man wirklich braucht. Ich will aber gar nicht jedem einzelnen einreden, sich zu reduzieren, das ist eine gesamtgesellschaftliche Frage. Und wir als Gesellschaft können uns im Wohnbau für das, was wir an individueller Fläche einsparen, auch etwas gönnen. Zum Beispiel bessere Architektur und bessere Infrastruktur.“

Neben der Psychologie hat die Reduktion der Fläche auch pragmatische Vorteile, findet Širbegović. „Wohnen bedeutet immer auch Care-Arbeit fürs alltägliche Leben. Man muss sich um die Wohnung kümmern, und ein gutes Gleichgewicht schaffen zwischen Wohnung als Arbeit und Wohnung als Rückzugsraum.“ 31 Quadratmeter weniger Fläche bedeutet also auch: 31 Quadratmeter weniger Aufwand, und ein Plus an Freiheit für die schönen Aspekte des Wohnens.

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