Das Haus der Zukunft?

Die langfristige Nutzung freistehender Einfamilienhäuser ist ein Problem, über das kaum jemand redet. Doch die Wohnform hat ein ungeahntes Potenzial. Einfamilienhäuser, Herr und Frau Österreichers Wohntraum Nummer eins, machen rund 80 Prozent des heimischen Gebäudebestands aus. Allerdings ist die Zeitspanne, in der Einfamilienhäuser tatsächlich von einer Familie bewohnt werden, relativ kurz.

Auszug der Kinder, Trennungen, Todesfälle oder andere Veränderungen, führen oft schon nach zehn bis 15 Jahren dazu, dass in den vielfach überdimensionierten, für mehrere Personen errichteten Gebäuden nur mehr ein bis zwei Personen wohnen. Das ist in Österreich in durchschnittlich 52 Prozent aller Einfamilienhäuser der Fall. In den Bundesländern Niederösterreich, Burgenland und Wien sind sogar 56 bis 62 Prozent deutlich unterbelegt.

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Geänderte Bedürfnisse

Dazu kommt, dass rund 17 Prozent der Gebäude keine Hauptwohnsitzmeldung aufweisen, sie also leer stehen oder nur als Nebenwohnsitz dienen. Auch die Anzahl der Einfamilienhäuser, in denen alle darin wohnenden Menschen 65 Jahre und älter sind (sogenannte Seniorenhaushalte), liegt österreichweit bei 20 Prozent. Der potenzielle Leerstand der Zukunft? Das Phänomen der Unterbelegung ist langfristig wahrscheinlich noch viel problematischer als der Leerstand, da damit noch weitere Probleme verbunden sind wie soziale Vereinsamung, Armutsgefährdung oder Überforderung mit der Erhaltung von Haus und Garten. Außerdem ist die Unterbelegung nicht so offensichtlich wie Leerstand, somit weitaus schwieriger fassbar oder veränderbar.

Fakt ist: Würde man das Potenzial bestehender Einfamilienhäuser aktivieren, indem man sie etwa zu Mehrpersonenhäusern umbaut, könnte Wohnraum geschaffen werden, der neue Formen des Zusammenlebens ermöglicht und der an geänderte Bedürfnisse und demografische Entwicklungen angepasst ist. Das innerfamiliäre Mehrgenerationenwohnen ist dabei nicht für alle Menschen das Modell der Wahl. Stattdessen zeigt sich beispielsweise bei Baugruppen, dass ein ähnliches Alter oder ähnliche Interessen die wichtigeren Faktoren für ein gutes Zusammenwohnen sein können.

Die Organisationsform sowie der gewünschte Gemeinschaftsgrad werden von den Hauseigentümern und zukünftigen Bewohnern ebenso selbst bestimmt wie die Wohnform an sich: Die meisten Einfamilienhäuser bieten genug Platz, um ein bis drei zusätzliche, getrennt begehbare Wohneinheiten zu schaffen. Auch Wohngemeinschaften im klassischen Sinne, betreutes Wohnen, Clusterwohnen oder die Kombination von Wohnen mit anderen Nutzungen wie Büro, Praxis, Café, Werkstatt, emissionsarme Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe (Friseur, Goldschmiede, Änderungsschneiderei etc.) sind leicht verwirklichbar. Künftige Besitzverhältnisse – Soll das Haus im Alleineigentum bleiben und Wohnraum vermietet werden oder ist eine Eigentümergemeinschaft vorstellbar? – hängen auch von den verfügbaren Mitteln für den Umbau ab. Der Umbau vom Einfamilien zum Mehrpersonenhaus wurde in der Forschungsreihe ReHabitat, Re- Habitat-ImmoCheck+ und ReHabitat- Siedlung untersucht, deren Ergebnisse online auf ecology.at abrufbar sind.

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Julia Lindenthal, Architekturdiplom, seit 2011 am Österreichischen Ökologie- Institut, arbeitet im Bereich der angewandten Forschung, u. a. zu den Themen „Weiterentwicklung von leerstehenden und unterbelegten Gebäuden“ und „Klima- und Bodenschutz durch Suffizienz im Bauwesen“. www.ecology.at

Grün- und Freiräume

Die notwendigen baulichen Adaptionen finden vorrangig innerhalb der Bestandskubatur statt, indem die vorhandenen Flächen effizienter genutzt und die Raumaufteilungen optimiert werden. So wird kein weiterer Boden versiegelt, der vorherrschende Charakter einer Einfamilienhaus-Siedlung nicht grundlegend verändert, Grünund Freiräume bleiben erhalten. Die gemeinschaftliche Nutzung von Gärten, zum Beispiel im Zusammenschluss zu privaten Nachbarschaftsgärten, hilft, auch das Potenzial der Ressource Boden voll auszuschöpfen, die Artenvielfalt durch Wiesen, Biotope und insektenfreundliche Bepflanzung zu steigern, das Regenwassermanagement und die Selbstversorgung zu erleichtern sowie die Kosten für diverse Anschaffungen und Betrieb zu senken.

Hürden bei der Umsetzung bestehen in erster Linie im Kopf: Bei vielen Menschen ist der Widerstand gegen Veränderungen groß, zahlreiche Ängste und die emotionalen Bindungen ans Gebäude erschweren die Beschäftigung mit der Zukunft des Hauses. Doch diesen Herausforderungen kann begegnet werden, wenn man sich ehrlich mit den eigenen Bedürfnissen und der Frage, was einem wirklich wichtig ist, auseinandersetzt. Persönliche Weiterentwicklung, neue Perspektiven, geteilte Haus- und Gartenarbeit, ein Leben und Älterwerden in sozialer Integration oder Entrümpelung sind nur einige der vielen Vorteile, die einem ein Mehrpersonenhaus bietet. Wer die Chance hat, das enorme Zukunftspotenzial bestehender Einfamilienhäuser und ihrer Gärten zu nutzen, sollte sie ergreifen.

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