An die Substanz gehen

Ob neue, intelligente Materialien, Bewährtes wie Beton, Problematisches wie Mineralwolle oder die bestehende Bausubstanz: An allen Fronten wird geforscht und entwickelt, um Baustoffe zu sparen und zu optimieren.
— MAIK NOVOTNY

Auf den ersten Blick sieht es aus wie ein Aussichtsturm, das 36 Meter hohe schlanke Gerüst, das seit kurzem auf dem Gelände der Universität Stuttgart steht. Doch weit gefehlt: Das Demonstrationshochhaus D1244 des Sonderforschungsbereiches SFB1244 ist ein wahres Hightech-Wunder. Die Tragstruktur ist mit sogenannten Aktoren ausgestattet, die als hydraulische Sensoren auf Umwelteinflüsse reagieren. Ergänzt wird diese durch verschiedene Fassadenmodule, die hier ab 2022 sukzessive getestet werden. Ziel des SFB1244 ist, eine drastische Reduzierung des mit dem Bauen verbundenen Ressourcenverbrauchs und der dabei entstehenden Emissionen. Sprich: Durch die intelligente Reaktion auf die Umwelt kann der Materialaufwand reduziert werden.

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„Unsere weltweite Spitzenposition im adaptiven Bauen wird mit diesem Forschungshochhaus weiter gefestigt. Noch nie war Architektur so wandelbar, so veränderlich mit der Zeit wie hier“, sagt der Initiator des SFB1244, Professor Werner Sobek. Auch klimaaktive Fassaden stehen auf dem hohen Prüfstand. So wird bald eine hydroaktive Fassade, die sogenannte „Hydro- Skin“ getestet, die zur Reduktion von urbanen Hitze- und Überflutungsrisiken beiträgt, indem sie das auf die Fassade treffende Regenwasser sammelt, speichert und zeitverzögert zur Verdunstungskühlung von Gebäude und Stadtraum abgibt.

Kinetische Fassaden

„Wir entwickeln zudem auch kinetische Fassaden, die sich horizontal und vertikal rotieren lassen, um das Licht zu steuern und die Hitze abzuleiten“, erklärt Kathrin Chwalek vom ILEK. „Neben den physikalischen Eigenschaften ist auch die ästhetische Wirkung ein Faktor.“ Auch beim Tragwerk kann Material eingespart werden, weil es dank der Aktoren nicht auf Maximallast berechnet werden muss. Langfristig, so Chwalek, können die Erkenntnisse auch in die Bauwirtschaft eingespeist werden. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA 27 Region Stuttgart wird das Demonstrationshochhaus D1244 während der Festivaljahre 2023, 2025 und 2027 der Öffentlichkeit präsentiert.

Foto: Porr: Mehr als Schutt: Betonrecycling bei der Porr

Auch in Österreich wird intensiv an der Optimierung von Baumaterialien geforscht, sowohl bei neuartigen als auch bei etablierten Techniken. Bei Mischek, seit langer Zeit ein Hort der Fachexpertise im Fertigteilbau, steht der Beton im Vordergrund. Denn auch im Fertigteilbau, so Markus Engerth, Unternehmensbereichsleiter Strabag Österreich und Geschäftsführer Mischek Systembau, steckt noch einiges an Innovationspotenzial. „Die industrielle Vorfertigung ist eine Lösung für die gegenwärtige und künftige umwelt- und energiepolitische Herausforderung, nämlich die fortschreitende Urbanisierung und damit der wachsende Bedarf an bezahlbarem Wohnraum in den Städten sowie die Energieknappheit und der Schutz unserer Umwelt. Durch industrielle Vorfertigung entstehen schon in der Bauphase systematisch weniger Lärm, Schmutz und Abfall.“

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Mehr Vorfertigung

Deshalb arbeitet Mischek Systembau daran, den Vorfertigungsgrad weiter zu steigern. Besonders im Bereich der Stahlbetonfertigteile inklusive HKLSund Elektroinstallationen soll sich das Portfolio um weitere innovative Produkte erweitern. Zudem könne gegenüber dem Ortbeton die Betonmasse um rund drei Prozent reduziert werden. Neuartige Fertigteilprodukte zielen vor allem darauf ab, die Haustechnik klug zu integrieren. Mischek strong & active wird als bauteilaktivierter Fertigteil auf die Baustelle geliefert, Mischek smart one ist eine Massivwand mit integrierter Rohinstallation für Elektro und Haustechnik, Mischek compact ein Fertigschacht für Installationen.

Mit dem Thema der Wiederverwertung beschäftigt man sich bei der Porr. Im Recycling Center Himberg (RCH) werden bereits Ziegel zu Ziegelsplitt und Beton zu Recyclingbeton verarbeitet, 2022 wurde eine Aufbereitungsanlage für Mineralwolleabfälle in Betrieb genommen – denn Mineralwolledeponien sind in Österreich ab 2026 verboten.

Forschung zu Recycling

„Wir haben immer das Ziel Kreislaufwirtschaft vor Augen“, erklärt Zeljko Vocinkic, Geschäftsführer der Porr Bau GmbH und Recyclingexperte der Porr. „Allerdings haben wir, wie auch bei anderen Baurestmassen wie etwa Styropor, das Problem, dass Mineralwolle kein sortenreines Abfallprodukt ist, sondern Verunreinigungen hat. Hier muss also eine Lösung gefunden werden.“ Auch in anderen Bereichen werden die Recyclingquoten ausgebaut. So ist die Porr an einem Forschungsprojekt zur Wiederverwertung von Styropor und einem Projekt zum Recycling von Gips – beides Bereiche, die in Österreich noch extrem unterrepräsentiert sind, wie Vocinkic erklärt. „Hier ist forschungstechnisch noch enorm Luft nach oben.“

Neben all diesen Entwicklungen, die sich vor allem auf den Neubau fokussieren, darf der Wert des Bestandes nicht unberücksichtigt bleiben. Denn am wenigsten CO2 verbraucht man schließlich, wenn man auf Komplettabriss und Neubau verzichtet. Hier kommt die Baukultur ins Spiel. Hier wurde auf EU-Ebene die Expertengruppe „Stärkung (und Nutzung) der Resilienz des Kulturerbes für den Klimawandel“ eingerichtet, deren letztes Arbeitstreffen im April 2022 an der Universität für Weiterbildung Krems stattfand. Der Schlussbericht, an dem mehr als 50 Experten aus 25 Mitgliedsstaaten beteiligt waren, wird Ende des Jahres fertiggestellt.

Foto: Mischek

Die Universität für Weiterbildung Krems forscht mit dem Projekt „monumentum ad usum“ in diesem Bereich. Dabei wird untersucht, wie denkmalgeschützte Bauten für Wohnnutzung adaptierbar sind – anhand von neun Bauten an sechs Standorten in Niederösterreich…

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