Die angespannte Lage auf den Wohnungsmärkten in vielen Mitgliedsstaaten der EU hat längst eine europäische Dimension erreicht. Angesichts wachsender Ungleichheiten, steigender Baukosten und regulatorischer Hürden fordert die EBZ Business School in Bochum eine aktive europäische Wohnungspolitik.
Ihr aktuelles Positionspapier versteht sich als fachlich fundierter Beitrag zum European Affordable Housing Plan der EU-Kommission – und plädiert für mehr Koordination, ohne dabei nationale Kompetenzen zu untergraben.
Wohnraumverteilung gerechter gestalten
Ein zentrales Problem, das das Papier adressiert, ist die zunehmende Fehlverteilung von Wohnfläche. Aufgrund demografischer Veränderungen – etwa der Alterung der Gesellschaft und der Zunahme von Singlehaushalten – kommt es zu einer paradoxen Entwicklung: Während viele Menschen in überdimensionierten Wohnungen leben, mangelt es gleichzeitig an passenden Angeboten für wachsende oder einkommensschwache Haushalte.
Die Professorenschaft schlägt deshalb Modelle vor, die ältere Menschen beim freiwilligen Umzug in kleinere, altersgerechte Wohnungen aktiv unterstützen – zum Beispiel durch Beratungsangebote, Wohnraumanpassung oder finanzielle Anreize.
Vielfalt neuer Wohnformen fördern
Die klassischen Wohnungsdefinitionen werden der gesellschaftlichen Realität längst nicht mehr gerecht. Wohnprojekte wie Baugruppen, Co-Housing-Modelle, generationenübergreifende Wohnformen oder neue Genossenschaften stoßen häufig an regulatorische Grenzen.
Die EBZ fordert daher eine Öffnung der Prozesse und rechtlichen Rahmenbedingungen, um innovative Wohnformen nicht länger zu behindern, sondern gezielt zu fördern. Besonders genossenschaftliches Wohnen sei nicht nur ein sozial tragfähiges Modell, sondern auch ein stabilisierender Faktor in Krisenzeiten.
Eigentum und Miete – keine ideologische Frage
In vielen politischen Debatten wird das Eigentum als Idealbild propagiert – besonders im Sinne der Altersvorsorge. Doch das Positionspapier mahnt zur Differenzierung: Eigentum könne im Alter auch zu einer Belastung werden, etwa durch hohe Instandhaltungskosten oder geringe Marktliquidität.
Die Autoren plädieren daher für ein ideologiefreies Verständnis: Sowohl Miete als auch Eigentum – ebenso wie Mischformen wie Mietkauf oder Wohnrechte – sollten nebeneinander existieren können und den unterschiedlichen Lebensphasen gerecht werden.
Nachhaltigkeit mit Wirtschaftlichkeit versöhnen
Ein besonders brisantes Thema ist die ökologische Modernisierung des Gebäudebestands. Während das Prinzip „Efficiency First“ lange als goldene Regel galt, warnt die EBZ vor einer einseitigen Kostenfokussierung. Stattdessen sollte stärker auf die tatsächliche Vermeidung von Treibhausgasemissionen geachtet werden.
Investitionen in regenerative Energien – etwa durch Quartierslösungen oder den gezielten „Fuel Switch“ – sollten Vorrang vor rein technokratischen Effizienzmaßnahmen erhalten, die oft hohe finanzielle Belastungen mit sich bringen.
Regulierungen vereinfachen – europäisch denken
Eine der größten Hürden für den Wohnungsbau ist laut EBZ die Komplexität der regulatorischen Landschaft. Unterschiedliche Normen, Baustandards und Ausführungsregeln zwischen – aber auch innerhalb – der Mitgliedsstaaten erschweren Bauprozesse und treiben die Kosten in die Höhe. Das Papier fordert eine umfassende Harmonisierung von Bauvorschriften auf europäischer Ebene, jedoch unter Wahrung demokratischer Legitimation. Standards, die allein von Industrieverbänden definiert wurden, sollten hinterfragt werden.
Wohnungsbau priorisieren – auch gegenüber anderen Zielen
In der Praxis geraten Wohnbauprojekte häufig in Konflikt mit anderen politischen Zielen wie Denkmal- oder Umweltschutz. Hier wünscht sich die EBZ mehr Pragmatismus. Vorschläge wie die virtuelle Archivierung historischer Bauten oder integrative Planung ökologischer Qualitäten könnten helfen, Blockaden zu überwinden.
In besonders angespannten Wohnungsmärkten könne auch eine gesetzliche Regelung denkbar sein, die dem Wohnbau grundsätzlich Vorrang einräumt – formuliert als „in dubio pro apartmento“.
Rechtssicherheit bei Förderung und Energieprojekten
Viele öffentliche Förderprogramme scheitern nicht an fehlenden Mitteln, sondern an komplexen beihilferechtlichen Vorgaben der EU. Hier setzt die EBZ auf eine Modernisierung des EU-Beihilferechts, um insbesondere den sozialen Wohnungsbau schneller und rechtssicher umsetzen zu können.
Auch bei der Nutzung regenerativer Energieformen wie Mieterstrom bestehen derzeit erhebliche Unsicherheiten – etwa, wann ein Vermieter als Netzbetreiber gilt. Für eine dezentrale, nachhaltige Energieversorgung müsse Rechtssicherheit geschaffen werden.
Zinspolitik im Blick behalten
Die Entwicklung der Kapitalmärkte wirkt sich stark auf den Wohnungsbau aus – eine Realität, die sich mit dem Zinsanstieg 2022 schmerzhaft verdeutlicht hat. Das Papier warnt vor zu schnellen geldpolitischen Kurswechseln. Eine europäische Wohnungspolitik müsse mit einer Geldpolitik Hand in Hand gehen, die Investitionen in den Wohnbau nicht blockiert.
Langfristig könnten sonst wiederkehrende Zinsschocks den sozialen Wohnungsbau massiv gefährden.
Mehr Europa wagen – aber mit Maß
Die Stellungnahme der EBZ Business School betont die Bedeutung eines europäischen Rahmens für die Wohnungspolitik, ohne nationale Besonderheiten zu ignorieren. Die Vorschläge zielen nicht auf eine Zentralisierung, sondern auf mehr Koordination, Dialog und Kompatibilität. Europa könne hier Leitlinien setzen, Standards vereinfachen und gleichzeitig soziale wie ökologische Ziele in Einklang bringen.
Das Papier endet mit einem klaren Appell: „Es ist ein Problem für alle – auch für diejenigen, die heute noch nicht betroffen sind.“ Wohnpolitik ist europäische Zukunftspolitik.
Margarethe Danisch
Quelle: EBZ Business School