Die Suche nach Resilienz in einer Welt von Polykrisen

Holistische Planung für resiliente Kommunen

Wir stehen an einem globalen Wendepunkt, an dem sich diverse wirtschaftliche, politische und humanitäre Notlagen verschärfen und die Klimakrise zugleich zur globalen Bedrohung wird. Die New Urban Agenda (NUA) und die Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals bzw. SDGs) können als strukturelle Übereinkunft ausgelegt werden, um die sich die globale Gemeinschaft in all ihren ordnungspolitischen Formen mobilisieren muss – vom politischen und institutionellen Rahmen bis hin zu individuellen und bürgerschaftlichen Strukturen. Dies impliziert eine strukturelle Neudefinierung von Rollen, Disziplinen und Funktionsmodellen auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Organisation.

Insofern geht aus den verschiedenen Abkommen der erweiterte Bereich der Infrastruktur und territorialen Entwicklung als Schwerpunkt für den Übergang zu nachhaltigen Gesellschaftsmodellen und die Verknüpfung der verschiedenen Klimaziele hervor. Wie können Stadtentwicklungsexpert*innen zum Prozess beitragen? Welche Instrumente und Technologien stehen uns zur Verfügung? Können wir eine aktivere Rolle einnehmen und mit den vor uns liegenden Herausforderungen Schritt halten?

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Von Tobias Backen, David Thein und Susanne Tettinger

Globale, soziale und ökologische Entwicklungen und die zunehmende Komplexität der städtischen und ländlichen Gesellschaft zeigen, dass wir vorausschauend agieren und vorbereitet sein müssen – nicht reaktiv, sondern proaktiv. Die Entwicklung von Strategien und Plänen für resiliente urbane Ökosysteme bedarf holistischer Ansätze unter Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Aspekte. Holistisch oder ganzheitlich bedeutet in diesem Kontext, unter Einbezug verschiedener Fachdisziplinen, inter-, trans- und multidisziplinär.

Holistische und adaptive Planung

Bereits seit 2018 beschäftigen sich verschiedenste Expertinnen im Rahmen der von Sweco ins Leben gerufenen Initiative Urban Insight mit aktuellen Herausforderungen einer nachhaltigen urbanen Entwicklung und stellen zukunftsweisende Lösungsmöglichkeiten vor. Urban Insight ist eine konzernweite Wissensplattform, auf der Expertinnen aus der ganzen Welt zusammenkommen, um Erkenntnisse weiterzuentwickeln und sich auszutauschen. Ob Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels, gesundheitsfördernde Stadtplanung oder die Transformation zu einer „Circular City“: Swecos vielfältiges internationales Expertennetzwerk bietet für jede Fragestellung die richtige Expertise. Nachdem in den letzten Jahren die Themen Mobilität, Energie, Klimaschutz, Gesundheit und Wohlbefinden und Kreislaufwirtschaft im Mittelpunkt standen, dreht sich im Jahr 2023 alles um das Thema „Resiliente Gesellschaften“.

Die gesellschaftliche Widerstands- und Anpassungsfähigkeit ist angesichts zahlreicher Krisen und der Unvorhersehbarkeit urbaner Transformationsprozesse wichtiger denn je. Um widerstandsfähig zu werden, müssen besondere Maßnahmen ergriffen werden. Es braucht Strategien für den Übergang vom reaktiven zum proaktiven Handeln und eine vorausschauende, holistische Planung urbaner wie ländlicher Räume, um unser Umfeld und unsere Gesellschaft vorzubereiten.
Einige Schlüsselelemente holistischer Stadtplanung sind:

  • Interdisziplinäre Projektteams unter Einbezug aller relevanten Fachdisziplinen.
  • Die Aktivierung und Partizipation der lokalen Bevölkerung in allen Zielgruppen. Strategien sollten auf die lokalen Bedürfnisse und Prioritäten zugeschnitten sein. Partizipative Planungsprozesse wirken sich positiv auf das Gefühl der Eigenverantwortung in der Bevölkerung aus. Mehr Eigenverantwortung führt wiederum zu höherer Partizipation und bottom-Up-Initiativen.
  • Bildung von Netzwerken und Arbeitskreisen – Zusammenar-beit und Engagement der lokalen Bevölkerung sowie relevanter Stakeholder. Die Aktivierung und Vernetzung lokaler Key-Stakeholder erhöhen die Qualität und Akzeptanz entwickelter Strategien und Maßnahmen, sowie deren Implementierungswahrscheinlichkeit.
  • Planung als iterativer Prozess: Analyse und Beteiligung im ständigen Feedbackloop.
  • Entwicklung von multifunktionalen und integrierten Lösungsansätzen, um möglichst resiliente urbane und regionale Räume zu schaffen.
In seinem beruflichen Werdegang beschäftigte sich Tobias Backen mit integrierten Planungsprozessen. Bereits in seinem Studium der Stadt- und Regionalplanung an der Universität Kassel entwickelte er ein ausgeprägtes Interesse für interkommunale Planungen, Leitbild- und Stadtentwicklungsprozesse. Seit 2019 ist er nun bei der Sweco GmbH am Standort Hamburg tätig und leitet seit Juli 2021 das Ressort Stadtplanung und Regionalentwicklung Bremen/Hamburg.

Instrumente und Technologien

Für eine holistische und adaptive Planung stehen der Stadtentwicklung und Stadtplanung verschiedenste Instrumente und Technologien zur Verfügung. Zum einen eine breite Förderkulisse auf EU-, Bundes-, Länder- und Kommunalebene, zum anderen diverse Technologien und digitale Tools wie z. B. Bürgerbeteiligungstools/Plattformen, Sensornetzwerke für Umweltmonitoring und Stadtklimamodelle, Geoportale, Echtzeit-Dashboards für eine nachhaltigere und transparente Verkehrsplanung, CO2-Bilanzierungstools, Gebäudedatenmodellierung (BIM – (Building Information Modelling)) und weitere Tools im Bereich Smart-City. Intelligente Infrastrukturen und Technologien können dabei vor allem zur Widerstandsfähigkeit beitragen, indem sie Informationen in Echtzeit liefern und dadurch Koordination und Reaktion ermöglichen. Zukünftige Potenziale liegen besonders in der Synchronisation und Korrelation von Daten/Informationen, um konsequente wie automatisierte „Wenn-Dann-Ketten“ aufzubauen.

Als interdisziplinäres Planungsbüro setzt Sweco z. B. auf eine Kombination von Technologien wie BIM (Building Information Modelling), die Sweco Sustainability Sun, das hauseigene CO2-Bilanzierungstool „Futureproofed“ und interaktiven hybriden Beteiligungsformaten, um in jeglicher Förderkulisse eine besonders nachhaltige und resiliente Planung zu gewährleisten. In interdisziplinären Teams entwickeln die Planerinnen und Planer gemeinsam mit Kommunen und Regionen in Deutschland Konzepte und Strategien für resiliente urbane und regionale Räume. Die besondere Herausforderung liegt dabei darin, die Themen der Klimaanpassung stärker in die Konzepte zu integrieren und gesellschaftlichen wie ökologischen Entwicklungen durch adaptive Maßnahmen vorzubeugen.

Grüne und blaue Infrastrukturen rücken deshalb immer mehr in den Vordergrund, denn sie spielen im Kampf gegen die Auswirkungen von Hitzewellen und Überschwemmungen, und somit dem Aufbau von Resilienz, eine entscheidende Rolle. Die Städtebauförderung, Klimaschutzkonzepte, Resilienzstrategien oder integrierte, wie digitale Entwicklungsstrategien liefern Kommunen in Deutschland dabei Instrumente, um diese zu fördern.

In seinem Studium in Environmental & Infrastructure Planning an der Rijksuniversiteit Groningen beschäftigte sich David Thein mit der Suche nach innovativen Lösungen integrierter Stadt- und Umweltplanung. Dabei entwickelte er ein besonderes Interesse für urbane Transformationsprozesse und die Potenziale datengetriebener aktiver Mobilität. Bei der Sweco GmbH beschäftigt er sich hauptsächlich mit den Themen der integrierten Mobilität, Klimaanpassung und Raumplanung.

Vom Planen ins Handeln

Im Rahmen von Integrierten Stadtentwicklungskonzepten für die Gemeinde Harrislee und die Stadt Cloppenburg wurde der Ansatz von BlueGreenStreets adaptiert, um klimaangepasste urbane Räume zu stärken. So soll die ökologische Resilienz nachhaltig ausgebaut werden, während gleichzeitig Raum für Erholung und Gemeinschaftsaktivitäten (soziale Resilienz) geschaffen werden kann. Diese ökologischen und sozialen Synergien zwischen Klimaanpassungsmaßnahmen, attraktiver Freiraumgestaltung und unterstützenden digitalen Anwendungen sind der Kern resilienter Stadtentwicklung.

Integriertes städtebauliches Entwicklungskonzept (ISEK) Harrislee.

Im Rahmen der Erarbeitung einer Resilienzstrategie mit und für die Stadt Bremervörde wurde eine Handlungsstrategie entwickelt, welche zu mehr Lebendigkeit und Nutzungsvielfalt führen sowie der Entwicklung von Monostrukturen vorbeugen soll. Die Umsetzung der Strategie basiert auf drei Leitprojekten: Ein soziokultureller Treff, ein Co-Using Space am Rathausmarkt und die konzeptionelle Umgestaltung der Hafenpromenade unter ressourcenschonenden und ökologisch nachhaltigen Aspekten. Dadurch wurden proaktiv eine umweltgerechtere Flächengestaltung, die Aufenthaltsqualität und die soziale Resilienz gefördert.

Susanne Tettinger hat im Anschluss an ihr Diplom für Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen viele Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin gearbeitet. Dort bearbeitete sie zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte insbesondere im Bereich der Wasserwirtschaft. Seit 2017 arbeitet sie als Projektleiterin bei der Sweco GmbH. Hier beschäftigt sie sich mit der Innovationsförderung und Netzwerkarbeit, sie ist im Nachhaltigkeitsteam der Sweco GmbH und Country Project Leader Urban Insight für Deutschland.

Der Blick nach vorne

Eine holistische Stadtentwicklung spielt eine entscheidende Rolle beim Aufbau nachhaltiger und lebenswerter Städte und Gemeinden. Durch die Förderung von Zusammenarbeit und Engagement, die Priorisierung grüner und blauer Infrastruktur, die Integration von Klimaanpassung in die Stadtplanung, die Entwicklung intelligenter Infrastrukturen und Technologien sowie den Aufbau sozialer Resilienz können deutsche Städte und Gemeinden urbane Gebiete schaffen, die anpassungsfähig, reaktionsfähig und integrativ sind. Vor allem die Synergien zwischen der Digitalisierung von Kommunen und den Themen der Klimaanpassung sind sehr vielversprechend, um innovative Lösungen zu finden und das oftmals präsente Silodenken innerhalb der Verwaltung zu durchbrechen.

Auf unserem Weg zu nachhaltigeren Kommunen sind jedoch noch einige Hürden zu nehmen. Diese beziehen sich insbesondere auf die Schaffung von langfristigen Kapazitäten und Ressourcen innerhalb der Verwaltungen in Bezug auf Nachhaltigkeit und IT in kleineren Kommunen, die Verteilung kommunaler Gelder für die Querschnittsthemen Klimaschutz und Digitalisierung sowie ein generell stärkeres Bewusstsein für holistische und langfristige Lösungen. Doch auch Planerinnen und Planer müssen in ihren Ansätzen und Prozessen noch deutlich integrierter und adaptiver werden, um eine wahrhaftig resiliente Transformation von Kommunen zu ermöglichen. Sweco nimmt sich diesem Thema intensiv an und kann durch die Vereinigung vieler verschiedener Fachdisziplinen im Unternehmen einen integrativen Beitrag als Partner für Städte und Kommunen leisten: In Projekten durch integrierte Ansätze aber auch im Wissensnetzwerk Urban Insight.

NACHHALTIG WOHNEN UND BAUEN

Ein Themenheft von Wohnungswirtschaft heute in Kooperation mit RENN.nord. 192 Seiten, 18,90 €

Nachhaltig Wohnen und Bauen Teil 1 von 3

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