Gemeinsam krisenfest

Architekt Bruno Sandbichler ist Mitglied der Baugruppe „Wohnen am Grünen Markt“ im Wiener Sonnwendviertel, die er selbst geplant hat. Für ihn ist die Balance zwischen Gemeinschaft, Wohnen und Arbeit perfekt.
MAIK NOVOTNY

Ein solches Panorama beim Lesen hat nicht jeder: Von den breiten Sitzstufen geht der Blick durch das große Fenster auf die Gleise neben dem Hauptbahnhof, das Arsenal und viel Himmel darüber. Scala Publica wird der Raum mit der Treppe genannt, einer der vielen Gemeinschaftsräume in der Baugruppe „Wohnen am Grünen Markt“ im Wiener Sonnwendviertel, die vom Bauträger Neues Leben errichtet und im August 2019 bezogen wurde. Architekt Bruno Sandbichler war von Anfang an dabei, als Gruppenmitglied und als Planer, er ist mit seinem Büro in den Cocreation-Space gezogen, ebenfalls mit Panoramablick.

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„Als wir eingezogen sind, waren bis auf drei Wohnungen alle vergeben“, erinnert er sich. „Dadurch ist sich der geplante Kauf nicht ausgegangen, heute sind wir froh darüber, angesichts der Zinsentwicklung. Jeder von uns ist Genossenschaftsmieter, und der Verein mietet die Gemeinschaftsräume.“ Schon wenige Monate nach dem Einzug kam es zur ersten Bewährungsprobe durch die Corona-Pandemie. „Das hat uns gehörig durcheinandergewirbelt, wir mussten das ganze Konzept über Nacht einstampfen. Aber die Gruppe hat sich durch die Krise gekämpft und Solidarität gezeigt.“

Vor allem die Gemeinschaftsräume hätten sich in der Krise besonders bewährt, sagt Sandbichler, mit Home-Office und Videokonferenzen. „Zwischen den Lockdowns haben wir hier im Gemeinschaftsraum Scala Publica die sogenannten Scala Gigs etabliert, in denen Mitbewohner mit interessanten Berufen Vorträge halten – von Astrophysik bis zu ‚Mein buntes Leben bei Tupperware!‘“

Ein soziales Experiment

Auch vor und nach der Pandemie waren die Räume für die Begegnung ein voller Erfolg, so Sandbichler. „Die Gemeinschaftsküche wurde von vielen benutzt, die nach dem Einzug noch keine eigene Küche hatten, manche haben ein ganzes Jahr lang dort gekocht. Es gibt einen Mittagstisch, bei dem sich die, die hier wohnen, und die, die hier arbeiten, begegnen. Der Yoga-Raum ist durchgehend gebucht, es gibt eine Sauna-Runde, die FoodCoop wächst und gedeiht, und im Sommer wird auf der großen Dachterrasse fast täglich gegrillt.“

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Das Wohnen in einer Gruppe ist für Sandbichler, der hier mit Partnerin und Kind eingezogen ist, die absolut richtige Entscheidung – ein soziales Experiment, das bestens funktioniert. „Es ist erstaunlich, wie viel die Leute zu teilen bereit sind. Es gibt auch keine schwelenden Konflikte. Die Fluktuation seit dem Einzug hält sich sehr in Grenzen, insgesamt haben bei sechs von 44 Wohnungen die Mieter gewechselt. Vier davon wurden intern vergeben.“ Die Frage, die sich bei allen Baugruppen stellt, ist: Wie lässt sich die Balance zwischen Gemeinschaft und Privatleben halten? „Sehr gut“, betont Sandbichler.

„Unsere Vision war von Anfang an: maximale Gemeinschaft und maximale Privatheit. Man kann die Gemeinschaftsräume nutzen, aber sich auch zurückziehen.“ Ein Blick in die Wohnung des Architekten: 116 Quadratmeter, sonnendurchflutet an einem Wintermorgen, die Bücher im Wohnzimmer-Regal nach Farben geordnet – „eine spontane Idee während des Lockdowns“, lacht Sandbichler. Mit zwei Eingängen lässt sich die Wohnung später einfach zweiteilen. Wie haben sich die Wohngrundrisse, aufgrund des schiefwinkligen Grundstücks geometrisch komplex, aus Sicht des Planers bewährt?

„Die Standard-Grundrisse haben besser funktioniert als die experimentellen, weil gerade die Mitglieder, die Sonderwünsche hatten, dann gar nicht eingezogen sind. Man muss hier auch die Interessen des Vereins in Bezug auf die Wiedervermietbarkeit stärker gewichten.“

Auch fast vier Jahre nach dem Einzug geht die Gemeinschaftsarbeit am Grünen Markt weiter: „Ich habe gerade ein neues Buchregal im Gemeinschaftsraum montiert, die Re-Use-Konstruktion der Pergolen ist montiert und als nächstes nehmen wir uns die Photovoltaikanlage vor.“

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