Fuß vom Gaspedal

Die Klimaneutralität verlangt dringend nach Lösungen beim Heizen und Kühlen. Dabei gibt es immer größere Schnittmengen zwischen Bauträgern und Energieanbietern.
MAIK NOVOTNY

Die Gleichung, die jahrhundertelang gültig war, wird nicht mehr lange aufgehen: Wer es warm will, muss etwas verbrennen. Denn die Wende ins postfossile Zeitalter gilt fürs Auto ebenso wie für die Wohnung. Wie dies im Prinzip zu bewerkstelligen ist, wissen wir weitgehend. Das Regierungsprogramm 2020–2024 legte fest: Klimaneutralität bis 2040 und Stromverbrauch komplett aus heimischer erneuerbarer Energie bis 2030. Doch um den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, muss man extrem beschleunigen. Laut Statistik Austria betrug 2022 der Anteil von Erdgas, Brennholz und Heizöl am Raumwärmemarkt in Österreich immer noch hohe 56,7 Prozent.

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Die Studie „Wärmezukunft 2040“ des Umweltbundesamts im Auftrag des Bundesministeriums für Klimaschutz (BMK) zeichnet den Weg Richtung Dekarbonisierung für geografisch unterschiedliche Energieraumtypen vor. Für die Stadt ist hier bis zum Schlüsseljahr 2040 bei angenommener Reduktion fossiler Quellen auf null eine Zunahme des Anteils von Wärmepumpen auf 26,9 Prozent und Fernwärme auf 32 Prozent vorgesehen, am dezentralen Land beträgt das Potenzial 17,5 beziehungsweise 2,3 Prozent, dafür müsste österreichweit die Fläche für Photovoltaikanlagen von neun auf 77 Millionen Quadratmeter ausgebaut werden.

Einstieg am Energiemarkt

Das ist sportlich, aber unausweichlich, so die Autor:innen: „Es zeigt sich deutlich, dass mit der Umsetzung der Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und zum Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger sofort und umfassend begonnen werden muss, wenn das Ziel der Dekarbonisierung bis 2040 erreicht werden soll.“

Für die Umstellung nimmt der Staat einiges an Geld in die Hand. Die Dekarbonisierung von Fernwärmesystemen wird durch die Novelle des Umweltförderungsgesetzes bis 2026 mit 372 Millionen Euro gefördert. Der Klima- und Energiefonds verfügt 2024 über ein Budget von 657 Millionen Euro und unterstützt derzeit 121 Klima- und Energie-Modellregionen (KEMs). Für Investitionen in Photovoltaikanlagen stellt der Klima- und Energiefonds zusätzlich 150 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Die Mammutaufgabe der thermischen Sanierung von Wohnhäusern und die Kampagne „Raus aus Öl und Gas“ wird mit 1,935 Milliarden Euro Hilfsmitteln budgetiert. Wie man am Beispiel Deutschland sieht, ist das Thema politisch heiß umstritten, vor allem die Frage, welchen Beitrag die Bewohner:innen selbst zahlen müssen.

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Die BMK-Initiative „Sauber Heizen für Alle“ unterstützt daher einkommenschwache Haushalte in Ein- und Zweifamilienhäusern bei dem Umstieg auf postfossile Heizsysteme mit bis zu 100 Prozent der Kosten. Die Dringlichkeit ist also mehr als deutlich – und viele Beteiligte im Wohnbau haben bereits mit der postfossilen Weichenstellung begonnen. So gründete die Arwag Ende 2023 die 100-prozentige Tochtergesellschaft Arwag Energy für die unabhängige Erzeugung erneuerbarer Energie für die Mieter:innen und Eigentümer:innen. „Daraus sollen sich Energiepreisstabilität sowie optimierte Betriebskostenanteile ergeben, denn gerade die Energiekosten haben in den vergangenen Monaten einen exorbitanten Anstieg erfahren und die Haushalte finanziell übermäßig belastet“, heißt es bei der Arwag.

Finanzielle Vorteile

Die Arwag Energy wird die Errichtung und Organisation von PV-Anlagen und den Betrieb von Anlagen für Heizung, Temperierung und Warmwassererzeugung übernehmen. 75 Prozent der Heizenergie soll aus Umweltenergie stammen, durch den Einsatz von Wärmepumpen sei eine Einsparung von 250 Gramm CO₂ pro kWh zu erwarten. Dies soll sich vor allem für die Bewohner:innen in einem attraktiveren Preis (beim Strom bis zu 15 Cent pro Kilowattstunde) als jenem der Wien Energie und anderer Standardanbieter niederschlagen.

Mit diesem Angebot handfester finanzieller Vorteile will man auch den Weg zu Energiegemeinschaften ebnen, ohne alle Parteien im Haus zur Beteiligung zu verpflichten. Mit diesem Anreizsystem will man vermeiden, sich in mühsame Einzelverhandlungen mit einzelnen Parteien begeben zu müssen – denn das Mietrecht ist schließlich, wie viele Kritiker:innen anmerken, ein erhebliches Hindernis auf dem Weg zur Energiewende.

In der Brockhausengasse in Wien entsteht ein CO₂-neutrales Klima-Pilotprojekt der Gesiba mit Tiefensonden und Photovoltaik.
Fotos: Arwag/Daniel Hawelka, studio ederkrenn, Kelag Energie & Wärme

Neben solchen strukturellen Umwälzungen wie dem Einstieg von Bauträgern in den Energiemarkt werden verstärkt Pilotprojekte umgesetzt, die auf klimagerechte Heizung und Kühlung setzen. In der Wiener Brockhausengasse entsteht beispielsweise eine Wohnhausanlage der Gesiba mit 155 frei finanzierten Wohnungen auf drei Baufeldern (Architekten: Herbert Binder und Atelier Kaitna Smetana, Rudolf Guttmann, studio ederkrenn) als CO₂-neutrales Gebäude. Kein Projekt wie jedes andere, denn dieses hat die Gesiba schon 2021 zur 100-Jahr- Feier als Jubiläumsprojekt auserkoren. Bis zur Fertigstellung 2026 dauert es zwar noch, doch die Wärmeversorgung mit Erdwärme via Tiefensonden und Stromversorgung mit Photovoltaik ist bereits fix, ebenso die thermische Bauteilaktivierung – so ist auch der immer wichtigere Aspekt der Kühlung mit inkludiert.

Nicht nur von Bauträgerseite gibt es eine Annäherung an den Energiemarkt, auch die etablierten Anbieter selbst sind hochaktiv, was die Dringlichkeit der Klimaziele und den schnell wachsenden Bedarf nach grüner Energie betrifft. In der Stadt Villach, die über eines der zehn größten Fernwärmesysteme in Österreich verfügt, setzt die Kelag Energie & Wärme jetzt auf Kapazitätserweiterung. Denn die Nachfrage ist in Villach von 100 Millionen Kilowattstunden im Jahr 2010 auf derzeit rund 250 Millionen gestiegen – dank des Ausbaus der Biomasse-Energiequelle vor Ort können nun 300 Millionen erzeugt werden.

32 Millionen Euro investiert die Kelag Energie & Wärme alleine in den Ausbau des Fernwärmekraftwerks St. Agathen bei Villach.

Heizen mit Bier

„Heute setzen wir die Spaten an, um unsere Infrastruktur weiter auszubauen und um die Zukunft zu gestalten“, so Adolf Melcher, Geschäftsführer der Kelag Energie & Wärme. „Neben dem Bau des dritten Biomassekessels erweitern wir unser Fernwärmenetz in Villach um etwa sieben Kilometer pro Jahr, um neue Kund:innen an das Netz anschließen zu können. Die mit dieser Investition verbundene Kapazitätserweiterung bedeutet zusätzlich 50 Millionen Kilowattstunden Fernwärme aus Biomasse, das entspricht dem Wärmebedarf von rund 10.000 Wohnungen.“

Die Kelag Energie & Wärme ist nicht nur einer der größten Fernwärme- Anbieter Österreichs, man ist auch innovativ bei der Suche nach neuen Quellen. Im gemischt genutzten Brauereiquartier Graz erzeugt man schon seit 2017 Wärme aus der Gärung der Brauerei Puntigam, hier wird die Abwärme des Brauprozesses über einen Wärmetauscher rückgewonnen und mit zwei Wärmepumpen über ein Drei-Leiter- Wärme-Verteilnetz ins Quartier transportiert. Eine Idee, die schon Nachahmer gefunden hat: Das gleichnamige Quartier in Schwechat mit 900 Wohnungen wird von der EVN ebenfalls mit Brauerei-Abwärme beheizt.

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