Erhalten statt abreißen – Installationsschächte in den Erschließungsfluren nutzen

Seit einigen Jahren rücken in Hamburg Debatten um einen nachhaltigen Umgang mit Bestandsbauten sowie deren zeitgemäße Weiternutzung in den Vordergrund. „Erhalten statt abreißen“, plädieren schon längere Zeit zahlreiche Architekten, Forschende und Bauexperten. Während der öffentliche Blick in diesem Zusammenhang häufig auf Gebäuden vergangener Epochen haften bleibt, werden „jüngere“ Bauten aus der Nachkriegszeit, die dieser historischen Ästhetik nicht entsprechen, im Diskurs um den Erhalt nur selten berücksichtigt. Dabei wurden alleine in Hamburg zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren 50% des Hamburger Wohnungsbestands neu errichtet.

Welche Möglichkeiten des Erhalts bieten sich also dafür an?

Grundlage der großräumigen Wohnraumproduktion in der Hansestadt bildete die Charta von Athen. Als räumliche Leitbilder dienten die „gegliederte und aufgelockerte Stadt“ und eine „Organische Stadtbaukunst“. Das Ziel der Stadtplanung bestand demnach aus einer funktionsgetrennten und autogerechten Stadt.

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Den Auftakt zu diesem neuen Stadtverständnis bildeten die Wohnhochhäuser am Grindelberg, die nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen 1946 und 1956 auf der Fläche eines fast komplett zerstörten Grindelviertels errichtet wurden. Auf dem Grundstück war zunächst das „Hamburg project“, der Neubau eines Hauptquartiers der britischen Besatzungsmacht, geplant. Nachdem die Zentrale jedoch nach Frankfurt am Main verlegt wurde, entschied der Hamburger Senat, den Bau der Grindelhochhäuser fortzusetzen. Entworfen wurden die Bauten von der „Gruppe der Grindelberg-Architekten“, bestehend aus Bernhard Hermkes, Rudolf Lodders, Rudolf Jäger, Ferdinand Streb, Fritz Trautwein, Hermann Zess und Albrecht Sander, die während des Zweiten Weltkriegs keine berufliche Nähe zum Nationalsozialismus hatten. Ihre Vorbilder waren Le Corbusier und Ernst May, aber auch Hamburger Architekten, wie Karl Schneider und Gustav Oelsner.

Die Zukunftsvision: Vertikales Wohnen

Diese architektonische Prägung zeichnet sich in der Gestaltung der Bauten ab. Auf dem Grundstück verteilen sich insgesamt 2.122 Wohnungen auf zwölf Hochhaus­scheiben, die mit Nord-Süd-Ausrichtung und großem Abstand in fünf Reihen zueinander versetzt stehen. Kein Haus gleicht dem anderen. So variieren die Bauten in ihrer Geschosszahl (sechs Gebäude sind 13- und 15-geschossig und die weiteren sechs haben neun und zehn Geschosse) sowie in der Fassadengestaltung. Jedes Haus besitzt ein anderes Fensterformat, Loggien wechseln sich mit ebenen Fassadenflächen ab, Erdgeschosse werden zurückversetzt, Obergeschosse kragen aus, geschützte Dachterrassen können in einzelnen Häusern von den Bewohnerinnen und Bewohnern genutzt werden. Ein heller Klinker fasst das Ensemble als verbindendes Element zusammen und ist eine Reminiszenz an die „weiße Moderne“ der Weimarer Republik. Gleichzeitig setzt sich die Steinfarbe von dem sonst dunklen Klinker ab, der bei Bauten aus der Zeit von Fritz Schumacher großräumig in Hamburg verwendet wurde.

Funktionsgetrennt und autogerecht: Zwischen 1946 und 1956 entstanden die Wohnhochhäuser am Grindelberg, mit insgesamt 2.122 Wohnungen auf zwölf Hochhausscheiben. Regelmäßige Grundrisse erleichtern die Planung und Sanierung.

Das neue Verständnis des vertikalen Wohnens bildete sich zudem in einer modernen Ausstattung ab, die eine Tiefgarage, Fahrstühle, Müllschlucker in den Fluren und eigene Badezimmer in den Wohnungen beinhaltete. Im Erdgeschoss fanden die Bewohner unterschiedliche Angebote vor, die von einer Wäscherei über einen klei­nen Supermarkt bis hin zu Cafés und Praxen reichten. Die Grindelhochhäuser standen für die Loslösung von der dichten, dunklen Blockrandbebauung aus den Vorkriegsjahren. „Sonne für jedes Fenster, einmal am Tag“, kommentierte ein Sprecher die Grindelhochhäuser 1960 in der NDR-Nordschau.

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1962 wurden die drei fast baugleichen 15-geschossigen Hochhäuser am Soltauer Ring in Harburg-Wilstorf nach den Plänen von Grindelberg-Architekt Albrecht Sander gebaut.

Der Erfolg der Bauten hielt jedoch nicht lange an. Bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren begann der Verfall der Hochhäuser. Noch während der umfangreichen Mo­dernisierungsmaßnahmen, die von 1995 bis 2006 durchgeführt wurden, stellte die Stadt Hamburg das Ensemble im Jahr 2000 unter Denkmalschutz. Mittlerweile haben die Bauten Kultstatus erreicht und sind aufgrund der Kombination aus zentraler Lage und teilweise günstigen Mieten auf dem Wohnungsmarkt sehr beliebt.

Die Idee einer aufgelockerten Stadt in Form von vertikalem Wohnen führte der Grindelberg-Architekt Albrecht Sander im Hamburger Süden fort: Dort entstanden 1962 am Soltauer Ring in Harburg-Wilstorf drei fast baugleiche 15-geschossige Wohnhochhäuser. Mitte der 1980er-Jahre fand eine umfassende Fassadenneuverkleidung mit Wärmedämmung statt. Um den Bestand schließlich an zeitgemäße Anforderungen anzupassen, wurden zwei der drei Häuser in den vergangenen zwei Jahren im Inneren modernisiert.

Beide Bauten erhielten erneuerte Ver- und Entsorgungsleitungen, renovierte Flure und sanierte Sanitärbereiche innerhalb der Wohnungen. Eine Herausforderung war dabei, die gesamte Maßnahme im bewohnten Zustand der insgesamt 221 Wohnungen durchzuführen.

TECEsystem in den Fluren montiert

Um die baulichen Eingriffe bezüglich der Lärm- und sonstigen Belastungen gering zu halten und gleichzeitig die Bauabläufe zu beschleunigen, wurden die TECEsystem- Installationsschächte in den Erschließungsfluren angebracht. Mit TECE konnte ein bewährter Experte im Bereich der Sanitärprodukte und Installationssysteme gefunden werden. Schließlich blickt das Familienunternehmen auf 30 Jahre Erfahrung mit der Entwicklung vorgefertigter Sanitärwände und -schächte zurück. Durch die Vorfertigung dieser Elemente reduziert sich die Einbauzeit vor Ort, was wiederum zu einfacheren Bauabläufen mit weniger Personal führt.

Der Blick in einen Flur des Hochhauses am Soltauer Ring zeigt, wie platzsparend sich die vorgefertigten Register von TECEsystem an die Außenwände der Wohnungen anfügen.

Mit dem Anbringen der neuen Installationsschächte außerhalb der Wohnungen konnte gewährleistet werden, dass die Bewohner lediglich während der letzten Schritte der Sanierungsmaßnahme in ihrer Etage kurzzeitig direkt von den Bauarbeiten betroffen waren. Um die neuen Versorgungsleitungen anlegen zu können, fanden in den Fluren zunächst Kernbohrungen statt.

Im nächsten Schritt wurden die vorgefertigten Schächte in den Fluren aufgebaut. Das System wurde vorab so konzi­piert, dass die Schachtelemente in zwei Teilen geliefert und damit in den Aufzügen in die jeweiligen Etagen transportiert werden konnten. Nach dem Aufbau wurden die Versorgungsleitungen geschossweise miteinander verbunden.

Im Anschluss daran fand innerhalb der Wohnungen die Sanierung der Bäder und der Anschluss der Leitungen an die neuen Schächte statt. Danach wurden die Versorgungsschächte beplankt und nach ihrer Fertigstellung für den Brand- und Schallschutz mit einer mineralischen Einblasdämmung verfüllt.

Vorfertigung vereinfacht Sanierung

Die Vorfertigung von Bauteilen, wie sie TECE für den Sanitärbereich herstellt, vereinfacht komplexe Baumaßnahmen wie etwa die Sanierung von Gebäuden. Das TECEsystem ermöglicht weitreichende Eingriffe, die sich trotz ihres Umfangs nur kurzzeitig auf die Wohnsi­tuation der Bewohnerinnen und Bewohner auswirken. Damit kann die Ertüchtigung eine wesentliche Rolle beim Erhalt von Bestandsbauten spielen, doch müssen darüber hinaus weitere Faktoren auf architektonischer Ebene berücksichtigt werden. Schließlich hat sich unser Wohnverhalten in den vergangenen Jahrzehnten diversifiziert, sodass alternative Lebensformen neue Anforderungen an Wohnraum stellen.

Die Versorgungsschächte wurden beplankt und nach ihrer Fertigstellung für den Brand- und Schallschutz mit einer mineralischen Einblasdämmung verfüllt.

Doch wie lässt sich nun der baukulturelle Wert von Wohnbauten aus den 1950er- bis 1970er-Jahren hervorheben? Die Stadt Hamburg hat die Potenziale bereits erkannt und für die Möglichkeiten des Erhalts und Weiterbauens 2019 das Konzeptfindungsverfahren „Wohnen und was noch?“ ausgelobt. Darin sollten Architektinnen und Architekten eine städtebauliche und architektoni­sche Weiterentwicklung für 14 genossenschaftliche Siedlungen vorschlagen. Um den Diskurs voranzutreiben und eine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu erzeugen, wurden die Ergebnisse des Verfahrens 2020 im zusätzlichen Teil der Ausstellung „Together! Die neue Architektur der Gemeinschaft“ im Museum für Kunst und Gewerbe präsentiert.

Dass sich der Erhalt auf den baukulturellen Wert der Gebäude auswirkt, zeigt das Beispiel der Grindelhochhäuser: von der Bausünde zum Kultobjekt.

Maja Mijatovic

Fotos: Felix Man/Getty Images; Ernst Scheel, Petra Vorreiter; Ursula Becker-Mosach (Hamburgisches Architekturarchiv); Fotograf unbekannt (Hamburgisches Architekturarchiv)

Forum Leitungswasser erscheint in Kooperation mit der Initiative Schadenprävention und  der AVW Gruppe

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