Erfolge ohne Helden

Am 19. November hat die Schlusspräsentation der IBA_Wien 2022 Neues Soziales Wohnen ihre Pforten geschlossen. Die Nordwestbahnhalle wird anderen Nutzungen zugeführt, die Arbeit des hoch engagierten IBA-Teams endet im Dezember. Die vielen Projekte in der Stadt aber bleiben, wachsen, manche werden überhaupt erst noch bebaut. Ist so kurz nach Torschluss schon Zeit für eine Bilanz?

Ja, denn diese liegt bereits vor. Von der TU Wien wurde seit September 2021 eine Resonanzstudie erarbeitet, deren Ergebnisse im Oktober dieses Jahres auf stattlichen 138 Seiten mit dem vorausschauenden Titel „Was lernen wir morgen?“ veröffentlicht wurden. Insgesamt 55 Personen wurden dafür über ihre Einschätzung der IBA befragt und lieferten detailliertes Lob und Kritik. Im März 2022 wurden weitere Hintergrundgespräche mit Favoritens Bezirksvorsteher Marcus Franz, dem Initiator der IBA_Wien Wolfgang Förster, IBA-Koordinator Kurt Hofstetter sowie Frauen- und Wohnbau- Stadträtin und IBA-Präsidentin Kathrin Gaál geführt. Ein abschließender Workshop im Mai 2022 diskutierte vertiefend die Schwerpunkte und Ergebnisse.

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Schon zu Beginn konstatieren die Autoren der Studie, Rudolf Scheuvens und Andreas Bernögger, die „unvermeidliche Unübersichtlichkeit und Umfänglichkeit des Vorhabens IBA_Wien“ von den ersten Gedanken 2012 bis zum Ausrufen 2016 und der Schlusspräsentation 2022, die aus der Vielfalt von Projekten, Themen, Personen und Formaten resultiert. Eine abschließende Analyse könne die Studie noch nicht liefern, da viele Effekte der IBA erst viel später eintreten.

Lehrreiche Resonanz

Wohl aber lieferten die vielen Gespräche eine sehr lehrreiche Resonanz. An der Entstehung der IBA gab es sowohl Kritik an der unzureichenden oder kurzen Vorbereitung, dem Mangel an Experimenten und der geringen Ausstattung der Organisation, aber auch viel Lob für den Ansatz, die Stärken des „Wiener Modells“ in Zeiten neoliberaler Gegenmodelle zu stärken und an die Bevölkerung zu vermitteln. Auch die Themensetzung „Neues soziales Wohnen“ stieß rückblickend auf positive Resonanz. Die Arbeitsweise des Teams wurde fast unisono gewürdigt, vor allem in puncto Themen- und Prozessverständnis und kommunikativem Talent.

Inhaltlich war man sich weitgehend einig, dass die Inhalte und Projekte der IBA nicht auf einen kleinen Nenner zu bringen sind, das angesichts der internen Vielfalt des Wiener Wohnbaus aber auch nicht müssen. Einer der wesentlichen Schwerpunkte und Verdienste, so die Studie, ist die Arbeit auf der Quartiersebene, und Quartiere wie etwa „Am Seebogen“, Berresgasse, An der Schanze, Neu Leopoldau, Wolfganggasse und Biotope City sowie die Quartiershäuser Sonnwendviertel wurden ebenso lobend herausgestellt wie das Bestandsquartier Per-Albin-Hansson- Siedlung.

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Was also hat die IBA in den sechs Jahren ihres Bestehens erreicht? „In den Augen der Interviewten war die IBA_Wien ein wertvoller Prozess, der aber nicht die Erwartungen an das Format IBA erfüllt hat“, so die Autoren. „Dies wäre mit einem experimentelleren Vorgehen, einer eigenständigeren Arbeitsweise und dem Aufzeigen grundlegend neuartiger Zugänge verbunden gewesen und hätte bereits in der strategischen Ausrichtung der IBA_ Wien angelegt werden müssen. Seinen konkreten Aufträgen ist das IBA-Team aber über seine Möglichkeiten hinaus gerecht geworden. Das IBA-Label war dabei hilfreich, weil es intern und international Aufmerksamkeit erzeugte und ein nützliches Instrumentarium mit sich brachte.“

Quartiere sind die Stars

Auch Uli Hellweg, Leiter der IBA Hamburg 2013, die als Impulsgeber des Wiener Formats diente, resümiert in einem Gastbeitrag, die IBA_Wien habe trotz wenig Zeit, Kaltstart und den organisatorischen Schwierigkeiten durch die Corona-Pandemie ihren Auftrag zu einem anspruchsvollen kuratorischen Konzept mit einem ausgeprägten wissenschaftlichen und fachlichen Diskurs weiterentwickelt.

Viel Arbeit hinter den Kulissen also, viel Optimierung von Prozessen, dafür keine Bau-Ausstellung im Sinne der ersten IBA in Deutschland. Eine Entwicklung, die auch andere Städte mit diesem Format konstatieren. Die IBA des 21. Jahrhunderts sind, wie es IBA-Heidelberg-Leiter Michael Braum auf den Punkt bringt, „post-heroisch“. Auch IBA-Koordinator Kurt Hofstetter sieht genau hier den großen Vorteil.

„Es ging uns immer mehr um den Prozess als um einzelne Leuchtturmprojekte.“ Eine wesentliche systemische Erkenntnis in diesem Zusammenhang der Kooperation ohne Einzel-Helden: Prozesse muss man nicht verstehen, man muss sie aber zulassen. „Wir haben auch immer darauf hingearbeitet, dass die IBA ihre Erfolge an andere abgibt, denn so bleiben sie über die Dauer der Ausstellung hinaus am Leben. Es bringt wenig, wenn sich später ein kleiner Kreis dieselben Geschichten erzählt, ohne dass die angestoßenen Entwicklungen wirklich Wurzeln schlagen.“ In Wien, so Hofstetter, sind nicht einzelne Personen, sondern die Quartiere die Stars. „Aber man muss hingehen, mit den Leuten reden, die Qualitäten spüren.“

Oder, in einem Satz des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig, den Hofstetter in der Resonanzstudie zitiert: „Wenn wir uns weiterentwickeln wollen, müssen wir uns der Traditionen besinnen im Sinne der Haltung, nicht der Methoden. Also die Haltung bewahren und die Methoden anpassen…

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