Die grüne Kurskorrektur

Garteln auf dem Dach, berankte Fassaden, unversiegelte Höfe. Das Grün im Wohnbau ist heute viel mehr als Dekoration, sondern Grundzubehör der Klimawende.
MAIK NOVOTNY

Im April 2022 kam es in der Seestadt Aspern zur Korrektur eines Fehlers. Der Wangari-Maathai-Platz und der Simone- de-Beauvoir-Platz im Seeparkquartier hatten sich schon nach kurzer Zeit mit ihren durchgehenden Asphaltflächen als urbane Hitzeinseln erwiesen, was in zahlreichen Medien und auf Social Media für Empörung sorgte. In der Tat hat der Wettbewerb für die Freiraumplanung zu einem Zeitpunkt stattgefunden, zu dem man zwar schon vom Problem sommerlicher Überhitzung wusste, die akute Notwendigkeit – auch im Rahmen der Klimaziele – aber noch nicht allgemeiner Konsens war. Dies hat sich geändert.

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Gut, dass die Seestadt sich bisher als lebendiges Labor ständigen Dazulernens erweisen hat, und auch hier Abhilfe geschaffen wurde. Der noch neue Asphalt wurde wieder aufgesägt, und im April begann man mit der Pflanzung von insgesamt 25 „XXL-Bäumen“, die über 30 Jahre alt sind und somit um ein Vielfaches besser kühlen und resilienter sind als kleine Jungbäume. Dazu kommen noch 1.000 Quadratmeter neue Stauden- und Gräserbeete, ein großes Wasserspiel und 13 weitere Wasserquellen.

Die Kosten von 800.000 € teilen sich die Wien 3420 aspern Development AG mit Stadt und Bezirk, dessen Mitteln großteils aus Förderungen des Klimamusterstadttopfes der Stadt Wien stammen. „Mir ist wichtig, dass unsere Stadt für alle lebenswert bleibt, auch wenn es heißer wird. Daher setzen wir gezielt Maßnahmen, um Hitzeinseln in der Stadt zu entschärfen. Große Bäume und Wasserspiele haben einen kühlenden Effekt auf die unmittelbare Umgebung, was gerade für Kinder und ältere Menschen wichtig ist.

Damit machen wir den öffentlichen Raum klimagerechter und für alle nutzbar“, so Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky. Dass das Grün gerade in der dicht bebauten Stadt jetzt und in Zukunft mehr als reine Dekoration sein muss, ist inzwischen allen klar geworden. Der Hitzestress, in den normal gewordenen 30-Grad-Sommern, ist eine ernsthafte Gesundheitsgefahr, und rein technische Methoden zur Kühlung konterkarieren als Energiefresser die Ziele der Klimaneutralität, die sich Österreich und Wien gesetzt haben.

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Klimafit als Standard

Auf der anderen Seite des Sees in Aspern, wo in diesem Frühjahr die Wettbewerbe für die „Rote Saite“ des kommenden vierten Seestadt-Quartiers mit dem Namen Seeterrassen entschieden wurden, sind diese Erkenntnisse bereits in die Planung eingeflossen. Die Sieger des Bieterverfahrens der Wien 3420 aspern Development AG für die beiden Baufelder H1 und H5 an der „aspern urban Waterfront“ wurden im Mai 2022 präsentiert. Diese Baufelder werden zu 75 Prozent freifinanziertes Wohnen und 25 Prozent gewerbliche und sonstige Nicht-Wohnnutzungen aufweisen.

Die beiden Bauträger Soulier Real Estate („Pier 01 – Lili am See“) und Moser Wohnbau & Immobilien („Pier 05“) werden hier zwei Hochhausprojekte zum Wohnen und Arbeiten mit insgesamt rund 63.700 Quadratmeter oberirdischer Bruttogeschoßfläche realisieren. Dafür wurde erstmals der neue Gebäudestandard der Seestadt, aspern klimafit, angewandt.

Dieser Standard wurde in einem Team unter Führung von FH Technikum Wien, dem Institute of Building Research & Innovation ZT Gmbh und Urban Innovation Vienna entwickelt und umfasst die Kernaspekte niedrigstmöglicher Energieverbrauch, maximale Nutzung erneuerbarer Energieträger vor Ort aus Solarenergie und Umgebungswärme, gezielte Vermeidung sommerlicher Überwärmung durch Fassadengestaltung und Bauteilaktivierung, sowie CO2-reduzierte Gebäudeerrichtung durch kreislaufwirtschaftliche Konzepte.

Neu im Spiel: Der GFF

Als Grundlage für die Ausschreibung diente insbesondere das mit Studio- VlayStreeruwitz und Carla Lo Landschaftsarchitektur entwickelte und 2021 finalisierte Leitbild „Seeterrassen“, das unter anderem auf umfangreichen Mikroklimamessungen und -simulationen der ClimateTech-Experten Greenpass beruht. Damit soll die Umsetzung der klimasensiblen und klimaresilienten Stadtplanung sichergestellt werden. Zusätzlich wurde im Leitbild ein neuer Richtwert eingeführt: Der Grün- und Freiflächenfaktor (GFF) setzt die urbane grüne Infrastruktur (UGI) wie Rasen, Sträucher oder Fassadenbegrünungen in Relation zu Grundstücksfläche und Baumasse.

Je höher der GFF-Wert, desto höher ist der Anteil der Freiflächen und der Durchgrünungsgrad. Der GFF setzt sich aus drei Teilen zusammen: Erdgeschoßniveau, Fassaden- und Dachflächen. Im Quartier Seeterrassen wurde für die hoch und dicht bebauten Baufelder H1 und H5 ein GFF von 0,3 festgelegt, für die übrigen Baufelder ein GFF von 0,45…

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