Bunter Rahmen, grüner Hof

1.000 Menschen wohnen seit vier Jahren im Kapellenhof, der nicht zufällig an die Gemeindebauten des Roten Wien erinnert. Ein Lokalaugenschein in Transdanubien bei einem Reconstructing-Projekt
MAIK NOVOTNY

Der wärmste September aller Zeiten schickt Sonnenlicht in den weiten, grünen Innenhof. Zwar ist hier in den vier Jahren seit der Bepflanzung noch kein Stadtwald herangewachsen, doch die Laub- und Nadelbäume sind auf dem besten Weg dazu. An vier Seiten ist das grüne Karree gerahmt durch eine Wand aus Balkonen, die dank Höhenversätzen und Knicken nicht monoton und einengend wirkt; die Farbgebung aus creme, rot und rosa ergänzt die Freundlichkeit. Fassadenfarben, die nicht zufällig an jene der Gemeindebauten des Roten Wien erinnern.

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Rund 1.000 Menschen wohnen seit vier Jahren hier im Kapellenhof in Wien-Donaustadt. Der Kapellenhof entstand auf dem Gelände des ehemaligen Schwestern-Wohnheims beim „Donauspital“. 451 Wohnungen sind auf vier Stiegen und bis zu acht Geschoßen verteilt, darunter 300 geförderte Mietwohnungen und 151 Smartwohnungen mit Superförderung. Im Jahr 2016 war der Bauträgerwettbewerb für das Areal des ehemaligen Schwesternheims des Donauspitals im Rahmen der Wohnbauoffensive ausgeschrieben worden, mit der Verpflichtung zur Wettbewerbsgemeinschaft.

Diese fand sich in den Bauträgern Migra, Neues Leben und Wogem sowie den Architekturbüros AllesWirdGut und feld72 sowie die Landschaftsarchitektin Carla Lo. Dabei kümmern sich Migra und Neues Leben um jeweils 45 Prozent der Wohnungen, die Wogem um die restlichen zehn Prozent sowie die Allgemeinflächen. Sie alle begleiteten den Praxis- Check der Wohnenplus Akademie, und es sah sehr danach aus, als sei es eine für alle Beteiligten erfreuliche Teamarbeit geworden.

Wohnhausanlage Kapellenhof mit Licht, Luft und Sonne und einem großen Freiraum. Das großzügige Areal eines Schwestern-Wohnheimes beim „Donauspital“ hat die Stadt Wien den drei Bauträgern für dieses Reconstructing-Projekt im Baurecht überlassen, die seither als Miteigentümer kooperieren.

„Auf Bauträger-Ebene hatten wir uns schnell gefunden“, erinnert sich Migra-Geschäftsführer Alfred Petritz. „Nach dem Kick-off in großer Runde mit den Architekten und Konsulenten ging es dann sehr rasch voran.“ Fast wehmütig blickt man aus heutiger Sicht auf die schnelle Abwicklung von Planung und Bau zurück: Einreichung Februar 2017, Baubewilligung September 2017, Bau von November 2017 bis November 2019.

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Bewohner-Individualismus

Was beim Spaziergang durch Hof und Stiegenhäuser sofort auffällt, ist: Keine Spuren von Vandalismus, alles ist gut gepflegt. Ein besonders buntes Bild zeigt sich beim Blick nach oben: Die Metallgeländer der Balkone wurden von den Bewohnern mit individuellen Sichtschutz-Taktiken ausgefüllt – alles, was der Baumarkt hergibt, wurde hier verwendet, Katzenschutzgitter inklusive. Hier und da rankt und blüht es gärtnerisch, dass es eine Freude ist. Architekt Friedrich Passler, Gründer und Partner von AllesWirdGut, hat mit diesem Individualismus kein Problem: „Im Gegenteil, dadurch lebt das Haus. Das hält die Architektur schon aus.“

Ähnlich abwechslungsreich wurden die Eigengärten im Erdgeschoß ausgestaltet: Spielgeräte, Rankgerüste, Sitzmöbel, Sonnenschirm, Trampolin, Geräteschuppen, und auch hier essenziell: Was beim Spaziergang durch Hof und Stiegenhäuser sofort auffällt, ist: Keine Spuren von Vandalismus, alles ist gut gepflegt. Ein besonders buntes Bild zeigt sich beim Blick nach oben: Die Metallgeländer der Balkone wurden von den Bewohnern mit individuellen Sichtschutz-Taktiken ausgefüllt – alles, was der Baumarkt hergibt, wurde hier verwendet, Katzenschutzgitter inklusive. Hier und da rankt und blüht es gärtnerisch, dass es eine Freude ist. Architekt Friedrich Passler, Gründer und Partner von AllesWirdGut, hat mit diesem Individualismus kein Problem: „Im Gegenteil, dadurch lebt das Haus. Das hält die Architektur schon aus.“

Ähnlich abwechslungsreich wurden die Eigengärten im Erdgeschoß ausgestaltet: Spielgeräte, Rankgerüste, Sitzmöbel, Sonnenschirm, Trampolin, Geräteschuppen, und auch hier essenziell: der Sichtschutz. „Wir haben den hofseitig vorgelagerten Eigengärten etwas Privatheit ermöglicht, daher liegen sie 50 Zentimeter höher als die öffentliche Grünfläche“, erklärt Passler. „Im Nachhinein würde ich sagen, man braucht mindestens 80 Zentimeter, damit es gut funktioniert. Anfangs, als der Bewuchs noch niedrig war, haben sich die Bewohner schon wie auf dem Präsentierteller gefühlt.“

Inzwischen ist das Grün angewachsen und der Gartenhof wirkt alleine aufgrund seiner enormen Dimension geradezu luxuriös – erst recht, wenn man die oft in kleinste Teile portionierten Freiflächen anderer hochverdichteter Wiener Wohnbauten kennt. Hier sollte ein selbstbewusstes Stück Stadt im transdanubischen Durcheinander entstehen, eine Art Mega- Blockrandbebauung mit freundlichem Gesicht und Anleihen an die Wohnhöfe des Roten Wiens. Dieser Plan ist ganz offensichtlich aufgegangen. Auch wenn man im Rückblick gerne etwas mehr Budget für die Freiraumplanung locker gemacht hätte, wie Neues-Leben- Geschäftsführer Siegfried Igler einräumt.

Stadtwald und Spielskulptur

Landschaftsarchitektin Carla Lo ist dennoch zufrieden. „Das Team wollte damals den Wettbewerb unbedingt gewinnen, weil wir wussten, dass wir ein richtig gutes Konzept hatten.“ Für den Hof war dies die Idee eines Stadtwalds mit einem Dach aus Baumkronen, der auch die Eigengärten im Erdgeschoß vor Blicken von oben schützt. Etwa 100 Bäume wachsen langsam zu Waldgröße heran, davon ein Viertel großkronig, und auch die sonst im Wiener Wohnbau eher ungewöhnlichen Kiefern kamen zum Einsatz und schaffen eine fast mediterrane Atmosphäre. Komplett geändert wurde im Zuge der Ausführung das Spielplatzkonzept.

Dieses hatte einen großen Spielplatz vorgesehen, aus dem dann eine dezente Spielskulptur aus Holz und kleinere Sandkisten bei den Stiegenhäusern wurde. „Das ist uns ein bisschen schwergefallen“, sagt Carla Lo. Woran nicht gespart wurde, ist die automatische Bewässerungsanlage – „das ist gerade in den heißen Sommern ein großes Plus für die Hausverwaltung“, sagt Philipp Seifert von der Wogem.

Vom Freiraum in den Innenraum: Mehrere Gemeinschaftsräume sind im Kapellenhof im Erdgeschoß direkt an den Stiegenhäusern angeordnet, sie alle sind bereits wohnlich möbliert und werden ganz offensichtlich intensiv genutzt. Daran dürfte auch das Besiedlungsmanagement seinen Anteil haben. Soziologin Sonja Gruber war bereits im Bauträgerwettbewerb mit im Team, nach der Schlüsselübergabe wurde zweieinhalb Jahre lang an der neuen Nachbarschaft gearbeitet: Kennenlerntreffen, Initiativgruppen, Workshops zur Nutzung der Frei- und Gemeinschaftsräume, ein Kapellenhoffest. „Das hat sehr gut funktioniert, weil wir hier eine sehr engagierte Hausverwalterin haben, die sich um alles kümmert“, sagt Sonja Gruber.

Auf Erkundungstour: Der WohnenPlus-Akademie-Praxis-Check mit Vertretern der Bauträger und Planer im September.

„Für uns war bemerkenswert, dass zu Beginn etwa die Hälfte der 451 Wohnungen Einpersonenhaushalte waren und es kaum Ältere und fast keine Kinder gab. 60 Prozent der Bewohner gehörten zur Altersgruppe 21 bis 40.“ Seitdem hat sich zumindest eines an dieser Demografie geändert: Heute wohnen sehr viele Kinder im Kapellenhof, was nicht nur die Spielräume belebt, sondern auch die Nachbarschaft fördert, weil junge Eltern hier besonders aktiv sind.

Gute Gemeinschaft

Ganz demokratisch wurde die Nutzung der Gemeinschaftsräume mit den Bewohnern entwickelt, die mittels Fragebogen ihre Präferenzen angeben konnten. Sport und Fitness standen hier ganz oben, während an einer Werkstatt kaum Interesse bestand. Besonders multifunktional wird heute die Bibliothek genutzt, berichtet Sonja Gruber: Lernen für die Schule, Deutschkurse, Fotoshootings, und Kinder-Geburtstagspartys, für die der Kinderspielraum nicht geeignet ist. „Die Bauträger hatten am Anfang etwas Sorgen, dass es aufgrund der Größe der Wohnanlage hier zu anonym werden könnte, aber das hat sich nicht bewahrheitet“, sagt Sonja Gruber, „Hier kennt jeder jeden.“ Auch die größere Freifläche im Norden, „Kapellenhofplatz“ getauft, hat sich bewährt für etwas lautere Aktivitäten, da sie außerhalb des Innenhofs liegt. Die Jugendlichen aus der Nachbarschaft haben zu Beginn die neue Anlage auch sofort inspiziert und offensichtlich für gut befunden, denn es gab keine Konflikte.

Sichtschutz-Symphonie: Die Balkongeländer bieten ein abwechslungsreiches Bild.

Nicht nur für die Gemeinschaftsräume, auch für die Finanzierung der Wohnungen gab es eine Wahlmöglichkeit. Hier wurden drei Optionen mit gestaffeltem Finanzierungsbeitrag und dementsprechender Bruttomiete zwischen 6,85 und 7,48 Euro angeboten. Mit überraschendem Ergebnis, wie Alfred Petritz berichtet: 70 Prozent der Bewohner wählten die Variante mit dem höchsten Finanzierungsbeitrag und der niedrigsten Miete. Ein besonderes Angebot im Mix: Die sechs möblierten Starterwohnungen, die im Dachgeschoß mit Blick nach Süden sozusagen eine Premium Location in der Anlage bekamen.

Ein kleiner Wermutstropfen für die Architekten musste beim Praxis- Check zur Sprache kommen: Das ausgetüftelte Konzept für die Putzfassade sah eine horizontale Schichtung vor, um der Baumasse die Wuchtigkeit zu nehmen. Einiges davon – etwa das ausformulierte Sockelgeschoß mit seinen Arkaden – wurde umgesetzt, nicht jedoch die geplanten Profile mit Schattenfugen, die in der Verhandlung nach der Ausschreibung auf der Strecke blieben. „Das war der einzige Moment des Blindflugs, in dem man etwas hätte verbessern können, wenn die Architekten bei der Entscheidung dabei gewesen wären“, sagt Michael Obrist von feld72 Architekten. „Dann hätte man das von der Baufirma einfordern können.“

Individueller Freiraum: Die Bewohner im Kapellenhof haben sich ihre Balkone vielfältig angeeignet.

Einig waren sich alle Beteiligten wiederum bei der Beurteilung der Strukturwidmung, die dem Wettbewerb zugrunde lag. Anders als im Regelfall, wo beim Umfang des maximalen Bauvolumens nur sehr wenig Spielraum bleibt, war hier viel mehr entwerferische Freiheit möglich, der letztendlich die geradezu lockere Großzügigkeit der Gesamtanlage zu verdanken ist.

„Es hat Spaß gemacht, die Anordnung und Kubatur am Anfang mit den Bauträgern gemeinsam auszuarbeiten, ohne den Zwang, alles bis zum letzten Quadratmeter ausschlachten zu müssen“, sagt Friedrich Passler, und Siegfried Igler stimmt zu: „Für dieses Projekt war es ein echter Vorteil. Es macht mehr Spaß, weil nicht alle Fluchtlinien und jede Garageneinfahrt vorgegeben sind. Es kommen tolle Ideen von den Architekten, und die Besprechungen dauern auch viel länger als sonst!“ So scheint am Ende nicht nur die meteorologische, sondern auch die atmosphärisch- zwischenmenschliche Sonne harmonisch über dem Kapellenhof.

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