Balkon, Badewanne und das neue Biedermeier

Die Jugend von heute hat es schwerer, Zugang zu leistbaren Wohnungen zu finden, als die Elterngeneration. Zugleich sind die Ansprüche an die erste eigene Wohnung ebenso hoch wie das Bedürfnis nach Sicherheit und traditionellen Werten. Steht nach der Landflucht die Stadtflucht bevor? Oder locken die neuen, gut ausgestatteten Studentenheime die Landjugend doch noch in die Großstadt?
FRANZISKA LEEB

Willst du dich modern einrichten, so überlege, auf welche Mindestzahl an Möbeln du deine Ansprüche bringen kannst.“ Als die Architekten Franz Kaym und Alfons Hetmanek 1933 einen Entwurf für ein (unrealisiert gebliebenes) „Ledigenhaus“ vorstellten und gleich Ratschläge für die Einrichtung desselben mitlieferten, war der Typus der Kleinwohnung für junge Menschen ein Novum. Die Zeitschrift Profil der Zentralvereinigung der Architekten widmete damals dem Thema unter dem Titel „Der Junggeselle“ (Wohnungen für junge Damen kamen sehr wohl auch vor) eine ganze Ausgabe.

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In der Zwischenzeit ist „Junges Wohnen“ in den Wohnbauförderungs-Programmen aller Bundesländer berücksichtigt. Dazu kommen unterschiedliche Formen an Heimen und Wohngemeinschaftsmodelle. Egal, ob gefördertes „Junges Visualisierung: Bokeh Design Studio, Pläne: Gerner Gerner plus Wohnen“ oder freifinanzierte Kleinwohnungen – das Segment erlebt einen veritablen Boom. Wie die Jungen ticken, interessiert daher nicht nur öffentliche Institutionen, sondern auch einzelne Bauträger. Die WET-Gruppe ließ 2019 die Wohnbedürfnisse der niederösterreichischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter von 16 bis 30 Jahren erheben.

Ihre Eltern wohnen überwiegend in Eigenheimen oder Eigentumswohnungen – ein Ideal, das die Jungen ebenso anstreben, obwohl sie zu 82 Prozent der Meinung sind, dass eine eigene Wohnung oder ein Haus zu kaufen, zusehends schwieriger wird. Doch trotz dieser pessimistisch- realistischen Einschätzungen sind die Ansprüche der jungen Niederösterreicher durchaus gehoben: Rund 80 Quadratmeter sollte die perfekte Wohnung haben, ein eigener Balkon oder Garten steht auf der Wunschliste ebenso ganz oben wie die gute Lage, die abgesehen von einer guten Verkehrsanbindung ruhig, sicher und naturnah sein soll.

Interessant ist, dass in einer Zeit, wo in manchen mitteleuropäischen Großstädten das Genossenschaftswesen eine Renaissance erlebt, für die wenigsten der befragten jungen Leute eine Genossenschaftswohnung eine erstrebenswerte Option ist. Das läge laut Studie daran, dass viele mit dem Begriff Genossenschaft negative Assoziationen verbinden und ein Informationsdefizit über das Genossenschaftswesen herrsche.

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Großstadtnähe gefragt

Während die ganz Jungen noch eher zum Leben in oder nahe einer Großstadt tendieren, steigt mit zunehmendem Alter der Wunsch nach dem Leben in kleineren Gemeinden, wobei Jugendliche aus höheren Bildungsschichten deutlich mehr Interesse daran zeigen, in einem urbanen Umfeld zu wohnen als solche mit niedriger und mittlerer Bildung. Studienautor Bernhard Heinzelmaier beobachtet diese Trendumkehr von der Land- zur Stadtflucht auch in Wien, und auch deutsche Studien würden das gleiche Bild zeichnen: „Durch Corona ist das Bedürfnis nach Halt im Leben explodiert, traditionelle Werte haben einen Aufschwung erlebt und in Bezug auf das Wohnen stellen sich Fragen, die sich vorher nicht gestellt haben“, so der Jugendforscher.

„Regrounding“ nennt man diese Tendenz zu einem neuen Biedermeier, der sich allerdings schon vor der Pandemie abgezeichnet habe. Die Hoffnung ländlicher Gemeinden, durch ein entsprechendes Wohnangebot einerseits die junge Bevölkerung im Ort zu halten, aber auch neue Bewohner zu gewinnen, scheint dadurch genährt zu werden. Bei schrumpfender Bevölkerungszahl einfach draufloszubauen, davon rät Isabella Stickler, Vorständin der St. Pöltner Siedlungsgenossenschaft Alpenland ab. Es sei wichtig, den Bedarf richtig einzuschätzen und die Erwartungen an Zuzügler nicht hoch zu schrauben.

In der Regel entstünden aber gerade beim „Jungen Wohnen“ gute Nachbarschaften, weil es weniger Konfliktpotenzial böte als Mehrgenerationenwohnen und sich die Jungen über Social Media vernetzen und gut kennen. Die von der Alpenland-Tochter Terra errichtete Anlage in Gerersdorf wird daher nun ganz oben im Stiegenhaus mit einer Lounge nachgerüstet, um der Hausgemeinschaft den Austausch außerhalb der virtuellen Welten zu erleichtern. Gemeinschaftsräume sind in dieser Förderschiene nämlich nicht vorgesehen, dafür müsse bauordnungsgemäß ein Spielplatz errichtet werden, der eher nicht gebraucht wird.

Kosten und zudem einen hohen Grad an Versiegelung verursachen auch die Pkw-Stellplätze. Viele Gemeinden bestünden auf zwei pro Wohnung, obwohl man mit einem erfahrungsgemäß gut durchkäme. Hier sei weitaus mehr Flexibilität gefragt, damit die Bewohner auch Freude daran haben. Die Ansprüche der jungen Kunden an die Wohnungsausstattung sind hoch, kann Stickler bestätigen. Dennoch gibt es beim Jungen Wohnen „nur“ Duschen und keine Badewannen.

„Da sehen wir lieber Arbeitsnischen vor, das ist von der Wertigkeit her besser gelagert.“ Seit 2013 gibt es in Niederösterreich das Angebot „Junges Wohnen“, mit Ende Juni 2021 waren 1.327 Wohneinheiten bezogen, rund 900 sind in Bau. Die Wohnungen dürfen nicht größer als 60 Quadratmeter sein, ausschließlich in Miete vergeben werden, der einmalige Finanzierungsbeitrag darf 4.000 Euro nicht überschreiten und die Bewohner bei Anmietung das 35. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.

Ökonomisch und pragmatisch

Im Burgenland, wo es die Förderaktion „Junges Wohnen“ seit 2015 gibt, wird der Gürtel enger geschnallt. Hier sind maximal 55 Quadratmeter plus Abstellraum vorgesehen. Zudem sind die Wohnungen mit Küchen ausgestattet. Statt eines Finanzierungsbeitrages wird eine Kaution verlangt, die Nettomiete ohne Betriebskosten beträgt rund fünf Euro…

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