Attraktive Alternative

Der Abbruch und die Neuerrichtung von Wohngebäuden ist in vielen Fällen technisch und wirtschaftlich sinnvoller als eine umfassende Sanierung. Noch sind aber Fragen offen – sowohl was die Finanzierung betrifft als auch die Rechtssicherheit.
BERND AFFENZELLER

Die gemeinnützigen Bauvereinigungen in Österreich verfügen über rund 700.000 Mietwohnungen. Berücksichtigt man neben dem Bestand aus der Zeit vor 1945 auch Gebäude aus den 1950er- bis in die frühen 1970er- Jahre, so kann man davon ausgehen, dass man sich in den nächsten zehn bis 20 Jahren bei rund einem Drittel des Wohnungsbestands zwischen Reconstructing oder umfassender Sanierung entscheiden muss. Ein gelungenes Reconstructing-Beispiel, ohne mehr Boden als zuvor zu versiegeln, ist die Generalsanierung der Wohngebäude der Alpenländischen in Laterns aus den 70er-Jahren, die nun mit 962 von 1.000 möglichen Punkten mit dem klimaaktiv Gold Standard ausgezeichnet wurde. Rein wirtschaftlich betrachtet, muss die Antwort in vielen Fällen Reconstruction lauten.

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Beim Reconstruction-Projekt Wimhölzel-Hinterland der GWG in Linz wurde für die betroffenen Mieter ein Sozialplan erstellt und sämtliche Umzugsarbeiten organisiert und übernommen. Visualisierung: Transparadiso

Walter Hüttler, WH consulting engineers Ingenieurbüro für Energie- und Umwelttechnik, hat in der Studie „Reconstructing in der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft“ mehrere Reconstruction-Projekte aus verschiedenen Bundesländern untersucht. Fazit: Der Abbruch und die Neuerrichtung von Wohngebäuden ist nach dem aktuellen Stand der Technik gegenüber der umfassenden Sanierung die wirtschaftlich günstigere Variante. Eine umfassende technische Sanierung einschließlich barrierefreier Erschließung und Nachrüstungen ist laut Studie nicht nur mit hohen Kosten, sondern auch erheblichen Kompromissen verbunden, weil in der Regel etwa Grundrisse erhalten bleiben.

Rechtssicherheit durch Regelungsmodell 
Für Rechtssicherheit bei Reconstructing-Projekten könnte ein Regelungsmodell im WGG sorgen. Damit sollen Fragen der Refinanzierung und etwaiger Eigenmitteleinsätze behandelt und die unterschiedlichen Regelungen der Wohnbauförderungen der Länder berücksichtigt werden. Als Vorbild können die Regelungen zur Nachverdichtung im Rahmen des § 13 Abs 7 WGG dienen.
- Definition der Restbuchwerte und Abbruchkosten als nützliche Aufwendungen für den Ersatz-Neubau
- Kalkulation der Grundstückskosten – auch im Hinblick auf sozial verträgliche Mieten im Ersatz-Neubau
- Überführung von Eigenmittelvorlagen in das neue Projekt
- Überführung eines etwaigen EVB-Überschusses in das neue Projekt
- Umgang mit den Kosten für lokal und regional wünschenswerte Wohn- Infrastrukturen

Die Frage Reconstructing oder Sanierung ist laut Herwig Pernsteiner, stellvertretender GBV-Obmann, immer nur projektabhängig zu beantworten, Patentrezept gäbe es keines, beide Varianten hätten ihre Berechtigung. Solange eine umfassende Sanierung technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, ist sie laut Pernsteiner einem Ersatzneubau vorzuziehen. Pernsteiner berichtet aber auch von vielen Bestandsgebäuden, deren Sanierung hinsichtlich ESG und EU-Taxonomie so aufwendig wäre, dass bei einer Gesamtbetrachtung der Ersatzneubau besser abschneidet.

Zudem gilt es, neben der technisch-wirtschaftlichen Betrachtung auf Gebäudeebene auch Kriterien wie graue Energie, architektonisch- städtebauliche und Freiraumqualitäten sowie die jeweils lokalen Randbedingungen und regionale Entwicklungsperspektiven zu berücksichtigen. Dazu zeigen umgesetzte und laufende Projekte wie die Transformation der „Südtiroler Siedlung“ im Innsbrucker Stadtteil Saggen durch die NHT, dass bei guter Planung auch eine sinnvolle Symbiose von Sanierung, Verdichtung und Reconstruction möglich ist. Dort wurden einige der Altbauten aus den 30er-Jahren generalsaniert, andere abgerissen und durch Neubauten ersetzt bzw. erweitert.

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Auch Michael Gehbauer, Geschäftsführer der WBV-GPA, sieht in Reconstruction und Sanierung miteinander korrespondierende Gefäße: „Reconstruction ist aus meiner Sicht eine Variante oder vielmehr eine Weiterentwicklung der Sanierung, mit dem Unterschied, dass nicht nur die bestehende Bausubstanz ertüchtigt wird, sondern diese weiterentwickelt, weitergebaut und den aktuellen Standards angepasst wird.“ Zwar sei Reconstructing sowohl für die Branche als auch die WBV-GPA noch relativ neu, dennoch geht Gehbauer davon aus, dass das Thema in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, weil es „in hohem Maße den Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft entspricht“.

Die WBV-GPA setzt aktuell ein Projekt in Niederösterreich um. In einer Siedlung mit drei baugleichen Gebäuden wird eines ausgesiedelt, im Anschluss entkernt und ein Aufzug eingebaut. Die Grundrisse werden modernisiert und sämtliche Wohnungen mit einem Außenraum und einem neuen Heizsystem versehen.

Saniert und erweitert: Baustufe 4 in der Südtiroler Siedlung Saggen von der NHT. Foto: NHT/Oss

Offene Fragen

Die Vorlaufzeiten für Reconstructing- Projekte sind lang. Vor allem gilt es, im Sinne des Konsensmodells eine einvernehmliche Lösung mit den Altmietern herzustellen. Die Neue Heimat Tirol vergibt etwa spätestens ab dem Zeitpunkt, an dem das Reconstructing absehbar ist, nur mehr befristete Mietverträge, um weitgehend sicherzustellen, dass das Haus bestandsfrei ist, wenn das Projekt beginnt. Zwar kann unter Berufung auf „öffentliches Interesse“ auch in bestehende Mietverträge eingegriffen werden, das führt aber zu deutlichen Verzögerungen.

Ist ein Objekt nicht bestandsfrei, gilt es, die Mieter ins Boot zu holen. Dafür braucht es vor allem Transparenz und eine Gegenüberstellung der Varianten Reconstruction und umfassende Sanierung in allen Facetten inklusive der zu erwartenden Kosten für die Mieter. Beim Reconstructing-Projekt Wimhölzel- Hinterland der GWG in Linz wurde sogar ein Sozialplan unter Einbindung der Stadt und des Landes zur Unterstützung von sozial bedürftigen Mietern erstellt. Sämtliche Umzugsarbeiten wurden von der GWG organisiert und übernommen. Die Verrechenbarkeit dieser und allfällig weiterer entstehenden Kosten sind im WGG nicht ausdrücklich geregelt, die Zusatzkosten müssen aber auf jeden Fall den Kosten aus Alternativ- Szenarien gegenübergestellt werden.

In Hinblick auf die Kosten gibt es noch weitere offene Fragen. Zwar haben sich laut Hüttler in den Wohnbaufördermodellen teilweise Schnittstellen zum Reconstructing herausgebildet, indem etwa die Abbruch- und Entsorgungskosten in die förderbaren Baukosten mitaufgenommen werden können, viele Punkte sind aber noch unklar. Das reicht von den Restbuchwerten über die Kalkulation der Grundstückskosten bis zur Überführung von Eigenmittelvorlagen und eines etwaigen EVB-Überschusses in das neue Projekt (siehe Kasten).

Potenzial für Nachverdichtung

Während sich bei Sanierungen die Anzahl der Wohneinheiten nicht oder nur kaum ändert, ist das Potenzial für Nachverdichtung durch Reconstructing enorm. Die in der Hüttler-Studie dokumentierten Projekte umfassten vor dem Reconstructing rund 5.000 Wohneinheiten, danach waren es rund 8.000 Wohneinheiten. Damit können der Bodenverbrauch eingedämmt, die vorhandene Infrastruktur besser genutzt und Siedlungsstrukturen aufgewertet werden.

Michael Priebsch, Leiter großvolumiger Wohnbau bei der Erste Bank, wünscht sich demnach auch „zusätzliche Anreize, bereits versiegelten Boden mit bestehenden Gebäuden besser zu nutzen“. Als Beispiel nennt er die leichtere Umwidmung von Gewerbeliegenschaften in Wohnbaugebieten. Ob eine umfassende Sanierung oder Reconstructing aus finanziellen Gründen sinnvoller sei, muss laut Priebsch mit einer Wirtschaftlichkeitsrechnung geklärt werden. „Als Bank können wir aber Planungsrechnung und Prognosen in der Mieterwartung unterstützen.“

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