Menschengerecht wohnen

Architekt Fritz Matzinger ist gemeinschaftliches Wohnen betreffend ein Vorreiter. Seine Entwürfe funktionieren generationenübergreifend, und das schon fünf Jahrzehnte lang. Er wohnt mit seiner Frau seit 50 Jahren im ersten Gemeinschaftlich-Wohnen-Projekt, dem Les Palétuviers 1.
GISELA GARY

„Was soll altersgerechtes Wohnen heißen, diesen Begriff lehne ich entschieden ab, es muss ,menschengerechtes Wohnen‘ heißen“, schmunzelt Fritz Matzinger. Es geht nicht um ältere Menschen – es geht um alle Menschen, die Unterschiede sind so vielfältig wie die Bedürfnisse, so Matzinger. Fritz Matzinger wohnt seit 1975 in dem Projekt Les Palétuviers in Linz- Leonding. Es war sein erstes Gemeinschaftlich- Wohnen-Projekt und ist als soziale Alternative zwischen dem Einzelhaus und dem mehrgeschoßigen Wohnbau zu verstehen. Die Idee hatte er von einer Afrikareise.

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„An der Elfenbeinküste Westafrikas wachsen wunderschöne Mangrovenbäume (Les Palétuviers), der Baum kommt mit vielen Wurzeln aus der Erde und bildet einen Stamm und viele Äste – erst dann folgt die Krone. Die Äste stehen für die Familien“, erläutert Matzinger. „Ich sah in Afrika, wie gut die dörflichen Strukturen funktionieren, eine soziale Gemeinschaft.“ Per Inserat suchte der Architekt junge Familien – „heute weiß ich, dass eine Mischung, vom Baby bis zum Pensionisten, viel besser ist.“

Das Interesse war enorm. Das gemeinschaftliche Zentrum ist das Atrium, der Dorfplatz, neben dem Schwimmbad der Treffpunkt für Begegnungen. Die Familie Matzinger wohnt in einer Maisonettewohnung mit drei Ebenen auf 160 Quadratmetern – mit ihren vier Kindern wurde die Wohnung plus Garten gut genutzt. Und auch heute noch: Die acht Enkelkinder sind oft zu Besuch.

Im Erdgeschoß befinden sich Wohnzimmer, Esszimmer und die Küche, im ersten Stock die drei Kinderzimmer, im zweiten Stock sind die Eltern – und die Dachterrasse. Sein Lieblingsplatz? „Mein Büro“ – Fritz Matzinger denkt keineswegs an den Ruhestand. Aktuell tüftelt er mit dem Bürgermeister von Český Krumlov an einem ähnlichen Projekt.

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Die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens hat Matzinger mittlerweile 38 Mal dupliziert, immer wieder angepasst und modifiziert. Seit einigen Jahren konzentriert er sich vor allem auf das Adaptieren und Sanieren von Bestandsobjekten. Zuletzt wurde ein 550 Jahre alter Vierkanter in Garsten revitalisiert. Der Innenhof wurde mit Glas überdacht und zum winterfesten Atrium, mit einem 20 Meter langen Schwimmkanal und Gemeinschaftsküche.

Wie im Dorf

Was macht die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens so besonders? „Wir leben hier wie in einem kleinen Dorf“, so Matzinger. Eingezogen sind in den 70er-Jahren 16 Familien mit 25 Kindern. Heute gibt’s mehr ältere Menschen und weniger Kinder – dafür Enkelkinder. Die damalige und heutige Besonderheit ist der Gemeinschaftsbereich. Das Atrium mit verschiebbarem Glasdach fungiert zugleich als Sonnenkollektor, es heizt den Gemeinschaftsbereich quasi gratis.

Und die vielen Stufen? „Kein Problem, das viele Stiegensteigen hält uns fit“, lacht Matzinger. Er spricht sich klar gegen den Begriff „altersgerechtes Wohnen“ aus: „Kinder haben einen kleinen Bewegungsradius, sie brauchen Freunde in ihrer Nähe, den älteren Menschen geht es genauso, sonst gibt es Vereinsamung.“

Ein zufriedener Architekt? „Auf jeden Fall! Einzig die Idee des wachsenden oder schrumpfenden Hauses, also dass man Wohnungen später einmal problemlos teilen kann, mit Hilfe von Pawlatschengängen, die finde ich wichtig und habe ich auch bei späteren Projekten umgesetzt.“ Wie z. B. beim Atri- um in Rif/Hallein, das entstand 1984, die Wohnungsgrößen können einfach angepasst werden – aber auch dieses Projekt ist eben nicht altersgerecht, sondern einfach menschengerecht.

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