Sharing und Caring

Die IBA_Wien 2022 richtet bei der Quartiersentwicklung den Blick aufs Große Ganze. Innovative Projekte entwickeln dabei neuen Formen des Teilens und der Nutzungsmischung.
MAIK NOVOTNY

Internationale Bauausstellungen waren schon immer weit mehr als eine Ansammlung von Häusern. Bei einer Bauausstellung wie der IBA_Wien 2022, die unter dem Motto „Neues Soziales Wohnen“ steht, ist das mehr denn je der Fall. Denn wenn es um zukunftsfähige Wohnformen und Wohntypologien geht, gilt es, das Umfeld im Blick zu haben: Die Stadt und das Quartier. „Die IBA_Wien hat ´Neue soziale Quartiere´ als eines ihrer drei Leitthemen definiert“, erklärt IBA-Koordinator Kurt Hofstetter. „Damit gehen natürlich untrennbar auch die Fragestellungen der Nutzungsmischung einher. Wenn wir in einer Zeit zunehmender Ungleichverteilung von Arbeit, Einkommen und Vermögen feststellen müssen, dass die wirtschaftliche Bewältigbarkeit des Alltags einen immer größer werdenden Belastungsfaktor für viele Menschen unserer Gesellschaft darstellt, dann gilt es dafür auf verschiedenen Handlungsebenen Gegenmodelle und Lösungen zu entwickeln.“

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Das bedeutet: Lösungen für das Zusammenleben können sich nicht nur auf das rein Bauliche beschränken. Einige der IBA-Kandidaten, die zurzeit entwickelt werden, fokussieren daher auf ganzheitliche Ansätze, die die Wohnraumversorgung nicht nur als Bereitstellung von Raum, sondern als Rahmen der Existenz sehen. Einer der innovativen Ansätze trägt den Titel „Pocket Mannerhatten“, passend zu seinem Standort nahe der Manner-Fabrik im 16. Wiener Gemeindebezirk. Es basiert auf einer Idee, die Architekt Florian Niedworok an der Universität Innsbruck entwickelte. Im Wesentlichen wendet Pocket Mannerhatten das Prinzip der „Sharing Economy“ auf die Gebäude an. Die einzelnen Bauteile mutieren so zu einem Teil- und Tauschgeschäft, ein kontinuierliches Geben und Nehmen, bei dem das Geben durch besondere Anreize belohnt wird.

Tauschen und teilen

Was wird hier geteilt? Ziemlich viel. Zwei oder mehr Parzellen bilden einen „Cluster“, der als Akteur im Spiel fungiert. Die Regeln dieses Spiels werden in einem Baukasten-System festgelegt. Über die Parzellen- und Clustergrenzen hinweg können Grünflächen, Stellplätze oder der Zugang zu Gemeinschaftsräumen getauscht werden, Energie und Haustechnik vernetzt werden. Zugänge zu Gebäuden können gebündelt werden, etwa um die barrierefreie Erschließung zu vereinfachen. Dachterrassen werden für alle nutzbar. Eventuell können sogar Baumassen umgeschichtet werden, etwa, wenn dies für die Belichtung von Vorteil ist. Abhängig von den räumlichen Gegebenheiten und den Wünschen der handelnden Personen kann sich jedes Cluster auf unterschiedliche Weise organisieren.

Die Eigentümer benachbarter Grundstücke schließen dafür rechtlich bindende Vereinbarungen, in denen die Nutzung und Erhaltung der Flächen sowie Haftungsfragen klar geregelt werden.

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Ein Bonus-System belohnt jene, die ihre Gebäudeteile tauschen und teilen. Je mehr Beteiligte und je mehr gewählte Tauschoptionen, desto mehr Bonus erhält das jeweilige Cluster. Man kann es eine Art Staat im Kleinen als gesellschaftliche Versuchsanordnung nennen, oder eine konsequente Erweiterung der erprobten Modelle sozialer Nachhaltigkeit auf das ganze Quartier, mit Anreizen zur Eigeninitiative. In jedem Fall ist Pocket Mannerhatten ein sehr interessanter und experimenteller Ansätze unter den IBA-Kandidaten, die mit dem Baubestand arbeiten. Das bisher erarbeitete Instrumentarium wird jetzt am Pilot-Stadtblock „Block 61“ in Wien- Ottakring erprobt.

Für Kurt Hofstetter ist dieser Fokus aufs Soziale kein Randphänomen, sondern essenzieller Bestandteil des Zusammenlebens: „Eine nachhaltige und umfassende Quartiersentwicklung stellt auf der Handlungsebene der Stadtentwicklung einen wirksamen Lösungsansatz dar. Durch ein reichhaltiges, in Ergänzung zu den üblichen und erforderlichen Handelseinrichtungen auch kleinteiliges zusätzliches Angebot an Gewerbe- und Dienstleistungen, wird ein Umfeld geschaffen, in dem tägliche Wege verkürzt werden können. Dazu werden lokale Synergien durch Netzwerke ermöglicht, die sich wiederum auf persönliche Kontakte und Nachbarschaften stützen können, und natürlich gute öffentliche Verkehrsanbindungen, die die Familien finanziell entlasten können.“

Neue Wege der Nutzung

Nicht nur im Um- und Zubau bestehender Stadtquartiere können solche Programme realisiert und ausprobiert werden, sondern auch auf der „grünen Wiese“, sprich, in den Stadtentwicklungsgebieten. Im Entwicklungsgebiet Berresgasse im 22.Bezirk, wo auf 19 Hektar bis zum Jahr 2022 rund 3.000 geförderte Wohnungen entstehen, soll eine in Gründung befindliche „Grätzelgenossenschaft“ neue Wege der aktiven Beteiligung, Mitgestaltung und eigenverantwortlichen Quartiersentwicklung aufzeigen, etwa im Bereich konkret angewandter Sharing-Konzepte, die über Mobilität weit hinausgehen…

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