Sind Parkplätze ein „rechtsfreier“ Raum? Wolf-Rüdiger Senk klärt auf

Es besteht häufig Unklarheit über die Regeln des Befahrens von öffentlichen Parkplätzen. Während die einen glauben, dass dort die „Rechts vor Links-Regel“ der Straßenverkehrsordnung (§8 Abs. 1 StVO) gelten würde, befahren andere diese Flächen ohne erkennbaren Sinn und Verstand.

Höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Thema gab es in der Vergangenheit nicht bis zu einer jüngst ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) (Urteil vom 22. November 2022, Az.: VI ZR 344/21), welche mit einigen irrigen Vorstellungen aufräumte.

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Alles oder nur 50%

Parteien dieses Rechtsstreits waren zwei Autofahrer, die auf dem öffentlichen Parkplatz eines Baumarktes kollidiert waren. Dabei befuhr der Kläger einen Fahrweg von rechts kommend, wobei er mit dem sich der linken Seite nähernden PKW des Beklagten kollidierte.

Während der Kläger Ersatz seines vollständigen Sachschadens begehrte, war der Kfz-Haftpflichtversicherer des Beklagten der Ansicht, beide Parteien hätten den Unfall gleichermaßen verschuldet, so dass er sich nur mit 50 % am Unfallschaden des Klägers beteiligen wollte.

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Da der Kläger das nicht akzeptieren wollte, klagte er vor dem Amtsgericht Lübeck auf Ersatz des vollständigen Schadens und begründete seinen Anspruch u.a. mit der Regelung des § 8 Abs. 1 StVO.

Dieser Auffassung wollten sich jedoch weder das Amtsgericht noch das in der Berufung angerufene Landgericht Lübeck anschließen und entschieden auf eine quotale Haftung zu Lasten des Beklagten in Höhe von 70 zu 30 %. Begründet wurde dies damit, dass die Straßenverkehrsordnung grundsätzlich auch auf privaten Parkflächen gelte, wenn diese für die Allgemeinheit zugänglich seien, eine direkte Anwendung des § 8 Abs. 1 StVO („Rechts vor links“) jedoch daran scheitern würde, dass es sich bei den Fahrgassen auf einem Parkplatz nicht um eine „Kreuzung“ i.S.d. StVO handele.

Straße oder Parkplatz

Auch für eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 1 StVO dergestalt, die Vorfahrtregelung „rechts vor links“ als Bestandteil der Generalklausel des § 1 Abs. 2 StVO (Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme) anzuwenden, sah das Gericht keinen Raum. Dies würde voraussetzen, dass eine bauliche Verkehrssituation vorläge, in der bei objektiver Betrachtung jeder Verkehrsteilnehmer zu der Ansicht kommen müsse, dass in der Situation nur „rechts vor links“ gelten könne, was bei der baulichen Gestaltung des streitgegenständlichen Parkplatzes nicht der Fall gewesen sei (vgl. BGH a.a.O., Rn. 8).

Die quotale Verteilung trage dem Umstand Rechnung, dass der Beklagte im Hinblick auf die unklare Verkehrssituation deutlich schneller als der Kläger gefahren sei, so dass gem. § 17 Abs. 1 StVG die Verpflichtung zur Leistung von Schadenersatz anhand der jeweiligen Umstände zu beurteilen sei.

Kein Rechtsfehler, aber …

Der BGH hat dazu festgestellt, dass die rechtliche Nachprüfung keinerlei Rechtsfehler ergeben habe. Grundsätzlich seien die Regeln der StVO auf einem öffentlich zugänglichen Parkplatz anwendbar, insbesondere das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme gem. § 1 StVO. Unterschiedlich würde jedoch in Literatur und Rechtsprechung die Bedeutung des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO beurteilt (vgl. BGH a.a.O., Rn. 12 mwN).

Dazu stellte der Senat fest, dass diese Bestimmung auf öffentlichen Parkflächen ohne ausdrückliche Vorfahrtsregelung weder unmittelbar noch im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung nach § 1 Abs. 2 StVO anwendbar sei, soweit den dort vorhandenen Fahrspuren kein eindeutiger Straßencharakter zukomme (vgl. BGH a.a.O., Rn. 15). Dies ergebe sich daraus, dass ein Parkplatz keine Straße sei, sondern eine Verkehrsfläche, welche vorbehaltlich spezieller Regelungen durch den Eigentümer grundsätzlich in alle Richtungen befahren werden dürfe.

Daran änderten auch die Parkflächenmarkierungen nichts, so dass dadurch entstehende Fahrspuren keinen Straßencharakter hätten. Diese dienten auch nicht der zügigen Abwicklung fließenden Verkehrs, sondern seien primär zur Erschließung von Parkplätzen, dem Rangieren von Fahrzeugen sowie dem Be- und Entladen zu dienen bestimmt. Auch würden diese Flächen sowohl von Kraftfahrzeugen als auch von Fußgängern gleichermaßen genutzt, was einer Bejahung des Straßencharakters entgegenstünde.

BGH: Nehmt aufeinander Rücksicht

Der BGH zog daraus den Schluss, es sei der Verkehrssicherheit dienlicher, wenn alle Benutzer einer solchen Fläche gleichermaßen entsprechend dem Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs.2 StVO aufeinander Rücksicht nehmen und sich gegenseitig über die Vorfahrt verständigen müssten, eine Konsequenz, die im Ergebnis sicherlich nicht zu beanstanden ist. Bleibt zu hoffen, dass die Autofahrer dies beherzigen.

Wolf-Rüdiger Senk
Prokurist, Bereichsleiter Versicherungsrecht bei der AVW-Gruppe

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