Mixed use – aber richtig

Das 77. Wohnsymposium von WohnenPlus und dem Standard beschäftigte sich mit „die produktive Stadt“, in der gewohnt und gearbeitet werden kann. Welche Herausforderungen bringt das mit sich, und wie lässt sich die richtige Mischung finden? Im Gewerbehof in der Seestadt Aspern wurde darüber ausführlich diskutiert.
MARTIN PUTSCHÖGL

„Am Ende ist es doch immer viel interessanter, in einem gemischten Stadtteil zu wohnen als in einem reinen Wohngebiet“, zeigte sich Keynote-Speaker Dietmar Wiegand, Universitätsprofessor und Leiter des Forschungsbereichs Projektentwicklung und -management an der TU Wien, überzeugt. Das Thema des Symposiums lautete „Produktive Stadt – Arbeiten, Wohnen, Leben“, Schauplatz war der „Gewerbehof“ der Wirtschaftsagentur Wien in der Seestadt Aspern. Als Vorprogramm gab es eine exklusive Führung durch das Haus als auch durch die Ausstellung des studentischen Wettbewerbs „Produktive Stadt – Zwischenstadt“, initiiert von der Arwag an der TU Wien, Forschungsbereich Projektmanagement.

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Gerhard Hirczi, Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur, sprach zur Begrüßung die Deindustrialisierung an, die zum Verlust von Millionen Arbeitsplätzen in der EU geführt habe. „Je weiter weg von einer Metropole, desto besser“, sei die Devise gewesen. Doch nun gelte eine „Sowohl-als-auch-Maxime“, man brauche nämlich alles in der Stadt, Wohnen und Gewerbe, so Hirczi. Wiegand meinte, ganz grundsätzlich brauche es „Wettbewerb und Offenheit statt Protektionismus und Vetternwirtschaft“. Er brachte das Beispiel des Technoparks Zürich, der als Inkubator funktioniere und von einer Stiftung geführt werde, Kooperationspartnerin ist die ETH Zürich. Direkte Konkurrenz fördere Innovation und Produktivität, deshalb seien Cluster anzustreben, doch es brauche auch jemanden, der sich vor Ort kümmert – um die Kommunikation, um die Organisation der Mehrfachnutzung von Räumen und Equipment, um die Vernetzung der Unternehmen vor Ort, um das Community Building.

Keynote von Dietmar Wiegand, Universitätsprofessor und Leiter des Forschungsbereichs Projektentwicklung und -management an der TU Wien: „Gemischt wohnen ist interessanter, als in einem reinen Wohngebiet.“

Das Fachkonzept Produktive Stadt sollte jedoch mehr mit der Wirtschaftsförderung vernetzt werden. Und natürlich: „Mehr ausprobieren. Wenn’s nicht funktioniert, was anderes probieren.“ Dass aber auch die Seestadt Aspern eben genau dafür da sei, Dinge auszuprobieren, das betonte Robert Grüneis in der anschließenden Podiumsdiskussion. Der Vorstand der 3420 Aspern Development AG nannte den Stadtteil ein „Experimentierlabor“. Fast 5.000 Arbeitsplätze gebe es mittlerweile in der Seestadt. Claudia Thiesen, Architektin aus Zürich, lieferte einen Blick in die Schweiz. Dort hätten Genossenschaften relativ freie Hand, was die Aufteilung der Flächen auf Wohnen und Gewerbe betrifft. Thiesen war als Vorstandsmitglied der Schweizer Baugenossenschaft „mehr als wohnen“ maßgeblich an der Entwicklung des Hunziker-Areals im Norden von Zürich beteiligt. Dort entstand auf einem 41.000 Quadratmeter großen Gelände einer ehemaligen Betonfabrik ein durchmischter Stadtteil, in dem heute rund 1.200 Menschen leben und 150 arbeiten.

Im Gespräch mit Moderator Maik Novotny: Rainer Holzer, Leiter Immobilienabteilung Wirtschaftsagentur Wien, Claudia Thiesen, Architektin und Mitinhaberin von Thiesen & Wolf, Zürich, Thomas Drozda, Vorstandsdirektor der Arwag, Robert Grüneis, Vorstand der Wien 3420 aspern Development AG.

Die Sicht der gewerblichen Bauträger brachte Thomas Drozda ein, Geschäftsführer der Arwag. Sein Unternehmen hat im Seebogen-Quartier der Seestadt, in dem sich auch der Gewerbehof befindet, ebenfalls bereits ein „Rosa-Zonen-Projekt“ umgesetzt, nämlich den „Gründer-Innen- Hof“, der Arbeiten und Wohnen unter einem Dach ermöglichen soll – mit „zuschaltbaren“ Arbeitsräumen und Mikrobüros, die im Haus angemietet werden können. Im Erdgeschoß ist ein Produktionsbetrieb eingezogen, die „Kasnudl Stadtküche“.

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Eine wichtige Frage ist, was überhaupt unter „produktiv“ zu verstehen ist. „Gehört Wissensproduktion dazu?“ Denn an der Wohnnutzung habe sich in den letzten 30 Jahren wenig geändert, „an der Gewerbenutzung aber schon“, so Drozda. „Was heute ein Handelsbetrieb ist, ist morgen eine Ausbildungseinrichtung für Jugendliche.“ Rainer Holzer, Leiter der Immobilienabteilung in der Wirtschaftsagentur, wartete in diesem Zusammenhang mit einer unorthodoxen Definition auf: „Produktion ist alles, wo kein Bett drinsteht.“

Dialog mit Anrainer

„Wenn es Probleme gibt, muss man so schnell wie möglich in einen Dialog treten“, sagte Holzer. Mit den Wohnbaugesellschaften, die die Wohnungen neben dem Gewerbehof errichteten, habe man „einen Kommunikationsprozess in Gang gesetzt, wo wir mehrmals im Jahr kleinere Events machen.“ Lärm sei natürlich immer ein Thema, wenn es um die Verschmelzung von Nutzungen geht. Grüneis meinte, in der ganzen Seestadt komme ja quasi noch verschärfend hinzu, dass noch lange daran gebaut werden wird.

„Da braucht es ein Management für Beschwerden“, man müsse aber auch „proaktiv kommunizieren, was alles hierherkommt. Kommunikation, Interaktion, all das ist wichtig.“ Und ein Ohr an bzw. in der Bevölkerung: Drei der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Aspern 3420 GmbH wohnen selbst in der Seestadt, „da kriegen wir sehr viel mit“, so Grüneis. „Auch das ist wichtig.“


Politische Debatte: „Eine Donauquerung fehlt”

Andrea Faast, Raumplanerin und Leiterin der Abteilung Standort und Infrastrukturpolitik in der Wirtschaftskammer Wien, und Landtagsabgeordneter Kurt Stürzenbecher, Wohnbausprecher der SPÖ Wien, kreuzten die Klingen. Was genau passiert in den „Rosa Zonen“ Wiens, die die Stadtplanung im Fachkonzept „Produktive Stadt“ auserkoren hat? Jedenfalls zu wenig, meint Andrea Faast, in Vertretung des Präsidenten Walter Ruck. Kurt Stürzenbecher hielt ein klares Plädoyer für die gut durchmischte Stadt. „Wir sind für die Stadt der kurzen Wege. Es soll nicht so sein wie in den USA, wo die arbeitenden Menschen weit außerhalb der Stadt wohnen, weil sie es sich weiter drinnen nicht leisten können.“

Stürzenbecher glaubt an die Sinnhaftigkeit des gemeinschaftlichen Arbeitens am selben Ort, „weil da die Kreativität oft erst richtig zum Tragen kommt“. Faast warf ein, dass es aber in ganz Transdanubien, also in Floridsdorf und Donaustadt, zu wenige Arbeitsplätze gibt. Sie nannte die Zahl von 100.000 Jobs, die man hier brauchen würde. Weil in den beiden Bezirken sehr viele Menschen leben, sorge das für gewaltige Verkehrsprobleme, „und da sieht man dann, dass in der Stadtplanung etwas nicht stimmt“. Andererseits sei es auch schwierig, Betriebe in diese beiden Bezirke zu bekommen. „Viele sagen zu uns: ‚Bitte nicht da drüben.‘“ Was ganz einfach fehle, sei eine weitere Donauquerung, stellte sie fest – also etwa der Lobautunnel.

In den rosa Zonen würde man nun zum einen gerne mehr Investments sehen und auch brauchen. Man müsse diskutieren, ob man das Fachkonzept nicht anpassen sollte. Insbesondere was den Anteil des geförderten Wohnbaus in diesen Mischzonen betrifft. Für Stürzenbecher war die Widmungskategorie Geförderter Wohnbau „ein ganz großer Wurf“, seiner Ansicht nach könnten die meisten Bauträger mittlerweile auch damit leben. Er verwies außerdem darauf, dass gerade die Wiener Bauordnung novelliert wird und auch die Neubauverordnung sowie die Sanierungsverordnung in Überarbeitung seien. „Auch das wird ein paar offene Fragen beantworten.“

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