Im Sinne der Ressourcen

Forschung und Entwicklung beschleunigen im Paarlauf auf dem Weg Richtung Klimafitness, auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Von den daraus laufend gewonnenen Erkenntnissen, ganz im Sinne der Ressourcenschonung, profitiert die Bau- und Wohnungswirtschaft.
MAIK NOVOTNY

Das Sündenregister ist bekannt: Rund 40 Prozent der CO₂-Emissionen kommen aus dem Bausektor, der zudem die Hälfte aller abgebauten Ressourcen verschlingt und 35 Prozent aller Abfälle erzeugt. Der Umbau der Bauwirtschaft vom Verschwender und Emittenten hin zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft ist ein Kraftakt. Doch immer mehr arbeiten an diesem Wandel, insbesondere an der Schnittstelle von Praxis und Forschung.

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In den letzten Monaten gaben sich Forschende bei Symposien zum Thema geradezu die Klinke in die Hand. Dabei kristallisiert sich ein Paarlauf zweier Ansätze heraus. Zum einen ein vorausschauend konzipierter Neubau, der möglichst langlebig und sortenrein ist, mit einem Minimum an High-Tech und Verbundstoffen. Zum anderen die Wiederverwertung von Bauteilen und Abbruchmaterialien: Re-Use und Urban Mining.

Einfaches Bauen

Ersteres stand im Fokus beim „Bau einfach“-Symposium der IBA Wien im Wiener Architekturzentrum im Oktober. Hier wurde unter anderem das von Baumschlager Eberle Architekten entwickelte System 2226 präsentiert, welches erstmals 2013 beim gleichnamigen Bürogebäude in Lustenau angewendet wurde und mit seiner radikalen Einfachheit internationale Aufmerksamkeit erregte: Keine Heizung, keine Lüftung, keine Klimaanlage, keine Wärmedämmung. Einfach 50 Zentimeter solides Mauerwerk – und eine Raumtemperatur von 22 bis 26 Grad.

Seitdem wurde das System kontinuierlich analysiert und weiterentwickelt: Das Bürohaus hat sich in zehn heißen Sommern bewährt. „Wir können mit Fug und Recht sagen, dass das System einwandfrei funktioniert“, bilanziert Jürgen Stoppel, Partner bei Baumschlager Eberle.

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Nächster Schritt: Die Implementierung im Wohnbau. In Dornbirn wurden 2020 die acht freifinanzierten Wohnungen des 2226 Graf bezogen, hier wird mittels Lüftungsflügeln die Frischluftzufuhr elektronisch gesteuert, als Heizungs-Backup dienen Infrarotpaneele. Die laufend ausgelesenen Nutzerdaten ergaben, so Stoppel, auch an kalten Wintertagen innen 23 Grad und ein Verbrauch von 42,7 Kilowattstunden pro Jahr. Nächster Schritt: Ein 2226-Quartier mit rund 100 Wohneinheiten in Lustenau mit der Wohnbauselbsthilfe Vorarlberg.

Kleinerer Fußabdruck

Auch beim passend benannten Symposium „Genug gebaut“ des Club of Vienna im Dezember 2022 wurden Strategien und Forschungsergebnisse für eine bestandschonende Bauwirtschaft vorgestellt. Jakob Lederer von der Fakultät technische Chemie, Institut für Verfahrenstechnik an der TU Wien, leitet das mehrjährige Forschungsprojekt TransLoC, welches systematisch den Materialverbrauch im Gebäudesektor, insbesondere die mineralischen Baustoffe, erhebt. Dafür wurden Daten aus den Jahren 1991 bis heute erhoben, um einen Blick in die klimafitte Zukunft bis 2050 zu erlauben.

Erkenntnis: 60 bis 75 Prozent der Ressourcen gehen in den Bausektor, der bei weitem höchste Anteil in mineralische Baustoffe. Dadurch entstehen Nutzungskonflikte, etwa wenn die fruchtbarsten Böden Österreichs wie im Marchfeld für den Kiesabbau zerstört werden. „Ganz klar: Der Materialfußabdruck muss gesenkt werden“, bilanziert Lederer. Eine Analyse der Bautätigkeit in Wien durch Lederer und sein Team mittels Höhendaten und Luftbilder ergab, dass viel mehr Bausubstanz abgebrochen wurde als in der Statistik verzeichnet – rund 40 Prozent der Abbrüche werden nicht gemeldet.

Serielle Sanierung

Forschung und Entwicklung für klimaneutrale Sanierung bündelt seit Anfang 2022 das vom Bundesministerium für Klimaschutz und Umwelt (BMK) und der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderte Innovationslabor Renowave. Dieses bietet Lehrgänge und initiiert Aktivitäten in vielfältigen Kooperationen.

„Unsere Aufgabe ist es, in Österreich Innovationen anzustoßen, damit neue technische, soziale und organisatorische Lösungen entstehen, um die hochwertige Gebäudeund Quartiersanierung schneller und effizienter umsetzbar zu machen“, sagt Susanne Formanek, Vorstand und kaufmännische Projektleiterin von Renowave.

Ein Schwerpunkt der Aktivität ist die Förderung der seriellen Sanierung auf Quartiersebene; Vorbild dafür sind die „Energiesprong“-Pilotprojekte in Deutschland, bei denen ein Baukastensystem mit vorgefertigten Elementen anstatt konventionellem Vollwärmeschutz zum Einsatz kommt. Dies bedarf zwar einer längeren Planungszeit, dafür ist die Sanierung selbst schneller und präziser.

Europäische Kreislaufwirtschaft

Auch auf EU-Ebene wird gefördert und geforscht, was die Verbesserung von Materialströmen betrifft. Im Großprojekt Reincarnate, finanziert vom EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe, haben sich 16 Unternehmen, Universitäten und Organisationen aus acht Ländern zusammengeschlossen, darunter Austrian Standards International aus Österreich.

Ziel ist, die Kreislaufwirtschaft in der europäischen Bauindustrie zu verankern und durch innovative Lösungen den Lebenszyklus von Gebäuden, Bauprodukten und Materialien signifikant zu verlängern. Damit könnten langfristig Bauabfälle um 80 Prozent und der CO₂-Fußabdruck des Bausektors um 70 Prozent reduziert werden. Die von Reincarnate entwickelten Lösungsansätze werden auf einer digitalen Plattform gesammelt und in der Praxis anhand von insgesamt elf Projekten erprobt, darunter auch eines an der Schnittstelle von Kreislaufwirtschaft und leistbarem Wohnen in Paris.

Anlaufstelle für Innovationen: Das Renowave-Team Armin Knotzer, Susanne Formanek und Ulla Unzeitig. Foto: Petra Rautenstrauch

In Deutschland hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Förderrichtlinie „Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft – Bauen und Mineralische Stoffkreisläufe (ReMin)“ etabliert, mit der das Forschungskonzept „Ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft“ umgesetzt und die Kreislaufwirtschaft vorangetrieben werden soll.

Auch hier ist der CO₂-Sünder Bauwirtschaft der Hauptadressat. Schwerpunkte der Förderung sind eine höhere Recyclingquote, innovative Baustoffe, eine Analyse und Bewertung von materialströmen beim Rückbau, eine effizientere Verwertung und Sortierung von Baurestmassen.

Hierzulande ist für besonders innovative Geister noch bis 31. Mai 2023 Zeit, Ideen für eine Ausschreibung der FTI Initiative Kreislaufwirtschaft zu liefern, die vom österreichischen Klimaministerium finanziert wird. Das Leitprojekt „Kreislaufführung von Baustoffen und Gebäudeteilen mit KIUnterstützung“ will sich die derzeit überall diskutierte künstliche Intelligenz zunutze machen, um den Ressourcenverbrauch am Bau zu reduzieren. Viel Beschleunigung also auf vielen parallelen Schienen – ein Hoffnungsschimmer am Horizont.

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