Bauplatzübergreifende Gemeinschaftsräume und Freiflächen haben viele Vorteile. Doch für eine erfolgreiche Bespielung braucht es vor allem viel Dialogbereitschaft und Geduld.
— MAIK NOVOTNY
Der Name war selbsterklärend: Wiesendialog hieß der von realitylab durchgeführte Prozess des Besiedlungsmanagements im Wiener Stadtentwicklungsgebiet In der Wiesen Süd. Zu einem multiplen Dialog über mehrere Wiesen hinweg hatten sich auch die beteiligten fünf Bauträger (Wien Süd, BWS, Wiener Heim, Heimbau und Altmannsdorf- Hetzendorf), die fünf Architekt: innen und vier Landschaftsplaner: innen verpflichtet. Das 2013 gestartete dialogorientierte Verfahren war eines der ersten, das sich explizit der gemeinsamen Planung und Gestaltung von Gemeinschaftseinrichtungen und Grünflächen über mehrere (in diesem Fall sieben) Bauplätze und eine zentrale sogenannte §53-Fläche hinweg widmete. In mehreren Workshops wurde dafür ein Nutzungskonzept und Nutzungsregeln erstellt und schließlich umgesetzt.
Ein knappes Jahr nach der Übergabe nahm das ZT-Büro Herbert Liske im Auftrag des wohnfonds_wien eine Evaluierung vor und befragte Bauträger und Bewohner:innen. Positiv wurde vermerkt, dass das Besiedlungsmanagement zur Eigeninitiative bei der Aneignung der Räume beigetragen habe. Hürden an den Bauplatzgrenzen gab es allerdings für die Bewohner:innen, in deren Haus es keine Gemeinschaftsräume gibt – diese trauten sich eher selten in die Räume nebenan, obwohl sie ihnen zustanden. Seitens der Bauträger wurde Verbesserungsbedarf bei den gesetzlichen Grundlagen wie dem Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz, WGG, bekundet, eine weitere Schwierigkeit stellte die Zuordnung der bauplatzübergreifenden Kosten dar, da nur jene Kosten an die Bewohner:innen weiterverrechnet werden können, die unmittelbar auf dem jeweiligen Bauplatz anfallen.


Miete versus Eigentum
Fünf Jahre später untersuchte Sophie Höller in ihrer Diplomarbeit „Raum fürs Quartier!“ an der TU Wien das Quartier In der Wiesen Süd als eine von fünf Fallstudien zu bauplatzübergreifenden Gemeinschaftsräumen in Wien. Bei diesem Realitycheck traten konkrete Probleme zum Vorschein: Da sich die Bewohner:innen der frei finanzierten Projekte nicht am Wiesendialog beteiligten, kam es vor allem in der Anfangsphase zu Missverständnissen, wer zur Nutzung der Räume berechtigt ist. Denn dieses Zugangsrecht war in der Praxis durchaus nicht auf Anhieb verständlich. Anekdotisches Beispiel: ein Swimmingpool, der nach zahlreichen Anfragen einen Sichtschutz erhielt.
Im Vergleich mit dem ähnlichen Prozess im Stadtentwicklungsgebiet Erlaaer Flur konstatiert Höller Unterschiede in der weiteren Entwicklung: „Während bei In der Wiesen Süd die Quartiersgruppen Bestand hatten, über ein selbst organisiertes Online-Forum verfügen und immer noch Aktivität innerhalb der Gruppen stattfindet, etablierten sich die Quartiersgruppen im Erlaaer Flur nicht.“ Stattdessen entstand ein Nachbarschaftsverein. Bemerkenswert sei zudem, dass im Erlaaer Flur ausnahmslos alle Bauträger am bauplatzübergreifenden Prozess beteiligt waren, während bei In der Wiesen Süd nur die gemeinnützigen Bauträger teilnahmen.
Den Bestand integrieren
Die Frage, wer sich zum Dialog verpflichtet, ist eine wesentliche, wenn es um den grenzüberschreitenden Erfolg geht. Das betont auch die Soziologin Sonja Gruber, die bei mehreren Projekten am Prozess beteiligt war. Beim dialogorientierten Bauträgerwettbewerb in Neu Leopoldau startete man mit Planungsworkshops, bei denen rund 100 Personen die künftige Organisation des gesamten Quartiers beredeten. „Hier gab es das Commitment fast aller Bauträger für die bauplatzübergreifenden Einrichtungen“, sagt Sonja Gruber. Das Stadtteilmanagement durch realitylab und die Gebietsbetreuung spielten hier eine große Rolle. Anders bei einem der jüngsten Wiener Stadtentwicklungsgebiete, dem Quartier Berresgasse: Hier zogen sich manche Bauträger nach anfänglichem Engagement aufgrund des Mehraufwands wieder aus der anfangs sehr engagierten Kooperation zurück.
Ein zusätzlicher Aspekt war die Einbindung der bestehenden Siedlungen aus den 1960er- und 1970er- Jahren, die mit Gemeinschaftsräumen stark unterversorgt sind. „Hier kam die sehr gute Idee einer Grätzlgenossenschaft auf, die eine breite Beteiligung und gute Integration ermöglicht und vermeidet, dass es bezüglich Gemeinschaftsflächen überversorgte Inseln in einem unterversorgten Stadtteil gibt“, sagt Sonja Gruber.
Ein Erfolgsrezept, das sich überall anwenden lässt, gebe es aber nicht, konstatiert sie. „Das hängt immer von den jeweiligen Bewohner:innen ab. Manche sind mehr engagiert als andere, manche wollen nicht für Angebote zahlen, die sie nicht nutzen, und manchmal ziehen die besonders Engagierten irgendwann wieder weg.“


Zeit und Geduld
Das Modell des soziologisch begleiteten Besiedlungsmanagements hat vor allem im Wiener System der Bauträgerwettbewerbe zu einem inzwischen fest etablierten neuen Berufsbild geführt. Doch auch andere Städte ziehen inzwischen mit. In Innsbruck wurde das Campagne- Areal mit rund 1.100 Wohnungen zum Startpunkt für die Einrichtung eines Stadtteilmanagements. 2018 beauftragte die Stadt die stadteigene IIG mit der Umsetzung des temporären Stadtteilzentrums Reichenau, das in Folge als Anlaufstelle für das Besiedlungsmanagement diente und sich bemühte, das Engagement der Bürger:innen anzustoßen. Ersteres wurde dankbar angenommen, die Eigeninitiative der Bewohner: innen blieb begrenzt.
Geht es im größeren Maßstab nicht nur um ein neues Quartier, sondern eine neue Stadt aus mehreren Quartieren, wie die Seestadt Aspern, braucht es vor allem Zeit und Geduld, bis sich die Dialoge über Wiesen und Grenzen entfalten. Dies ist eine Erkenntnis aus dem Gespräch von Wojciech Czaja mit der Soziologin Cornelia Dlabaja und der Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher im Seestadt-Podcast. „Es braucht fünf Jahre, bis die Leute ankommen, einziehen und mit der Nachbarschaft groß werden“, konstatiert Cornelia Dlabaja, die sich in ihrer Forschung intensiv mit der Seestadt beschäftigt hat und auch dorthin übersiedelte. „Dann braucht es noch einmal ein paar Jahre, bis sie untereinander aktiv werden, sich einbringen, und dann erst gehen sie in die anderen Nachbarschaften.“
Diese langen Zeiträume sind in der Planung der Seestadt schon antizipiert. In Vorbereitung auf die nächsten Bauabschnitte fanden im Auftrag der Wien 3420 mehrteilige Beteiligungsprozesse statt, die von der Arbeitsgemeinschaft PlanSinn und der Caritas Stadtteilarbeit durchgeführt wurden. Bei den „CoCreation Days“ wurde diskutiert, welche Aspekte bei der zukünftigen Gestaltung und Nutzung der öffentlichen Räume besondere Berücksichtigung finden sollten, und im Rahmen einer Online-Umfrage konnte die Öffentlichkeit Wünsche einbringen. Die Ergebnisse beider Prozesse flossen in die Wettbewerbsausschreibungen für die Freiraumplanung ein. Eine gute Grundlage für künftige Dialoge.