Auf der HEIKOM zeichnete Jörg Fischer, Geschäftsführer der Relay GmbH, nach, wie sich aus einem „klassischen“ M-Bus-Portfolio Schritt für Schritt ein hybrides Messsystem entwickelt, und warum aus seiner Sicht gerade jetzt Grundsatzfragen der Datenhoheit beantwortet werden sollten.
Anstatt sich auf neue Funkstandards allein zu konzentrieren, stellte Fischer die Frage in den Vordergrund, wie Bestandsinfrastrukturen, Funktechnik und Cloud-Plattformen so verbunden werden können, dass Messdienste und Wohnungsunternehmen langfristig flexibel bleiben.
Herausforderungen: Zwischen Bestands-M-Bus und Cloud-Welt
- Große Bestände mit verkabelter Infrastruktur
Viele Liegenschaften sind bereits über M-Bus erschlossen. Die Kabel sind vorhanden, die Technik läuft. Ein kompletter Systemwechsel ist technisch aufwändig und wirtschaftlich nicht immer sinnvoll. - Wachsende Funkanforderungen
Insbesondere bei Heizkostenverteilern oder schwer zugänglichen Messstellen stößt die reine Kabelwelt an Grenzen. Ohne Funklösungen lassen sich Nachrüstungen und Einzelmaßnahmen kaum effizient umsetzen. - Abhängigkeit von proprietären Gesamtsystemen
Plattformen, die Zähler, Gateways und Abrechnung aus einer Hand anbieten, bringen Komfort – aber auch die Gefahr, sich eng an einen Anbieter zu binden, inklusive Abomodellen und eingeschränkter Wahlfreiheit bei Geräten und Datenwegen. - Unklare Datenwege
Für Wohnungsunternehmen ist oft nicht transparent, wo Messdaten tatsächlich gespeichert und verarbeitet werden – lokal, im Rechenzentrum des Messdienstes oder in einer Cloud außerhalb ihres Einflussbereichs. - Fachkräftemangel und Komplexität
Je mehr Insellösungen und Spezialprozesse im Einsatz sind, desto schwerer wird es, Personal zu finden, das die Systeme beherrscht und fachlich zusammenbringt: Technik, Datenmanagement, Abrechnung.
Der Ansatz: M-Bus als „Verbrenner“, OMS-Funk als „E-Motor“
Relay bezeichnet sich in der Präsentation als „M-Bus Pioniere seit über 30 Jahren“. Die zentrale Idee von Jörg Fischer: Bestehende Stärken des M-Bus nicht aufgeben, sondern gezielt mit Funklösungen kombinieren.
Hybrides Hardwarekonzept
Kern des Konzepts ist ein zentraler Datenlogger, der über M-Bus mit abgesetzten OMS-Empfängern verbunden wird. In der Präsentation wird dieses Architekturprinzip mit dem Claim „Effizient. Reichweitenstark. Ohne Repeater.“ illustriert.
- Der M-Bus-Strang im Gebäude fungiert als „robustes Rückgrat“ mit großer Reichweite – vergleichbar mit dem Verbrennungsmotor, der zuverlässig läuft, egal ob im Keller oder unter dem Dach.
- Die OMS-Funkschicht übernimmt dort, wo keine Kabel verlegt werden können oder sollen – beispielsweise für Heizkostenverteiler oder nachträglich eingebundene Zähler.
Durch die Kombination sollen in vielen Szenarien zusätzliche Funk-Repeater entfallen, mit allen bekannten Nebeneffekten: weniger Hardware, keine Batteriewechsel und weniger potenzielle Fehlerquellen.
Datenhoheit als Leitprinzip
Ein zentrales Motiv des Vortrags: Der Kunde entscheidet, wo die Daten landen.
Laut Fischer können die Messdaten:
- per E-Mail bereitgestellt,
- auf FTP-Servern abgelegt,
- in eigene oder externe Cloud-Systeme übertragen werden.
Das Geschäftsmodell bleibt dabei klassisch: Die Hardware wird gekauft, laufende Abogebühren für den Zugriff auf die Messdaten sieht Relay nicht als zwingend vor.

Von der Hardware zur Plattform: EvE
Der zweite Schwerpunkt des Vortrags ist die Plattform „EvE“ – Evaluate, Visualize, Export. In der Präsentation zeigen mehrere Folien EvE als Weboberfläche, auf der Datenlogger, Liegenschaften und Visualisierungen zusammengeführt werden.
Nach Darstellung von Fischer soll EvE drei Funktionen erfüllen:
- Evaluate – technische und kaufmännische Bewertung
- Monitoring von Datenloggern und Zählern: Sind alle Geräte erreichbar? Fehlen Zähler? Gibt es Ausfälle auf Leitungen?
- Perspektivisch auch Alarme und Zustandsmeldungen, z. B. bei ungewöhnlichen Verläufen oder Verbindungsabbrüchen.
- Visualize – Darstellung für unterschiedliche Zielgruppen
- Technische Übersichten für Fachabteilungen,
- Diagramme für Kunden, die „es einmal sehen wollen“ – wie Fischer augenzwinkernd formuliert.
- In den gezeigten Beispielen werden Verbrauchsverläufe und Verteilungen grafisch aufbereitet.
- Export – Übergang in die Abrechnung
- EvE unterstützt den Schritt von Messdaten zu Verbrauchsabrechnungen.
- In der Präsentation sind Muster-Heizkostenabrechnungen zu sehen, die direkt aus der Plattform heraus generiert werden können.
Besonderes Merkmal laut Relay: KI-gestützte Plausibilitätsprüfungen sollen dabei helfen, Abrechnungen schneller zu prüfen, Unstimmigkeiten zu erkennen und manuelle Kontrollaufwände zu reduzieren.
Warum das wichtig ist
- Digitale Souveränität: Wohnungsunternehmen müssen wissen, wo ihre Messdaten landen – technisch und rechtlich.
- Schutz vor Lock-in: Offene Hardware-Schnittstellen und flexible Exportpfade machen es einfacher, Dienstleister oder Software später zu wechseln.
- Bestandsverträglichkeit: Hybride Ansätze, die vorhandene M-Bus-Infrastrukturen weiter nutzen, senken Investitions- und Umrüstkosten.
- Abrechnung unter Druck: Komplexere gesetzliche Vorgaben und knappe Ressourcen erhöhen den Bedarf an automatisierter Plausibilitätsprüfung.
- ESG und Transparenz: Für Klimapfade, Reporting und Kommunikation mit Mieter:innen sind belastbare, gut zugängliche Verbrauchsdaten eine Grundvoraussetzung.
Einordnung für die Wohnungswirtschaft
Für Entscheider:innen in der Wohnungswirtschaft stellen sich daraus mehrere strategische Fragen:
- Welche Rolle soll M-Bus künftig spielen?
In vielen Beständen wird M-Bus noch lange die physische Grundlage der Datenerfassung bleiben. Ein „Alles neu“-Ansatz ist selten realistisch. Hybride Konzepte, wie von Relay vorgestellt, können die Brücke in die Funk- und Cloud-Welt schlagen, ohne die Verkabelung abzuschreiben. - Wie wichtig ist Datenhoheit im eigenen Haus?
Wer künftig stärker auf eigene Datenanalysen, ESG-Reporting oder Benchmarks setzen will, sollte sicherstellen, dass Messdaten aus Gateways und Plattformen offen exportierbar sind – unabhängig vom Abrechnungsdienstleister. - Cloud ja, aber wie?
Der Vortrag macht deutlich, dass Kunden zunehmend Cloud-Funktionalitäten erwarten, gleichzeitig aber Vorbehalte haben. Eine Plattform, die sowohl lokale Datenhaltung als auch Cloud-Anbindung erlaubt, bietet hier einen Mittelweg – entscheidend sind vertragliche und technische Klarheit. - KI in der Abrechnung – Chance oder Risiko?
KI-gestützte Plausibilitätsprüfungen können Teams entlasten, ersetzen aber keine fachliche Verantwortung. Wichtig ist, dass Prozesse transparent bleiben: Wer entscheidet im Zweifel? Wie werden Hinweise dokumentiert?
Was jetzt zu tun ist
- Infrastruktur kartieren: Welche Gebäude sind bereits über M-Bus erschlossen? Wo kommt nur Funk in Frage?
- Datenhoheit definieren: Festhalten, welche Daten im Haus bleiben müssen, wo externe Cloud-Lösungen vertretbar sind und welche Exportformate benötigt werden.
- Ausschreibung schärfen: Unabhängigkeit, offene Schnittstellen und die Möglichkeit, Daten in eigene Systeme zu übertragen, ausdrücklich als Kriterien aufnehmen.
- Hybrid-Szenarien testen: In Pilotliegenschaften prüfen, wie gut sich M-Bus und OMS-Funk kombinieren lassen – insbesondere hinsichtlich Reichweite, Stabilität und Aufwand.
- Abrechnungsprozesse analysieren: Identifizieren, welche Schritte sich durch Plattformen mit integrierter Plausibilitätsprüfung automatisieren lassen – und wo Kontrolle im Haus bleiben soll.
- IT und Fachbereiche zusammenbringen: Messdienst, IT, Technik und Abrechnung frühzeitig an einen Tisch holen, um Zielarchitektur und Verantwortlichkeiten abzustimmen.
Praxisnutzen: Was das Relay-Konzept verspricht
Auch wenn der Vortrag keine detaillierte Wirtschaftlichkeitsrechnung präsentierte, lassen sich die praktischen Effekte aus Sicht der Wohnungswirtschaft skizzieren:
- Reduzierte Systemvielfalt
Ein Datenlogger, der sowohl kabelgebundene M-Bus-Teilnehmer als auch wM-Bus-/OMS-Geräte über abgesetzte Empfänger einbindet, kann in vielen Beständen die Zahl parallel betriebener Systeme verringern. - Weniger Funk-Infrastruktur
Wenn abgesetzte OMS-Empfänger dank M-Bus-Anbindung im Gebäude verteilt werden, können in manchen Szenarien Funk-Repeater entfallen – inklusive deren Wartung. - Weniger Medienbrüche Richtung Abrechnung
EvE bündelt Messdaten, Visualisierung und Abrechnung in einer Oberfläche. Das kann insbesondere kleineren oder mittleren Messdiensten helfen, die Zahl der eingesetzten Spezialwerkzeuge zu reduzieren. - Unterstützung durch KI
KI-gestützte Prüfungen können z. B. auffällige Verbräuche, fehlende Zählerstände oder Plausibilitätsprobleme markieren, bevor Abrechnungen erstellt werden. Das spart Zeit und reduziert Reklamationen – vorausgesetzt, die Modelle sind sauber aufgesetzt und werden kontrolliert eingesetzt.
Für Wohnungsunternehmen bleibt entscheidend: Die in der Präsentation skizzierten Effekte sollten in konkreten Projekten und unter realen Bedingungen verifiziert werden – idealerweise mit klaren Kennzahlen zu Ausfallquoten, Aufwand und Datenqualität.
Fazit
Der Auftritt von Jörg Fischer auf der HEIKOM hat gezeigt: Die digitale Zukunft der Verbrauchserfassung wird nicht nur von neuen Funkstandards geprägt, sondern von der Art, wie wir bestehende Infrastrukturen, Plattformen und Geschäftsmodelle zusammenbringen.
Relay setzt dabei auf drei Bausteine: M-Bus als stabile Basis, OMS-Funk für die Flexibilität und EvE als Plattform, die Daten visualisiert und bis in die Heizkostenabrechnung trägt – bei gleichzeitiger Betonung von Datenhoheit und Unabhängigkeit.
Für die Wohnungswirtschaft lohnt sich die Auseinandersetzung mit solchen Ansätzen vor allem dort, wo langfristige Stabilität gefragt ist: in großen, heterogenen Beständen, in denen Infrastrukturentscheidungen die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre prägen werden. Wer hier frühzeitig klare Anforderungen formuliert, kann Innovationen nutzen, ohne die eigene Handlungsfreiheit zu verlieren.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Ausgangslage: Viele Bestände sind noch immer klassisch über M-Bus erschlossen, gleichzeitig wächst der Druck, wM-Bus-/OMS-Funk und Cloud-Plattformen zu nutzen.
- Positionierung von Relay: Hardwarehersteller aus Paderborn mit eigener Entwicklung und Fertigung, der Unabhängigkeit und Datenhoheit in den Mittelpunkt stellt.
- Technischer Ansatz: Hybrides System aus zentralem Datenlogger und abgesetzten OMS-Empfängern, gedacht als „Kombination aus Verbrenner und E-Motor“: Reichweite und Robustheit von M-Bus, Flexibilität des Funks.
- Zielbild: Fernauslesung ohne Funk-Repeater, volle Transparenz in der Kommunikation und freie Wahl, wo die Daten landen (E-Mail, FTP, lokale Systeme, Cloud).
- Neue Ebene: Die Plattform „EvE“ (Evaluate – Visualize – Export) verwandelt die Hardware in ein System: Geräteüberwachung, Visualisierung und als nächster Schritt Heizkostenabrechnung mit KI-gestützter Plausibilitätsprüfung.
- Relevanz für die Wohnungswirtschaft: Vermeidung von Abhängigkeiten, flexible Pfade in Richtung Cloud, stabiles Rückgrat für gemischte Bestände.
- To-do: Rolle von M-Bus in der eigenen Digitalstrategie prüfen, Anforderungen an Datenhoheit definieren, Plattformansätze mit offener Architektur bevorzugen.
Glossar / Begriffserklärungen
- M-Bus
Feldbusstandard für die Auslesung von Verbrauchszählern (z. B. Wärme, Wasser, Strom). Ermöglicht eine kabelgebundene, oft sehr robuste Kommunikation über größere Distanzen. - wM-Bus / OMS
Wireless M-Bus (wM-Bus) ist die funkbasierte Variante des M-Bus. Das Open Metering System (OMS) ist ein herstellerübergreifender Standard für die strukturierte Übertragung von Zählerdaten per Funk. - Datenlogger
Gerät, das Messdaten aus verschiedenen Zählern sammelt, speichert und über definierte Schnittstellen (z. B. TCP/IP, Cloud, FTP) zur Verfügung stellt. - OMS-Empfänger
Funkempfänger, die wM-Bus-/OMS-Telegramme aus der Umgebung einsammeln und an den Datenlogger weiterreichen, im Relay-Konzept über M-Bus angebunden. - EvE
Plattform von Relay („Evaluate – Visualize – Export“), die Datenlogger verwaltet, Messdaten visualisiert und – laut Präsentation – Heizkostenabrechnungen mit KI-gestützter Plausibilitätsprüfung erzeugen kann. - Heizkostenabrechnung (HKA)
Abrechnung der Heiz- und Warmwasserkosten einer Liegenschaft gegenüber den Nutzer:innen. Muss gesetzlichen Vorgaben, unter anderem zur Transparenz und Verbrauchsorientierung, genügen. - Datenhoheit
Möglichkeit des Eigentümers oder Betreibers, zu entscheiden, wo und wie seine Daten gespeichert, verarbeitet und weitergegeben werden – inklusive der Option, Dienstleister oder Plattformen zu wechseln.
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Autor: Redaktion Wohnungswirtschaft Heute – HEIKOM-Sonderausgabe Startups 2025
Foto: DEUMESS – Frank Schütze / Fotografie Kranert


