Das Gleichgewicht der Leistbarkeit

In vielen Ländern fiel der soziale Wohnbau dem Neoliberalismus zum Opfer. Nicht so in Wien. Die IBA_Wien 2022 „Neues soziales Wohnen“ hat sich zum Ziel gesetzt, diese Tradition der sozialen Ausgewogenheit weiterzuentwickeln.
MAIK NOVOTNY

Inzwischen läuft der Countdown für die IBA_Wien 2022 „Neues soziales Wohnen“ schon in der Runde der letzten Monate. 2021 ist zuerst großes Luftholen und intensives Abstimmen mit allen Projektpartnern angesagt, bevor das Präsentationsjahr beginnt. Doch international ist die IBA bereits jetzt schon, denn einerseits gibt es Vernetzungen mit anderen IBA-Städten und -Regionen in Deutschland und mit den internationalen „Korrespondenzstädten“ der IBA_ Wien, andererseits ist Wien, was Wohnbau und Stadtentwicklung betrifft, schon lange eines der beliebtesten Reiseziele für Delegationen auf der Suche nach Best-Practice-Beispielen.

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Dies betrifft nicht zuletzt das Wiener Modell der Förderung und Finanzierung, betont IBA-Koordinator Kurt Hofstetter: „In vielen anderen Ländern hat es im sozialen und geförderten Wohnbau deutliche Brüche gegeben. Etwa in Deutschland, wo um die Jahrtausendwende zahlreiche kommunale Wohnungen billigst verkauft wurden, oder der ,Dutch case‘, der einst vorbildhaften Niederlande, wo der soziale Wohnbau heute vor den Scherben seines Ruhms steht und nur noch für die Ärmsten der Armen zuständig ist.

Der große Vorteil des Wiener Systems ist, dass es diese Brüche nicht gab. Denn sobald so ein erfolgreiches System einmal gestoppt wird, ist es praktisch unmöglich, es wieder neu aufzubauen.“ Diese Gefahr besteht auch in Österreich nach wie vor, denn immer wieder gibt es Stimmen, die dem Wiener Wohnbau vorwerfen, er sei zu stark reguliert. Explizites Ziel der IBA ist es daher, das bewährte „Wiener System“ der sozialen Ausgewogenheit weiterzuentwickeln – schließlich trägt sie das Motto „Neues soziales Wohnen“ nicht zufällig im Namen.

Auch die Korrespondenzstädte (Barcelona, Berlin, Dublin, Köln, München, Stuttgart und Vancouver) wurden schon früh eingebunden. Dublin nahm die dort gastierende Wanderausstellung „Das Wiener Modell – The Vienna Model“ zum Anlass, einen Neustart seines komplett zum Erliegen gekommenen sozialen Wohnbaus zu überlegen. Jede Korrespondenzstadt wird bei der IBA-Schlusspräsentation 2022 mit einem besonderen Projekt beteiligt sein, die zweisprachige Ausstellung wird mit einer digitalen „Kurzfassung“ sozusagen von vornherein exportierfähig gestaltet. „Dies ist auch eine Botschaft an Europa, dass wir alle mit denselben Themen und Aufgaben zu tun haben“, sagt Hofstetter.

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Beitrag zum sozialen Frieden

Diese IBA-Botschaft lautet im Wesentlichen: Seht her, dieses Zubehör braucht man in Wohnbau und Quartiersentwicklung, um einen wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden zu leisten. Die Art der Finanzierung des Wohnbaus spielt dabei eine Schlüsselrolle, geht es doch um eine Ausgewogenheit zwischen gefördertem und freifinanziertem Wohnbau. Ein Gleichgewicht, das infolge der Finanzkrise und der daraus resultierenden Finanzierung des Wohnbaus gelitten hat, der heute immer mehr zur Ware wird. Während die Stadt versucht, mit Mitteln wie der neuen Widmungskategorie „geförderter Wohnbau“ gegenzusteuern, leisten auch die Akteure der Stadt im Rahmen der IBA ihren Beitrag im Sinne der Wiederherstellung einer Verhandlungsbasis und der sozialen Ausgewogenheit.

Dass neben dem mächtigen und wirkungsvollen Instrument des geförderten Wohnbaus auch die Innovationskraft privater Investoren von Bedeutung ist, zeigen die IBA-Projekte beispielhaft: Private Investoren, die etwa bei den Projekten „Apfelbaum oder G’mischter Block“, wo versucht wird, die Blocksanierung in der gewachsenen Stadt mit freifinanzierten und geförderten Wohnangeboten sowie sozialen Diensten und Gewerbeflächen zu kombinieren und Quartiersentwicklung ohne soziale Verdrängung zu ermöglichen.

Auch das Sonnwendviertel mit seiner ambitionierten Erdgeschossnutzung um 4,0 Euro pro Quadratmeter brachte – trotz kleiner Startschwierigkeiten – andere Akteure ins Quartier und sorgt heute für eine lebendige Mischung. Ein Ansatz, der sich in Zukunft noch weiterspinnen ließe, sagt Hofstetter, etwa durch Betrachtung der gesamten Erdgeschoßzone als eigenes und zusammenhängendes Vorhaben, also eine Art „Bauplatz Erdgeschoß“ über mehrere Baufelder hinweg. All dies sind Instrumente, um die in der letzten Dekade immer weiter klaffende Lücke zwischen dem renditeorientierten freien Markt und dem leistbaren Wohnbau zu schließen, die Akteure wieder an den Tisch zu holen und eine Verhandlungsebene wiederherzustellen.

Kreative Strategien

Ein IBA-Kandidat, der ein in Österreich noch ganz ungewohntes Finanzierungskonzept erprobt, ist das Baugruppen- Wohnprojekt Bikes&Rails im Sonnwendviertel. Dieses ist Teil des heimischen Mietshäusersyndikats Habi- TAT, das sich nach dem deutschen Vorbild gegründet hat…

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